Blickregime zu brechen ist von jeher ein Ziel der Medienkünstlerin Pipilotti Rist. In der Kunsthalle Krems verbindet sie dieses Anliegen mit einem beherzten Griff in den Kitschtopf (Bild: "Sip My Ocean").

Foto: Pere Pratdesaba

Krems - Am Eingang verbreitet ein Luster aus getragener Unterwäsche schummriges Licht. In mancher Ausstellung wäre das ein böses Omen. Nicht jedoch, wenn die Künstlerin Pipilotti Rist heißt. Dann geleitet solches Dämmerlicht ins Paradies, wo das Gras saftig und der Himmel stets blau ist. Ihr, die ihr eintretet, lasst alle Hüllen fallen, und behaltet eure Hoffnung!

Um Missverständnissen vorzubeugen: Komm Schatz, wir stellen die Medien um & fangen nochmals von vorne an, die Personale der 1962 geborenen Schweizer Künstlerin in der Kunsthalle Krems, ist keine FKK-Ausstellung. Aber sie ist eine Hymne an die Natur und das Allzumenschliche. Und man muss sich nicht entkleiden, um sich darin nackt zu fühlen, so umspült von Bildern aus einer Kamera, die sich unterschiedslos anschmiegt an Pflanzen und Körper wie in einem Geschlechtsakt; sie hungrig umkreist und quadratzentimeterweise heiligspricht.

Wie die Kamera mit ihren Objekten, so wollen hier die Videos mit dem Betrachter verschmelzen: Sie füllen Räume oder streifen Besucher, wo sie auf Stoffbahnen projiziert sind. Einmal geben sie sich, eingeschlossen in Glaskugeln, als ob man sie verschlucken könnte, machen Betrachter zu Riesen. Dann wieder scheinen sie ihrerseits den auffressen zu wollen, der da inmitten von Close-ups die Milbenperspektive einnimmt.

Wenn Rist die Medien umstellt, dann mit dem Ziel, ihnen Körperlichkeit zu verleihen. Sie möchte den Intellekt hintergehen und direkt die Sinne ansprechen. Auf die Spitze treibt sie solches im letzten Raum, wo sich über drei Wände - 360 Quadratmeter - die Arbeit Gnade Donau Gnade erstreckt: ein vorwitziger Versuch, ein quantitativ Überwältigendes nur aus Pixeln zu schaffen. Umschwappt von graublauen Fluten möchte man hier Ausgleichsschritte machen, weil man meint, gleich kippe der Raum. Zumindest, wenn man sich nicht auf die hier wie fast überall herumliegenden Pölster gefläzt hat.

Wie die Videos an die Wand kamen, wie Rist die Schwerkraft aushebelte, davon erzählt Komm Schatz zunächst. Kurator Hans-Peter Wipplinger will die "Befreiung der Bilder aus dem Kastl" nachvollziehen, die Hinwendung der Videokünstlerin Rist zu Environments: Mit feministischen Reflexionen auf Musikvideos (z. B. mit I'm not the girl who misses much) erlangte sie in den 1980ern Berühmtheit; seit den 1990er-Jahren webt Rist aus Objekten, Bewegtbildern und Klängen Atmosphären, hinter denen der White Cube kaum wiederzuerkennen ist.

Rist hat die Wunderlampe Bildschirm gesprengt, auf dass sich gefangene Geister in allen Ritzen des Raums verteilten. Buchstäblich zu verstehen ist das für die Installation Kremser Zimmer, wo sogar noch in einem Brandloch im Teppich eine Figur flimmert.

Die gut gereifte Bildsprache Rists mit ihren Close-ups und Überlagerungen entwickelt in ihren Environments indes ungeahnte Kraft. Mikro- und Makrokosmos, Feld und Flur, Haut und Haar: Alles fließt hier; bloß ein bisschen untertourig. Rist hat die Farbsättigung rauf- und das Tempo runtergedreht. Selbst gewaltsame Bewegungen wie im Video Ever Is Over All (1997), in dem Rist mit einer Metallblume Autofenster einschlägt, erscheinen friedlich, wie unter Wasser. Dort spielt dann Sip My Ocean (2009), eine weitere Variation auf den Kampf Natur versus Kultur: Zu einem betörenden Cover von Chris Isaaks Wicked Game sinken Spielzeugautos, Kaffeetassen, Zivilisationsobjekte auf den Meeresboden.

Alles fließt, aber zu langsam

Ja, Komm Schatz ist herzhafte Koketterie mit süßlichen Hippiefantasien und Kitsch. Bezeichnenderweise versetzen einen irgendwann plötzlich Kleidungsstücke auf einer Wäscheleine - vor blauem Himmel - mitten in die Weichspülerwerbung. Aber man kann der Rist einfach nicht böse sein dafür, dass sie die Frage, ob Kunst wehtun müsse, hier mit solch überdeutlichem Nein beantwortet; für diese Wohlfühlschau, in der Geschlechtsorgane zur Abwechslung einmal einfach nur Sinnesorgane sind, ohne kämpferischen Gestus. Und natürlich muss die mystische Verschmelzung zwischen Mensch und Natur in der medialen Vermittlung letztlich misslingen. Aber ganz wie beim zwischenmenschlichen Liebesspiel kommt es eben auf den Versuch an. (Roman Gerold, DER STANDARD, 1.4.2015)