Wien – Die Polizei scheint es sich gelegentlich bei ihren Ermittlungen mehr als einfach zu machen. Wie sich beim Prozess gegen sechs junge Männer zeigt, die wegen Raufhandels vor Richterin Michaela Röggla-Weisz sitzen. Die sollen sich im Vorjahr auf einem Spielplatz in St. Pölten mit einer anderen Gruppe geprügelt haben, am Ende blieb einer der Gegner mit einem gebrochenen Finger und Kopfprellungen zurück.
Nur einer der Angeklagten gibt zu, mit einem Kontrahenten aneinandergeraten zu sein. Allerdings erst, nachdem er den Konflikt schlichten wollte und im Zuge dessen einen Cut und ein gehöriges blaues Auge abbekommen hat.
Vier weitere wollen nur am Rande dabeigestanden, einer überhaupt nicht am Tatort gewesen sein. Wobei die Schilderungen gar nicht so unglaubwürdig klingen. Warum sie dann trotzdem hier sind? Eine berechtigte Frage, die die Angeklagten an die Polizei richten sollten.
Das beginnt schon bei jenem Twen, der sagt, gar nicht dort gewesen sein. Alle anderen bestätigen, dass sie ihn erst vor seinem Elternhaus gesehen haben, auch dessen Eltern und Bekannte könnten das bestätigen.
Fotografische Gegenüberstellung
Nur ein einziger Zeuge belastete ihn bei der Polizei – anhand eines Fotos. Eigentlich sieht das Gesetz vor, dass eine derartige Identifizierung ähnlich wie eine aus Film und Fernsehen bekannte Gegenüberstellung stattfinden müsste.
Zunächst müssen das Opfer oder der Zeuge besondere Merkmale beschreiben, an die sie sich erinnern können. Und anhand dieser sollten zusätzlich zum Bild des Verdächtigen Fotos von Unbeteiligten verwendet werden. Ein Prozedere, das logischerweise aufwändiger ist, als einfach nur die Bilder der Verdächtigen vorzulegen. Was wohl der Hauptgrund ist, warum die Exekutive gerne zu letzterer Variante greift, wie man vor Gericht immer wieder erleben kann.
So auch in diesem Fall: Der Belastungszeuge erkennt nur jenen Mann wieder, der selbst zugibt, sich verteidigt zu haben. Röggla-Weisz wundert sich, warum er bei der St. Pöltener Polizei noch zwei weitere als Aggressoren identifiziert hat. Habe er gar nicht, sagt der Mann – und auch das ist nicht unglaubwürdig.
Vernehmung ohne Dolmetscher
Der Grund: Der Zeuge spricht ganz offenhörbar nur ein paar Brocken Deutsch und benötigt daher vor Gericht einen Dolmetscher. In der Polizeiinspektion war laut Protokoll ein solcher nicht da. Die Chance, dass er also nur Personen identifiziert hat, die er vom Sehen her kennt, ist also gut.
Der Verletzte wiederum will zunächst in Abwesenheit der Angeklagten vernommen werden, er hat Angst. Murrend verlassen die infantil-lässigen Männer den Saal. Und kommen kurz darauf zurück – auch das Opfer sagt, er müsse seine möglichen Angreifer sehen. Er sieht – und auch er beschuldigt nur den, der selbst verletzt wurde.
Freisprüche fällt Röggla-Weisz dennoch nicht – sie entscheidet sich dafür, überhaupt zu keinem Urteil zu kommen. Sie bietet allen eine Diversion an, die rechtskräftig wird. Wenn die nächsten zwei Jahre nichts passiert, ist die Sache für die Gruppe erledigt. Den Strafantrag gegen den Mann, der gar nicht am Tatort gewesen sein will, hat zuvor sogar schon die Staatsanwältin zurückgezogen. (Michael Möseneder, derStandard.at, 30.3.2015)