Wien – Zlatko Junuzovic kann problemlos darüber sprechen. "Weil ich mich daran nicht erinnern kann." Viereinhalb Jahre alt ist der heute 27-Jährige gewesen, als er mit Papa, Mama und der älteren Schwester in Kärnten eingetroffen ist. Die genauen Umstände der Flucht vor dem Bosnienkrieg kennt er nicht. "Mein Papa hat ein bisserl was erzählt, sicher nicht alles, ich akzeptiere das."
Die Familie Junuzovic lebt in Graz, der Vater arbeitet in einem Lager. Der Sohn wohnt logischerweise in Bremen, er kickt ja für Werder. Bis zum 15. Lebensjahr besaß Zlatko auch die bosnische Staatsbürgerschaft, er hat sie ohne sentimentale Gefühle zurückgelegt. "Ich kenne nur Österreich, ich fühle mich als Österreicher, wurde da sozialisiert, habe hier den Fußball erlernt." Er ist noch nie in der Heimat seiner Vorfahren gewesen, Sarajevo kennt er aus Erzählungen. "Vielleicht schaue ich es mir irgendwann an. Wenn ich Zeit habe." Die Oma und die Tante sind in Bosnien geblieben, der Kontakt wird regelmäßig gepflegt. "Aber sie besuchen immer nur uns."
Junuzovic gibt zu, dass die Partie gegen Bosnien-Herzegowina "schon etwas Besonderes ist. Vor allem für meine Familie. Ich spiele gegen meine eigenen Wurzeln." Die Stimmung im Stadion werde "extrem cool" sein. "Es leben ja viele Bosnier in Wien." Das Happel-Stadion dürfte ausverkauft sein, bis Montag waren 45.000 Tickets abgesetzt.
Kapitän Christian Fuchs rührt dieses Interesse an einem Freundschaftsspiel. "Vor gar nicht allzu langer Zeit fanden solche Matches im leeren Stadion statt. Die Fans anerkennen unsere Leistungen, wir haben die Erwartungshaltung geweckt. Das ist definitiv die schönste Phase in meiner Teamkarriere. Es ist viel Schwung und Dynamik drin." Der 28-jährige Fuchs debütierte im Mai 2006 gegen Kroatien, über das 1:4-Heimdebakel sei der Mantel des Schweigens gehüllt.
Junuzovic teilt die Einschätzung des Kapitäns. Das 5:0 am vergangenen Freitag in Liechtenstein habe für einen weiteren Schub gesorgt. Natürlich sei Österreich noch nicht in Frankreich, dem Schauplatz der EM 2016, angekommen. "Aber wir sind nahe, wir streben danach. Wir sind unter Marcel Koller gereift, der Kader ist über einen langen Zeitraum gleich geblieben. Jeder arbeitet an sich, jeder hat Stärken, die einander ergänzen. Und wir haben ein gemeinsames Ziel, die EM-Endrunde. Dem wird alles untergeordnet."
Bosnien-Herzegowina liegt in der Weltrangliste als 30. sieben Plätze hinter Österreich. Junuzovic erwartet ein Spiel auf Augenhöhe. "Sie haben mit Edin Dzeko einen Weltklassestürmer, aber wir sind als Mannschaft stärker. Wir werden sie nicht zur Ruhe kommen lassen." Fuchs drückt es so aus: "Sie sind robust, besitzen individuelle Klasse. Es liegt aber an uns, unser Spiel zu spielen und den Gegner nicht zum Atmen kommen zu lassen."
Der offensive Junuzovic wird im Mittelfeld die Positionen mit den defensiveren Spielern Julian Baumgartlinger und David Alaba je nach Bedarf tauschen und im Idealfall die Bosnier verwirren. "Es ist egal, wer als Sechser, Achter oder Zehner agiert, wir bewegen uns kreuz und quer. Das macht Spaß."
