Hoffnung in die Zivilgesellschaft: Jean Ziegler.

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Wien - Jean Ziegler weiß, wie er sein Publikum fesselt. Neulich, sagt er, habe er für die UN ein Gefängnis in Israel überprüft. Der Direktor, "ein kluger Mann", habe zur Begrüßung auf den nahen Berg Har Megiddo gezeigt, von dem sich der Name für das Jüngste Gericht ableitet: "Dort ist Armageddon, die allerletzte Schlacht zwischen Gut und Böse". Er selbst habe sich davon an seinen Aktivismus erinnert gefühlt. Denn diese Schlacht laufe bereits: Die Welt sei auf dem Scheideweg. Und der Streit gegen das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, sagt Ziegler, "das, glaube ich, ist wirklich der Endkampf".

Der Globalisierungskritiker war Mittwoch im ausverkauften Burgtheater in Wien zu Gast, wo er auf Einladung des Hauses am Ring, des Bruno-Kreisky-Forums, des C.-Bertelsmann-Verlags und des Standard sein neues Werk "Ändere die Welt! Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen" bei einer Diskussion vorstellte. Das Buch sei eine Zwischenbilanz seiner Karriere, sagte Ziegler. Es folge eher biografischen und philosophischen Fäden.

Hungernde Schulkinder

Doch im Burgtheater will der 80-Jährige lieber über politische Themen sprechen. "Jetzt werde ich Sie mit Zahlen langweilen", kündigt er bescheiden auf die Frage von Moderatorin und STANDARD-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid an, was im Untertitel seines Buches mit den "kannibalischen Weltordnung" gemeint sei. Dass die folgenden Kennziffern nicht langweilig, sondern bestürzend sind, ist ihm zweifelsfrei bewusst: 2014 hätten die 500 größten Konzerne insgesamt rund 52 Prozent des weltweiten BIPs erwirtschaftet, und zwar weitgehend unkontrolliert. Zugleich sterbe alle fünf Sekunden ein Kind an Mangelernährung - in einer Welt, die zwölf Milliarden Menschen ernähren könnte.

"Der Dschungel breitet sich auch auf Europa aus", sagt Ziegler. Bei elf Prozent der spanischen Schulkinder seien Zeichen von Unterernährung entdeckt worden. "Die neoliberale Wahnidee", wonach das ungehinderte Wirken der Märkte ein Naturgesetz sei, erscheine immer mehr Politikern als unvermeidliche Wahrheit - "leider auch Sozialisten".

"Alles kann schiefgehen"

Mit der Frage, wieso es dagegen so wenig Widerstand gebe, kann Ziegler wenig anfangen. Diesen gebe es durchaus; von Demos und Veranstaltungen höre man nur wenig, denn in den Medien werde darüber kaum berichtet - da sei auch der STANDARD nicht auszunehmen.

Er setzte große Hoffnung in die Zivilgesellschaft. Aber: "Alles kann schiefgehen. Pegida kann gewinnen, der Fremdenhass oder US-imperialistische Gruppen. Aber der Weg beginnt mit dem ersten Schritt." Wie dieser aussehen solle? "Jeder weiß, was er tun sollte", sagt Ziegler. Weil er daran glaube, habe er im Buch mehrfach Bertolt-Brecht-Zitate an den Anfang von Kapiteln gestellt. Denn wie dessen Protagonist zu Beginn des Leben des Galilei vertraue auch er "auf die sanfte Gewalt der Vernunft über den Menschen". (Manuel Escher, DER STANDARD, 27.3.2015)