Im Eiltempo wird der Suezkanal, die 72 Kilometer lange Wasserstraße zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer, ausgebaut, um die Fahrzeiten der Ozeanriesen zu reduzieren. 25.000 Arbeiter bewegen jeden Monat 27 Millionen Kubikmeter Sand. Der neue Kanal soll das Herzstück einer gigantischen Wirtschaftszone werden.

Wo vor drei Monaten nichts als Wüste war, fahren jetzt die ersten Versorgungsschiffe durch einen zehn Meter tiefen Servicekanal in ein Teilstück des neuen Suezkanals. Vor wenigen Tagen erst wurde dieser Bauabschnitt geflutet. Beim Zusammenfluss ankert ein Hotelschiff, in dem vor allem ausländische Bauarbeiter untergebracht sind. An Land, oben auf den steilen Böschungen, bewegen dutzende Bagger und Lastwagen Tonnen von Sand.

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Dutzende Schwimmbagger verbreitern seit Monaten die Fahrrinne des Suezkanals
Foto: AP/Hassan Ammar

Im Wasser wird mit riesigen schwimmenden Baggerschiffen - den Dredgers - die Rinne so weit ausgebaggert, dass Schiffe mit bis zu 66 Fuß, umgerechnet etwa 20 Meter Tiefgang, passieren können. Um die Ufer zu stabilisieren, werden sie später mit Platten aus Steinbrüchen im Sinai verkleidet. Doch hier werden nicht nur Steine, Stand und Schlick, sondern auch 8,2 Milliarden US-Dollar (7,5 Milliarden Euro) bewegt. So viel soll der Ausbau des Suezkanals kosten.

Gebaut wird in sechs Abschnitten gleichzeitig. Die Zeit drängt. Das Eröffnungsdatum im Sommer steht schon fest, der Tag ist in vielen Kalendern markiert. Bei der pompösen Feier zur Lancierung dieses Projekts am 5. August 2014 hatte Staatspräsident Abdelfattah al-Sisi einen Finger in die Höhe gestreckt und den Befehl erteilt, die Arbeiten in einem Jahr abzuschließen - und nicht wie anfangs geplant erst in drei Jahren. Seither verfolgt er regelmäßig den Baufortschritt und erkundigt sich persönlich bei den Arbeitern.

Nicht ohne Zwischenfälle

Kurzfristig mussten mehr Firmen aufgeboten werden. Über die Auswirkungen auf die Kosten schweigen sich die Verantwortlichen der Suezkanalbehörde in Ismailia aus. Derzeit arbeiten 25000 Menschen auf der gigantischen Baustelle, die täglich 20 Stunden in Betrieb ist. Nicht immer geht alles glatt. Kürzlich ist ein Stück in einem Bassin eingebrochen, mehrere Baumaschinen sind in einem Sedimentbecken versunken. Dabei habe es weder Verletzte noch Tote gegeben, die Situation sei unter Kontrolle, die Arbeit nur für wenige Stunden unterbrochen gewesen, beeilte sich der Chef der Kanalbehörde, Admiral Mohab Mamish, Gerüchte in den Medien über einen tödlichen Zwischenfall zu zerstreuen.

Armee ist oberster Bauherr

Bei Mamish, der 2012 in das Amt berufen wurde und einst Chef der Marine war, laufen alle Fäden zusammen. Mit Stolz, viel Pathos und bebender Stimme betonte er kürzlich, dass Idee, Planung, Ausführung und Finanzierung ägyptisch seien. War der riesige Nasser-Staudamm das einst gefeierte Projekt des 20. Jahrhunderts, so ist der neue Suezkanal für Ägypten das Prestigeprojekt des 21. Jahrhunderts.

Die Ingenieurabteilung der Armee unter Generalmajor Kamal al-Wazir hat die technische Oberaufsicht über das monumentale Vorhaben, die Armee sorgt für die Sicherheit in der notorisch sensiblen Region. Entlang der Wasserstraße gibt es mehrere kleine Militärbasen. Tatsächlich war die Durchfahrt seit der Revolution 2011 und den folgenden politischen Eruptionen nicht einen Tag gesperrt.

Die Ausführung obliegt privaten Baufirmen. Den Trockenaushub besorgen 82 ägyptische Unternehmen, die wiederum mit vielen, kleineren und größeren Zulieferern zusammenarbeiten. Hier herrscht ägyptischer Geschäftsalltag. Den Zuschlag für die lukrativen Aufträge erhalten nicht selten jene, die bereit sind, mit Schmiergeldern nachzuhelfen, weiß ein Insider.

Millionen Tonnen Aushub werden bewegt und das Ufer befestigt.
Foto: Astrid Frefel

Mit dem Nassaushub wurden - trotz der vollmundigen Ankündigungen, ausschließlich ägyptische Firmen einzusetzen - sechs ausländische Firmen aus den Niederlanden, Belgien und den USA beauftragt. Über 95 Prozent des Trockenaushubs, mehr als 215 Millionen Tonnen, sind geschafft. Damit hat man den Plan sogar übererfüllt. Bereits Anfang April, und damit einen Monat früher als vorgesehen, will Bauleiter Wazir bekanntgeben, dass dieser Teil abgeschlossen ist.

Man habe alle Probleme im Griff, betonte er diese Woche noch einmal. Drei Dutzend Dredgers, die an Ölplattformen erinnern, haben gut ein Drittel ihres Solls erledigt und über 70 Millionen Tonnen Sand gehoben. Es ist das größte Dredging-Vorhaben der Geschichte. Ingenieure, die in der Branche tätig sind, warnen allerdings vor zu viel Optimismus, weil bei dem straffen Ausführungsplan immer Schwierigkeiten auftreten könnten.

