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George Soros schätzt den Gesamtbedarf für ein wirksames Entwicklungsprogramm für die Ukraine auf 50 Milliarden Euro. Er selbst würde nach eigenen Worten bei einem entsprechenden politischen Umfeld rund eine Milliarde investieren, etwa in die Landwirtschaft oder die Infrastruktur.

Foto: Reuters / PASCAL LAUENER

STANDARD: Jahrelang haben Sie die deutsche Europapolitik kritisiert, Kanzlerin Angela Merkel gemaßregelt. Neuerdings klingen sie viel versöhnlicher.

Geoge Soros: In der Ukraine-Frage hat Merkel agiert wie eine echte europäische Politikerin, anstatt enge deutsche Interessen zu verfolgen. Sie versteht die echte Gefahr, die von Putins Politik ausgeht. Dafür habe ich sie gelobt. Auch in der Griechenland-Debatte hat sie sich bewährt.

STANDARD: Aber?

Soros: Unglücklicherweise führt sie in der Finanzpolitik Europa in die falsche Richtung. Daran hat sich nichts verändert, im Gegenteil, es ist schlimmer geworden. Die Sparpolitik, die Deutschland der Eurozone aufzwingt, ist fundamental falsch.

STANDARD: Merkel muss ihre Politik der Wählerschaft anpassen, von der sie wiedergewählt werden will. Wofür genau loben Sie die Kanzlerin eigentlich?

Soros: Ohne Merkel gäbe es keine Russland-Sanktionen. Die sind wichtig. Wobei ich auch feststelle: Sanktionen sind ein notwendiges Übel, aber sie reichen längst nicht aus. Einstweilen verstärken sie noch Putins Märchenwelt, wonach die russischen Finanzprobleme ausschließlich mit der Feindseligkeit des Westens zu tun haben. Um das zu entkräften, wäre die Hilfe für die Ukraine so wichtig. Das Land sollte nicht nur überleben, sondern blühen, trotz der existierenden Bedrohung. Dann würden die Russen verstehen, dass Putins Politik für ihre Lage verantwortlich ist, nicht der Westen.

STANDARD: Sie wollen die Ukraine zu einer Art West-Berlin machen, einem Vorbild für Freiheit und Wohlstand in feindlichem Umfeld?

Soros: Genau. Zu viele in Europa, auch in Deutschland, verschließen die Augen davor, welch hohen Wert die Ukraine für sie hat. Sie halten die Ukraine für ein Finanzproblem und verhalten sich ihr gegenüber wie gegenüber Griechenland. Das ist aber, wiewohl großzügig, nicht der richtige Maßstab. Denn die Ukraine verteidigt die EU gegenüber einer russischen Aggression.

STANDARD: Aus Amerika hören die Europäer entweder Schweigen oder Säbelrasseln. Dabei sagen alle Experten: Militärisch ist der Konflikt nicht zu gewinnen.

Soros: Meinem Eindruck nach schaut die Obama-Administration einstweilen zu. Es geht aber nicht um Schuldzuweisungen. Sondern wir müssen uns vergegenwärtigen, was für ein extrem wichtiger Verbündeter die Ukraine ist. Wenn sie verloren ginge, wäre das ein schwerer Verlust für Europa.

STANDARD: Müssen wir nicht Russlands Sicherheitsinteressen ernst nehmen, sofern sie nicht auf Grenzänderungen abzielen?

Soros: Die Ukraine ist weder EU- noch Nato-Mitglied, es gibt auch keine ernsthaften Pläne dafür. Russland wird von der Ukraine militärisch nicht bedroht. Es liegt allein an Putin, ob es in der Ukraine Krieg oder Frieden gibt.

STANDARD: Immerhin wollte Kiew das Separatistenproblem militärisch lösen.

Soros: Da hat Präsident Petro Poroschenko tatsächlich einen Fehler gemacht. Er glaubte, er könne die Separatisten liquidieren. Das war falsch. Aber es hatte nichts mit Russlands Sicherheit zu tun. Putin hat die nationalistische Begeisterung angefacht. Wenn er die totale Vernichtung der Separatisten zugelassen hätte, wäre es rasch ums Überleben seines eigenen Regimes gegangen. Dann wären diese Leute nach Moskau gegangen und hätten ihn des Landesverrats bezichtigt. Wir müssen genau unterscheiden zwischen den Interessen Russlands und denen Putins.