Kulttrainer
Bosnien-Herzegowina ist in der Qualifikationsgruppe B nur Fünfter, man konnte mit einem 1:2 daheim gegen Zypern dienen. Dabei war die Mannschaft Teil der WM in Brasilien. Ivica Osim, nationale Ikone und ehemaliger Kulttrainer von Sturm Graz, arbeitet als Berater für den bosnischen Verband, steht regelmäßig in Kontakt mit dem neuen Teamchef Mehmed Bazdarevic. "Nach der WM haben viele geglaubt, wir haben einen Schritt nach vorn gemacht. Aber dann habe einige Spieler nur für sich selbst gespielt." Das ÖFB-Team lobt der 73-jährige Osim. "Moderne Spielweise, sie laufen und kämpfen viel."
Zlatko Junuzovic ist der Name Osim ein Begriff. "Leider bin ich ihm noch nie begegnet." Osim lebt übrigens die meiste Zeit in Graz. Die Oma und die Tante von Junuzovic sind ab und zu dort. Sie kommen regelmäßig auf Besuch. (Christian Hackl, DER STANDARD, 31.3.2015)
Technische Daten und mögliche Aufstellungen zum Fußball-Länderspiel Österreich – Bosnien-Herzegowina am Dienstag:
Österreich – Bosnien-Herzegowina (Wien, Ernst-Happel-Stadion, Dienstag, 20.30 Uhr/live ORF eins, SR Libor Kovarik/CZE)
Österreich: Almer (Hannover/GER/21 Länderspiele) - Klein (Stuttgart/GER/26/0 Tore), Dragovic (Dynamo Kiew/UKR/36/1), Hinteregger (Salzburg/8/0), Fuchs (Schalke/GER/66/1) - Baumgartlinger (Mainz/GER/35/1), Alaba (Bayern München/GER/36/9) - Harnik (Stuttgart/GER/49/11), Junuzovic (Werder Bremen/GER/38/5), Arnautovic (Stoke City/ENG/41/8) - Janko (Sydney FC/AUS/44/19)
Ersatz: Lindner (Austria/7), Özcan (Ingolstadt/GER/3) - Garics (Bologna/ITA/40/2), Prödl (Werder Bremen/GER/48/4), Suttner (Austria/13/0), Wimmer (Köln/GER/1/0), Ilsanker (Salzburg/6/0), Sabitzer (Salzburg/10/2), Weimann (Aston Villa/ENG/13/0), Djuricin (Salzburg/1/0), Hinterseer (Ingolstadt/GER/5/0)
Es fehlen: Okotie, Leitgeb (beide Knieprobleme), Ulmer (Adduktorenverletzung), Kavlak (Schulterprobleme)
Bosnien-Herzegowina: Begovic (Stoke City/ENG) - Mujdza (SC Freiburg/GER), Spahic (Bayer Leverkusen/GER), Vranjes (Gaziantepspor/TUR), Zukanovic (Chievo Verona/ITA) - Visca (Istanbul BB/TUR), Besic (Everton/ENG), Pjanic (AS Roma/ITA), Lulic (Lazio Rom/ITA) - Ibisevic (Stuttgart/GER), Dzeko (Manchester City/ENG)
Ersatz: Sehic (Karabach Agdam/AZE), Dujkovic (HSK Zrinjski) - Bicakcic (Hoffenheim/GER), Vrsajevic (Hajduk Split/CRO), Cocalic (Mechelen/BEL), Sunjic (Krasnodar/RUS), Hadzic (Sturm Graz/AUT), Hajrovic (Werder Bremen/GER), Medunjanin (Deportivo La Coruna/ESP), Prcic (Stade Rennes/FRA), Cimirot (FK Sarajevo), Susic (Hajduk Split/CRO), Salihovic (Hoffenheim/GER), Stilic (Wisla Krakau/POL), Duric (Cesena/ITA), Bajic (Zeljeznicar)