Mercedes Stermitz und ihre Familie sind im Dezember 1999 in ihr Haus im Bezirk Baden gezogen. Der Ausblick ist toll, zu Silvester vor allem. Doch an das erste Feuerwerk kam keines mehr heran.

Foto: Privat

Stermitz, die 1983 Miss Austria war, warf sich zwei Jahre später für den Ford Fiesta Ladies Cup in Pose - und ins Getümmel. In der Einheitsklasse waren Talent und Schneid gefragt. "Nur nichts kaputtmachen, am besten kein Kratzer - das war die Devise von Helmut Marko", sagt sie. "Aber ich bin gefahren wie eine Sau."

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Enzesfeld - Ob wir uns nicht lieber draußen hinsetzen wollen, fragt Mercedes Stermitz. Zwar muckt morgens die Kälte noch ein bisserl auf, aber wir wollen durchaus, und draußen ist ohnedies relativ. Das Haus im Bezirk Baden bei Wien liegt etwas ausgesetzt auf einer Anhöhe, und als die Familie Otto-Stermitz vor 15 Jahren eingezogen ist, hat Mercedes darauf bestanden, dass die Terrasse verglast wird, damit der Wind sehen kann, wo er bleibt. Die Verglasung lässt sich elektronisch öffnen, doch das will Frau Stermitz jetzt lieber nicht vorzeigen. Bei der ersten Saison-Öffnung weiß man nie, am Ende funktioniert etwas nicht, dann stehen die Türen offen, es kommt Wind auf, und wir müssen wieder hineinübersiedeln.

Mercedes Stermitz (56) ist nicht rasend gut zu Fuß - die Folge eines schweren Autounfalls. Das linke Bein ist um eineinhalb Zentimeter kürzer als das rechte, der Schongang hat die linke Hüfte ruiniert, vor zwei Jahren kam Stermitz unters Messer, da nahmen ihr die Ärzte, wo sie schon am Operieren waren, "auch das ganze Metall heraus", das sie seit dem Unfall im Bein und in der Hüfte hatte. Der Unfall, der sich am 15. Februar 1993 ereignete, ist eines der einschneidenden Daten in der Vita von Stermitz. Mit einem Schlag war ihre zweite Karriere, die Rennfahrkarriere, vorbei.

"Ich war schuld", sagt Stermitz über den Frontalzusammenstoß auf der Felbertauernstraße, der sie und den Lenker des anderen Autos fast das Leben kostete. Stermitz sagt, sie sei mit 102 statt 80 Stundenkilometern und trotz Überholverbots auf der zweiten Spur unterwegs gewesen. Die Polizei habe freilich insofern "einen erklärbaren Fehler" festgestellt, als Stermitz, die zu einer Strafe von 2000 Schilling verurteilt werden sollte, die Straßenschilder nicht sehen konnte, weil sie gerade im Begriff war, einen Lastwagen zu überholen. Dass sie hernach in manchen Zeitungen als "Rennsau" tituliert wurde, kränkt sie immer noch.

Fünf Wochen im Koma

Mercedes Stermitz lag fünf Wochen lang im Koma. Als sie zu sich kam, war "alles weg", und es dauerte lange, bis die Erinnerungen wiederkamen. Sie wurde unzählige Male am Kopf und am linken Bein operiert, die Folgen einer halbseitigen Lähmung machen ihr immer noch zu schaffen. Ihren Unfallgegner, einen Oberkärntner, der diverse innere Verletzungen erlitt, traf sie Monate später und entschuldigte sich. "Ein nettes, normales Gespräch in guter Atmosphäre."

Als die Bilder von früher wieder vor ihr geistiges Auge rücken, sind es durchaus schöne Bilder. Mercedes Stermitz war in Klagenfurt und behütet aufgewachsen. Die Familie betrieb eine Bäckerei, der Betrieb lief von vier bis 22 Uhr. Einmal im Jahr packte der Vater seine Frau und die vier Töchter in den Peugeot, dann ging's für eine Woche auf Urlaub nach Grado, Jesolo oder Caorle, manchmal fuhren noch zwei Cousinen mit, der Peugeot war groß genug, hatte drei Sitzreihen. Und bei den Tankstellen schauten die Tankwarte, wenn nacheinander sechs Mädchen aus dem Auto kraxelten, um sich die Beine zu vertreten.

Mercedes drehte im Gymnasium eine Ehrenrunde, das führte dazu, dass sie in der achten Klasse bereits Auto fahren durfte und auch musste. "Von halb fünf bis halb acht hab ich jeden Tag Brot und Semmeln ausgeliefert, danach bin ich in die Schule gegangen." Nach der Matura (1977) ging sie als Stewardess zur AUA, das reichte ihr nach zwei Jahren. "Um zwei Uhr in der Früh, auf einem Flug nach Alicante, hat einer ,Fräulein, noch ein Bier' geschrien. Da hab ich mir gedacht, dass ich doch keine Kellnerin sein will." Sie übersiedelte nach Graz, inskribierte Architektur und Jus, legte etliche Prüfungen ab, belegte nebenbei einen Kurs an der Mannequinschule Ortner. "Bald hab ich Modeschauen gemacht und in zehn Tagen 10.000 Schilling verdient - für eine Studentin viel Geld."

