Nein danke: Das Schwein ist Träger eines schlechten Images in der Türkei.

Foto: Markus Bernath

Ein Grippevirus springt derzeit durch die Türkei, und dass er das Attribut "Schwein" trägt, macht die Sache in den Augen der muslimischen Öffentlichkeit nur noch fürchterlicher. 33 bis 42 Menschen sind unterschiedlichen Meldungen zufolge seit Beginn der jährlichen Grippesaison - sie dauert in der Regel von Oktober bis April - an der Schweinegrippe gestorben. 366 Personen hätten sich mit dem H1N1-Virus infiziert, so gab Gesundheitsminister Mehmet Müezzinoglu vergangene Woche bei einer Pressekonferenz in Ankara an.

Zuletzt hatte die türkische Presse jede Woche neue Todesfälle durch die domuz gribi gemeldet, was den Minister unter Druck brachte. Müezzinoglu versuchte zu beruhigen: keine Epidemie wie 2009, es sind genug Impfstoffe an die Spitäler ausgegeben worden, aber die ganze Impferei, so erklärte der Gesundheitsminister, der selbst Arzt ist, nutzt vielleicht in 30 Prozent der Fälle, und nächstes Jahr kommt der Virus in einer längst mutierten Variante wieder.

Kampagne der Pharmaindustrie?

Auch ein Professor der medizinischen Fakultät der Universität von Ankara hat - wenn man so will - den Türken reinen Wein eingeschenkt über die Schweinegrippe: Alles nur eine Kampagne der Profit machen wollenden Pharmaindustrie, sagte der Herr Professor Recep Akdur.

Mit dem rosafarbenen Borstenvieh hat die Grippewelle in der Türkei allerdings unmittelbar nicht viel zu tun. Das Virus dürfte wie schon bei der Epidemie 2009 von Menschen eingeschleppt worden sein. Denn im herkömmlichen türkischen Stall steht ein Rind oder ein Schaf, rund zehn Millionen von den einen, 30 Millionen von den anderen. Für Eier und zur Produktion von Wurst und Tavuk Şiş Kebap tummeln sich um die 300 Millionen Geflügeltiere in türkischen Gehegen.

Schweine in der Minderheit

Das Schweinderl dagegen fristet in der Türkei seit jeher ein Schattendasein. Dem Handbuch der Gerbereichemie und Lederfabrikation, Bd. 1 Die Haut, Wien 1944, entnehmen wir, dass 1938 ganze 4000 Schweine in der Türkischen Republik gezählt wurden (ihnen stand eine Armada von 16.449.000 Schafen gegenüber); 20 Jahre später sollen es 5000 Schweine gewesen sein.

Schweinehaltung in der Türkei war eine Sache der christlichen Minderheiten, und mit Mord, Vertreibung und Auswanderung der Armenier und Griechen im 20. Jahrhundert ist sie noch kleiner geworden. Die übergroße Mehrheit im Land isst Hammel/Rind/Huhn.

Fleisch schwer zu bekommen

Sure 5 legt den gläubigen Muslimen unter anderem das Verbot des Verzehrs von Schweinefleisch auf. Wer heutzutage unbedingt einmal Schweinernes braucht, wird zumindest in den türkischen Großstädten Istanbul und Ankara schon fündig. Greißler in den Vierteln mit Christen oder hart gesotten weltlichen Kemalisten führen diskret Wurst und Schinken in einer Ecke der Vitrinen; einige wenige Traditionsmetzgereien, die in Schwein machen, gibt es auch noch, und natürlich teure Supermärkte für den türkischen Jetset und die Expats.

Zur religiös-sozialisierten Schweineverachtung ist in den vergangenen Jahren auch noch der medizinische Risikofaktor gekommen. Den Influenza-Substamm H1N1 hat die westliche Schweinezivilisation produziert, so heißt es.

Aber dann gibt es noch diese neuesten, reichlich beunruhigenden Nachrichten von der Tierärztlichen Hochschule aus Hannover: Forscher haben in Blutproben von Schafen und Ziegen in der Türkei aus den Jahren 2004 bis 2007 Antikörper gefunden, die einen neuen, der Schweinepest recht ähnlichen Erreger zeigten ... ( Markus Bernath, derStandard.at, 30.3.2015)