Das Interesse an der Großbaustelle ist in Ägypten und über die Landesgrenzen hinaus jedenfalls riesig. In Ismailia gibt sich in diesen Tagen eine Delegation nach der anderen die Klinke in die Hand, um dann auf einem der Versorgungsschiffe über die Wasserstraße zu gleiten und aus nächster Nähe einen Blick auf die imposanten Bagger-Ungetüme zu werfen.

Die Verbindung zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer ist ein alter ägyptischer Traum. Einen ersten Kanal, allerdings mit einer andern Streckenführung, haben schon die Pharaonen unter Senusret III. vor bald 4000 Jahren in Angriff genommen. Seither wurde er sechsmal neu gebaut. Der jetzige Kanal von Ferdinand de Lesseps - die Pläne stammen vom österreichischen Ingenieur Luigi Negrelli - ging am 17. November 1869 nach einer Bauzeit von zehn Jahren in Betrieb. Der Höhepunkt der pompösen Eröffnungsfeier war die Uraufführung von Giuseppe Verdis Oper Aida - einem Auftragswerk.

Eine Million Menschen haben "mit Blut und Händen" geschaufelt, wie sich Mamish ausdrückte. Zehntausende Arbeiter hatten diesen Traum damals mit dem Leben bezahlt. Heute übernehmen zwar Maschinen einen Großteil der Schwerstarbeit, aber vor allem im Sommer sind die Bedingungen mit Hitze und Staub immer noch extrem. Nicht alle Arbeiter, die aus sämtlichen Ecken des Landes kommen, haben das Privileg, in einem Hotelschiff zu wohnen, meist muss auch ein Zelt oder ein Container genügen.

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Bereits im August soll das gigantische Bauprojekt abgeschlossen sein.
Foto: AP/Amr Nabil

Mit dem aktuellen Projekt werden alle Engpässe im Kanal beseitigt, sodass die Schiffskonvois die Strecke zwischen Suez und Port Said kreuzungsfrei passieren können. Die stundenlangen Wartezeiten in den Bitterseen, wo Schiffsparkplätze eingerichtet sind, entfallen. Damit verkürzt sich die Durchfahrtszeit von 18 bis 22 Stunden auf elf Stunden. Zu diesem Zweck werden 35 Kilometer der 72 Kilometer langen Wasserstraße neu und 37 Kilometer ausgebaut und die heutige Kapazität so von täglich von 49 auf 97 Schiffe verdoppelt.

Die Kanalgebühren sind eine der wichtigsten Quellen für Ägyptens Deviseneinnahmen. Nach einem Anstieg um 6,8 Prozent auf 5,46 Milliarden US-Dollar (5,1 Mrd. Euro) wurde 2014 ein neuer Rekord erzielt. Bis 2023 soll Prognosen der Planer zufolge der internationale Handel so stark wachsen, dass sich die Einkünfte auf 13,5 Milliarden US-Dollar (12,3 Mrd. Euro) mehr als verdoppeln.

Der Kanal ist eine wichtige Arterie für den Welthandel, da seine Passage die Fahrtzeiten der gigantischen Frachtschiffe um mehrere Tage verringert. Von den heutigen Öltankern können 62 Prozent und von den Massengutfrachtern über 90 Prozent diese maritime Abkürzung nehmen. Ebenso die Containerschiffe der jüngsten Generation, die knapp 400 Meter lang sind und über 18.000 Container fassen. Admiral Mamish bezeichnet nicht zuletzt deshalb den Kanal als ein Geschenk der Ägypter an die Welt. Er ist aber auch ein Geschenk an die Ägypter.

Für die Finanzierung konnten die Bürger Zertifikate mit einem Zins von 12,5 Prozent zeichnen. In zehn Tagen war das Angebot ausverkauft. Eine Kampagne im Internet, die Käufer aufforderte, im nationalen Interesse auf die Zinsen zu verzichten, fand naturgemäß wenig Widerhall. Vier Milliarden US-Dollar des Acht-Milliarden-Projekts fließen in den Bau von sechs Tunneln, mit denen für Straße und Schiene die Verbindung mit der Sinai-Halbinsel hergestellt wird. Auf der Ostseite des Kanals entsteht eine ganz neue Schwesterstadt von Ismailia.

Seit jeher umfehdet

Um den Suezkanal wurden im Laufe der Geschichte auch Kriege geführt. Ausgehend vom neuen Kanal soll jetzt, so Admiral Mamish, ein "Entwicklungskrieg" geführt, das heißt ein weltweit führendes Logistikzentrum geschaffen werden. In der Region des Kanals von Suez bis Port Said hat die Realisierung eines gigantischen Infrastrukturvorhabens begonnen. Es umfasst mehrere Häfen und Industriezonen, aber auch Tourismuseinrichtungen und soll nach der Vollendung Jobs für eine Million Menschen bringen.

Eine Planungsfirma aus den Arabischen Emiraten arbeitet derzeit an den Details. Es ist eines der Großprojekte, mit denen die Regierung von Präsident Sisi die Wirtschaft des Landes in Schwung bringen und das Wachstum ankurbeln will. Bei einer Investorenkonferenz vor wenigen Tagen in Sharm el-Sheikh wurde kräftig die Werbetrommel gerührt. Weltweit werden Investoren gesucht, die mit niedrigen Steuersätzen gelockt werden - zum Wohl der ägyptischen Nation. (Astrid Frefel aus Ismailia, DER STANDARD, 28.3.2015)