Es ist nur ein Nebenaspekt in Josef Haslingers Plädoyer für Nachbarschaftshilfe für Griechenland (DER STANDARD, 21./22. März) - aber es hat wehgetan: Offenbar nach dem Motto "eh schon egal" schreibt Haslinger, Milliarden seien an eine Bank bzw. Banken "verschenkt worden" , "weil unseren Volksvertretern und unseren Nationalbankpräsidenten das Wohl der Aktionäre wichtiger war als das Wohl des Volkes". Mit dem "Nationalbankpräsidenten" bin wohl ich, der Gouverneur, gemeint.
Ich bin von Haslingers Aussage betroffen und irritiert - nicht nur, weil sie von einem von mir sehr geschätzten Schriftsteller stammt, sondern weil sie für mich ein - weiteres - Indiz ist für die tiefe Kluft, die derzeit zwischen weiten Bereichen der kritischen Intelligenz und auch jenen Notenbankern, die sich bemühen, ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung gerecht zu werden, besteht. Ich habe diese Kluft kürzlich drastisch bei den Protesten gegen die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt erlebt, wo die neurotische Aggressivität kleiner Gruppen ja überdeckt hat, dass es auch große Gruppen ernsthafter und ernst zu nehmender Menschen gibt, die die Politik der Zentralbanken als wesentliche Ursache der von ihnen angeprangerten Missstände sehen. Vonseiten der Wirtschaftspolitik wird es sicher nicht genügen, diesem Misstrauen mit Ignorieren oder technokratischen Darstellungen zu begegnen. Hier ist ein ernsthafter und seriöser Dialog erforderlich, der freilich für alle Seiten viel Zeit und Mühe erfordern wird. Provoziert durch Haslingers Aussage dazu einige kurze, erste Anmerkungen:
Es ist richtig, weltweit - und auch in Österreich - werden gewaltige Summen für "Bankenrettung" bereitgestellt. In Österreich im Herbst 2008 mit dem Finanzmarktstabilitätsgesetz (FinStaG) ein Betrag von 100 Milliarden Euro für Zuschüsse und Haftungen für Kreditinstitute und Industrieunternehmen. Das meiste davon wurde inzwischen zurückgezahlt bzw. nicht gebraucht - aber eben nicht alles. War das nur "zum Wohl der Aktionäre"?
Finanzielle Feuerwehr
Was Haslinger und andere Kritiker nicht berücksichtigen ist die Frage, was diese in der Tat riesigen Aktionen ausgelöst haben: Es war die 2007/2008 mit dem Zusammenbruch des US-Bankhauses Lehman kumulierende Krise der Geld- und Kreditmärkte, die zunächst zur Gefahr eines Kollapses des Finanzsystems und dann der Weltwirtschaft geführt hatte. Österreich konnte sich dieser Entwicklung nicht entziehen, was 2009, erstmals in der Zweiten Republik, zu einem drastischen Schrumpfen der Wirtschaft und einem entsprechenden Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt hat.
Hinter diesem Zusammenbruch standen zweifellos vielfältige Fehlentwicklungen - sowohl auf gesamtwirtschaftlicher Ebene, etwa durch eine überzogene Deregulierung, wie auch auf Einzelbank-Ebene in Österreich, speziell auch bei der bekannten Kärntner Bank. Die erste Aufgabe der Notenbanken bestand aber jedenfalls darin, zunächst einen Brand zu löschen oder zumindest seine Ausbreitung zu verhindern. Die zweite Aufgabe bestand und besteht darin, für ein neues Regulierungssystem die Sicherung gegen künftige Brandgefahr zu erhöhen.
Die erste Aufgabe konnte durch massiven Mitteleinsatz gelöst werden, weltweit zum Teil für Verstaatlichungen und Stützungen aus öffentlichen Budgets und zum anderen durch Liquiditätsbereitstellung der Notenbanken. Unmittelbarer Adressat war das Banksystem - dahinter stand und steht aber die Erkenntnis, dass ein Zusammenbruch einer systemrelevanten Bank zu einer Gefährdung des gesamten Finanzsystems und damit durch den Ausfall von Finanzierungen zu einer unmittelbaren Gefahr für einen Zusammenbruch der Gesamtwirtschaft führen kann.
Die 1930er im Hinterkopf
Das dramatische Beispiel, das in diesen Jahren wohl im Hinterkopf jedes Notenbankers war, ist die Entwicklung der 1930er-Jahre. Aus einer Bankenkrise entstand damals durch fehlendes Gegensteuern von Regierungen und Notenbanken eine weltweite Wirtschaftskrise. Wer sich mit Geschichte beschäftigt, weiß, welche dramatischen wirtschaftlichen, sozialen, letztlich politischen Folgen diese Weltwirtschaftskrise hatte - gerade auch in Österreich.
Ich bin daher überzeugt, dass es richtig war, alles zu tun, um der akuten Gefahr einer Wiederholung dieser Krise zu begegnen - auch im Bewusstsein, das damit hohe Kosten - und Folgekosten - verbunden waren und sind. Das heißt sicherlich nicht, dass jede Einzelmaßnahme im Nachhinein als richtig zu sehen ist, es ist auch zweifellos sinnvoll und legitim zu fragen, wie die Kosten der Krisenbewältigung zu verteilen sind, und es ist vor allem auch wichtig, belastungsfestere Strukturen der Kreditwirtschaft zu schaffen. Das sind alles Themen, die mich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen intensiv beschäftigen.
Aus meiner Sicht wäre interessant und wichtig, diese Diskussion auch mit klugen "Nichtexperten", wie etwa Josef Haslinger, weiterzuführen. Vielleicht würde sich dann auch manche Pauschalverurteilung erübrigen. (Ewald Nowotny, DER STANDARD, 26.3.2015)