STANDARD: Wie bewerten Sie die Entmachtung des Oligarchen Ihor Kolomoiskij?

Soros: Das ist ein sehr wichtiger Schritt bei der Bekämpfung der Korruption. Das Dilemma für Kiew besteht ja darin, dass die Regierung sowohl gegen die russische Aggression wie auch gegen die Oligarchen kämpfen muss. Kolomoiskij war der Mächtigste, ist aber keineswegs der Einzige.

STANDARD: Wenn ein Investor, und sei er noch so wohlwollend, solche Machtkämpfe beobachtet, muss der doch zum Schluss kommen: Davon lasse ich lieber die Finger.

Soros: Also, wohlwollende Investoren gibt es nicht. Der Westen kann der Ukraine helfen, indem er die Attraktivität für Investoren erhöht. Es bedarf einer politischen Risikoversicherung. Die könnte etwa in Mezzanine-Finanzierung bestehen, zu EU-Zinssätzen, also sehr nahe an null. Damit würde die EU ihre Entschlossenheit demonstrieren, der Ukraine zu helfen. So wie die Ukraine entschlossen Reformen anpackt.

STANDARD: Microsoft-Gründer Bill Gates hat in Afrika viele Milliarden investiert und damit oft erst das Engagement westlicher Staaten in Gang gebracht. Könnten Sie nicht für die Ukraine eine ähnliche Vorbildfunktion übernehmen?

Soros: Ich stehe bereit. Es gibt konkrete Investitionsideen, zum Beispiel in der Landwirtschaft oder bei Infrastrukturprojekten. Ich würde eine Milliarde Dollar hineinstecken. Dabei muss Gewinn entstehen. Der käme dann meiner Stiftung zugute, nicht mir persönlich. Aber privates Engagement braucht politische Führungsstärke. Der Westen, USA und EU gemeinsam, sollten sagen: Wir machen, was nötig ist, unterhalb der Schwelle eines militärischen Konflikts und immer im Rahmen des Minsker Abkommens.

STANDARD: Sie sprechen von 50 Milliarden Euro Gesamtbedarf.

Soros: Eine realistische Größenordnung. Wenn das in Gang kommt, könnte die Ukraine florieren. Das hätte einen sehr positiven Effekt auf die EU. Ich halte deren Überleben nämlich für gefährdet, weil niemand mehr die Ideale vertritt, die am Anfang standen. Die Ukraine verteidigt Europas Grenzen. Aber vor allem kämpft das Land für ureuropäische Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Das wird zu oft vergessen.

STANDARD: Eine Gefahr für die EU stellt auch die Haltung Großbritanniens dar. Für wie wahrscheinlich halten Sie den Austritt des Landes?

Soros: Da bin ich vergleichsweise entspannt. So wie die Schotten am Ende doch für den Verbleib in der Union stimmten, werden auch die Briten davor zurückschrecken, dem Klub den Rücken zu kehren.

STANDARD: Erst kürzlich sprachen Sie von einer 50:50-Chance, dass Griechenland die Eurozone verlassen muss. Die Finanzmärkte schienen Sie zu bestätigen.

Soros: Das Risiko scheint mir geringer geworden zu sein, seit Premier Tsipras bei Merkel in Berlin zu Gast war. Ich würde sagen: Es liegt jetzt bei etwa einem Drittel.

STANDARD: Sie raten der EU, sich im Fall Griechenland weiter durchzuwursteln. Eine Krisenbewältigung der kleinen Schritte geht aber nur, wenn beide Seiten das wollen.

Soros: Die große Mehrheit der Griechen will im Euro bleiben. Ich erwarte, dass Tsipras sehr genau seine Popularität im Auge behält. Die ist bereits von 86 auf 58 Prozent gefallen (Sebastian Borger, DER STANDARD, 30.3.2015)