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"Oh, da haben wir ein Problem", sagte der Protokollchef von Polens Präsident Lech Kaczynski, als ihn Piloten über den Nebel in Smolensk informierten. Wenig später stürzte die Maschine mit 96 Insassen in einen Wald.

Foto: AP / Mikhail Metzel

Polen will zwei russische Fluglotsen vor Gericht stellen. Sie seien mit schuld am Absturz der polnischen Präsidentenmaschine vor fünf Jahren auf dem Militärflughafen von Smolensk. Bei der in dichtem Nebel versuchten Blindlandung waren am 10. April 2010 der damalige Staatspräsident Polens Lech Kaczynski, seine Frau Maria sowie 94 weitere Menschen ums Leben gekommen. Die russischen Fluglotsen, so erklärte Ireneusz Szelag, der Chef der Warschauer Militärstaatsanwaltschaft, hätten bei den dramatisch schlechten Wetterverhältnissen den Flughafen schließen und jeden Landeversuch verbieten müssen.

Der 200-seitige Bericht, den Szelag nun vorstellte, bestätigt weitgehend die Ergebnisse der Internationalen Luftfahrtkommission MAK in Moskau und der polnischen Untersuchungskommission für Flugunfälle. Die Fluglotsen, denen klar war, dass die Präsidentenmaschine aus Polen bei dem dichten Nebel nicht landen konnte, riefen eigens in Moskau an, um sich politisch abzusichern: Die Schließung des Flughafens hätte als Affront gegen den polnischen Präsidenten ausgelegt werden können, wollte die Delegation doch an einer Gedenkveranstaltung für die 1940 vom sowjetischen Geheimdienst ermordeten polnischen Offiziere teilnehmen.

Der Sinkflug ging zu weit

Die Lotsen warnten eindringlich vor einer Landung, genehmigten aber einen Sinkflug auf bis zu 100 Meter. Offenbar gingen sie davon aus, dass die Piloten nicht in der Lage sein würden, den Boden zu sehen und die Maschine daher wieder hochziehen würden.

Im Cockpit – so zeichnete es der Stimmenrekorder auf – hatte der Flugkapitän bereits eine halbe Stunde vor der geplanten Landung den Protokollchef gebeten, Kaczynski über den dichten Nebel zu informieren. Eine Landung sei wohl nicht möglich. "Oh, da haben wir ein Problem", antwortete dieser nur und verschwand, um die Entscheidung des Präsidenten einzuholen.

Sicher ist, dass die Piloten sich nicht an die Höhenvorgabe des Towers in Smolensk hielten, sondern stoisch auf Sinkflug blieben, selbst als die Fluglotsen panisch "Horizont" ins Mikro schrien und das automatische Warnsystem an Bord "Pull up, pull up!" (Zieh hoch!) plärrte. Rund 30 Meter über dem Boden erkannten die Piloten, dass sie nicht auf die Landebahn zusteuerten, sondern auf einen Wald. Der Versuch, die Maschine doch noch hochzureißen, scheiterte, da ein so großes Flugzeug nicht von einer Sekunde auf die nächste aus dem Sink- wieder in den Steigflug zu bringen ist. Als eine hohe Birke einen Teil des linken Flügels abriss, zeichnete die Black Box nur noch Schreie auf, einen obszönen Fluch, ungeheuren Lärm – und dann Stille.

Keine Indizien für Anschlag

Szelag bestätigte, dass keinerlei Anzeichen für einen Anschlag gefunden wurden. Die Hauptschuld für den Absturz der Maschine trügen die polnischen Piloten. Dennoch wolle man die russische Staatsanwaltschaft um Rechtshilfe bitten und auch die beiden Fluglotsen als Verdächtige verhören.

In Russland widersprach das Ermittlungskomitee der polnischen Expertise: Die russischen Fluglotsen hätten sich nichts zuschulden kommen lassen, die polnischen Piloten trügen die Alleinschuld an dem Absturz. (Gabriele Lesser aus Warschau, DER STANDARD, 31.3.2015)