Statt des zylindrischen Urkilogramms könnte bald eine Siliziumkugel wie diese das Maß aller Dinge sein (soweit es deren Masse betrifft).

Foto: PTB

Braunschweig - Einen Tag, bevor in den heimischen Kinos die Filmkomödie "1001 Gramm" um das berühmte Urkilogramm anläuft, ist in Braunschweig gewissermaßen der Vertreter der nächsten Generation eingetroffen: Die Forscher der dortigen Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) haben einen sechs Kilogramm schweren Silizium-28-Kristall von höchster Reinheit aus Russland erhalten, ein zweiter wird folgen.

"So rund wie sonst nichts auf der Welt"

Daraus sollen in den nächsten Monaten vier Kugeln von jeweils exakt einem Kilogramm Masse geschliffen werden. Eingespannt zwischen zwei Stempelplatten wird pro Minute ein Nanometer von der Oberfläche des Kristalls abgeschliffen. Zum Vergleich: ein menschliches Haar wächst pro Minute um 200 Nanometer.

Mit einer Abweichung von der idealen Kugelform von deutlich weniger als 100 Nanometer ist gewährleistet, dass diese Kugeln "so rund sind wie sonst nichts auf der Welt", so die PTB. Anschließend werden die Wissenschafter die Zahl der Silizium-Atome in der jeweiligen Kristallkugel zählen. So könnte in Zukunft die Einheit des Kilogramms genau über die Atomanzahl bestimmt werden.

Die Forscher messen dafür die Masse und das Volumen der Kugel ebenso wie die Anordnung der Atome im Kristall und die Häufigkeiten der drei vorkommenden Siliziumisotope, woraus sich die Masse des verwendeten Siliziums ergibt. Sie wissen daher, wie viel Mol Silizium in ihrer Kugel stecken ("Mol" ist die Einheit der Stoffmenge) und auch wie viele Atome ein Mol ausmachen. Bereits jetzt verzählen sich die PTB-Wissenschafter nach eigenen Angaben pro hundert Millionen Atome nur um zwei Stück. Und diese beeindruckende Genauigkeit soll noch einmal verdoppelt werden.

Wissenschaftlicher Wettbewerb

Die Braunschweiger Forscher rechnen sich gute Chancen aus, mit ihrer Methode den internationalen Wettbewerb um die exakteste Neudefinition des Kilogramms zu gewinnen. , "Gewinnen" unter Anführungszeichen, denn das Kilogramm wird erst dann neu definiert, wenn mindestens zwei wissenschaftliche Ansätze und die Experimente dreier Forschergruppen zu übereinstimmenden Ergebnissen kommen. Laut PTB wird die erneute Festlegung der Maßeinheit für 2018 erwartet.

Rund 50 Mitarbeiter der PTB arbeiten an dem Projekt. Weltweit forschen aber noch weitere Teams an der Neudefinition der Kilogramm-Einheit. Eine Gruppe aus den USA und Kanada etwa nutzt dafür eine sogenannte Watt-Waage. Bei diesem Versuchsaufbau soll ein Kilogramm durch eine passende elektronische Kraft aufgewogen werden.

Probleme mit dem Urkilogramm

Bis auf Weiteres ist der Maßstab für die Kalibrierung und Eichung aller Waagen dieser Welt aber immer noch das Urkilogramm, das seit 1889 in einem Pariser Tresor aufbewahrt wird: ein Zylinder aus Platin und Iridium.

Es sei die einzige der sieben internationalen Maßeinheiten, die durch einen realen Körper und nicht - wie etwa Meter oder Sekunde - mit Formeln aus Naturkonstanten dargestellt werde, erläuterte PTB-Forscher Arnold Nicolaus. Das schafft inzwischen Probleme: Die Gewichtsdifferenz zwischen dem Urkilogramm und seinen mehr als 80 Kopien, die nationale Messbehörden nutzen (einer davon der "Star" besagter Komödie), ist bereits auf rund 50 Mikrogramm gewachsen. Die Ursachen dafür sind noch immer unklar. (red, derStandard.at, 26.3. 2015)