Seriöses Modeln

Das Modeln, darauf legt Stermitz Wert, sei "immer seriös" gewesen. "Ich bin kein einziges Mal auf einen Drink extra mitgegangen." Im Februar 1983 wurde sie, die Kärntnerin, in Graz zur Miss Steiermark gewählt, im März trat die Miss Steiermark in Kitzbühel in der Tenne zur Wahl der Miss Austria an. Ihre Auftritte im Dirndl, im Badeanzug und im Bikini konnten sich sehen lassen. Den Sieg, sagt sie, verdankte sie aber wohl ihrer Schlagfertigkeit. Als Erich "Missenmacher" Reindl sie nach ihrem größten Wunsch fragte, fragte Stermitz zurück: "Darf ich ehrlich sein?" Reindl: "Ja, natürlich." Darauf wieder Stermitz: "Ja, wenn ich schon da bin, tät' ich gern gewinnen." Da hatte sie die Lacher und die Jury, in der u. a. Heino, Jack White und Hannelore Auersperg saßen, auf ihrer Seite. Der Sechser war die höchste Wertung, einige hielten ihn verkehrt als Neuner hoch, so sehr hatte Mercedes es ihnen angetan. "Ich war 24, für die anderen war ich Miss Methusalem."

Werbung für die Milchschnitte: Mercedes Stermitz.
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Kaum hatte sie den Laufsteg verlassen, saß Stermitz schon im Rennauto. Der Zufall und Helmut Marko wollten es so. "Ich war als Miss Austria natürlich ein Werbegag, aber ich konnte schon Auto fahren." Seinerzeit, als sie in Klagenfurt das Brot und die Semmeln zustellte, sei es auch schon um Tempo gegangen - "und natürlich auch um Sicherheit". Im Juni 1983, drei Monate nach der Wahl, fuhr die Miss auf dem Rechberg in der Steiermark ihr erstes Rennen, das Auto stellte der Alfahändler Vogel zur Verfügung. "Mein Vorteil war, ich hab die Strecke praktisch auswendig gekannt. Im ersten Lauf war ich gut, im zweiten Lauf war ich gut, im dritten Lauf fuhr ich Bestzeit."

Ford Fiesta Ladies Cup

Sie fuhr Autoslaloms, u. a. gegen Gerhard Berger, auf den Parkplätzen der SCS und von Minimundus, fuhr 1984 ihr erstes Rundstreckenrennen, schmückte den Ford Fiesta Ladies Cup. "Nur nichts kaputtmachen, am besten kein Kratzer - das war die Devise von Helmut Marko", sagt sie. "Aber ich bin gefahren wie eine Sau. Und das hat ihm dann doch gefallen. Das Rennfahren hat sehr viel Spaß gemacht." Mit der Deutschen Annette Meeuvissen schaffte sie 1987 den Sprung in die World Touring Car Championship, in einem BMW M3 startete sie in sechs von elf Saisonrennen, zwei siebente Plätze (Spa, Calder) schauten heraus. Sie fuhr DTM sowie einzelne EM- und WM-Läufe, 1992 war ihr letztes Motorsportjahr.

Der Unfall sollte vieles bis alles verändern. In Villach, während der Reha, hat Stermitz ihren Mann kennengelernt, am 17. August 1994. Harald hatte Fußball gespielt, bei Casino Baden, er hatte Lendenwirbelprobleme, und er hatte geraume Zeit zuvor seiner Schwester, als sie Mercedes Stermitz in einem Milchschnitte-Werbespot sahen, gesagt: "So müsste meine Frau aussehen." Nur oder schon fünf Wochen nach dem Kennenlernen wurde geheiratet, kirchlich in Maria Wörth, standesamtlich auf der "Thalia", dem großen Wörthersee-Schraubendampfer. Harald, angehender Versicherungskaufmann, hatte einen Pontiac Trans Am, "wie der Knight Rider", sagt Stermitz. Mit ihrem K.I.T.T. fuhren sie einmal nach Brünn und dort auf der Rennstrecke. "Da hat er kapiert, dass ich Auto fahren kann."

Die beiden Kinder heißen wie die Eltern. Die 19-jährige Mercedes ist "ein kleines Down-Syndrom-Mädchen", sagt die Mutter, "sie hat 200 Prozent Zuwendung gebraucht und bekommen. Aber eigentlich braucht jedes Kind 200 Prozent Zuwendung." Der um zwei Jahre jüngere Sohn Harald sei jedenfalls schneller groß und fast schon erwachsen geworden. Er besucht die HTL Mödling, ist Fußball-Goalie, hütet das Tor der U18-Mannschaft von Wiener Neustadt. Die Mama kennt sich nicht wirklich gut aus im Fußball, so gut aber doch, dass sie dem Sohn vor den Spielen stets wünscht, er möge ohne Gegentor bleiben: "Harald, zu null bitte!"

Parteien und Religionen abschaffen

Mercedes Stermitz unterhält sich gerne, mit den Nachbarn, mit der Schwägerin. Mit ihrer Verwandtschaft in Kärnten hat sie freilich kaum noch Kontakt, seit der Vater 2005 verstorben ist. Hobbys sind die Kinder - "und Nachdenken". Nachdenken über die Politik - "Es wäre besser, man würde alle Parteien abschaffen." Nachdenken über den Glauben - "Es wäre besser, man würde alle Religionen abschaffen."

Schließlich drückt Stermitz doch auf den Knopf, die Verglasung geht auf, die Terrasse liegt im Freien. Vom Haus gelangt man aber nicht nur hier hinaus, sondern auch hinein in eine Garage, dort überwintern zwei flotte Autos, ein Mercedes 500 Cabrio und ein Mitsubishi 3000. Sie sind von einer dünnen Staubschicht bedeckt. Ein Golf Diesel und ein alter Mercedes stehen draußen auf der Straße. Als Mercedes Stermitz die Tür öffnet, sagt sie, dass die Autos wahrscheinlich bald Platz tauschen werden. Auf der Fußmatte steht: "Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen." (Fritz Neumann, DER STANDARD, 30.3.2015)