Heimo Halbrainer, "Lager Wagna 1914-1963. Die zeitweise drittgrößte Stadt der Steiermark". € 9,90 / 160 Seiten. CLIO-Verlag, Herausgeber Universalmuseum Joanneum, Graz 2015

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Entweder Ordnung und Schutz der einheimischen Bevölkerung oder weg aus dem Lande mit Leuten, die sich nicht einordnen wollen in die Gesetze und Sitten" - es ist bemerkenswert, wie aktuell die empörte Forderung des steirischen Landtagsabgeordneten August Einspinner aus dem Jahr 1917 noch immer klingt.

Anlass seines Zorns war ein Vorfall im Flüchtlingslager Wagna, wo Lagerinsassinnen gegen die Misshandlung zweier internierter Soldaten durch Gendarmen demonstriert und Kinder Steine geworfen hatten. In der Folge wurde ein 11-jähriger Flüchtlingsbub von einem Gendarmen erschossen.

Die Hintergründe dieses vermeintlichen Unfalls erfährt man im kürzlich erschienenen Buch Lager Wagna 1914-1963, in dem der Grazer Zeithistoriker Heimo Halbrainer die lange verdrängte Geschichte dieses steirischen "Multifunktions"-Lagers über dem Gräberfeld der römischen Stadt Flavia Solva erstmals aufrollt.

Ursprünglich wurde die Lagerstadt Wagna, in der zeitweise über 21.000 Menschen untergebracht waren, 1914 für Kriegsflüchtlinge aus den Kampfzonen der Monarchie eingerichtet. Während wohlhabende Flüchtlinge meist in Gemeinden unterkamen, landete in Wagna die Masse der Mittellosen.

Die einheimische Bevölkerung stand diesen Menschen mit Misstrauen gegenüber, und so wurde die in Wagna sichtbar werdende Flüchtlingspolitik "als Teil einer nationalen und patriotischen Erziehungs- und Kulturarbeit 'verkauft'", schreibt Halbrainer.

Tatsächlich waren die Lebensbedingungen im Lager, das im Verlauf des Krieges auch zur Unterbringung von Kriegsgefangenen und Internierten genutzt wurde, katastrophal. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs lebten auf dem Gelände nur noch ein paar Hundert Flüchtlinge und ehemalige Lagerangestellte, bis Wagna 1940 erneut zum Verwahrungsort für Kriegsvertriebene wurde.

Wieder hat man hastig Baracken aus dem Boden gestampft, diesmal für volksdeutsche "Umsiedler" aus der Bukowina. Nach ihrer Rückführung wurde Wagna 1941/42 kurzzeitig als Lehrerbildungsanstalt genutzt, dann als Kriegsgefangenenlager und nach 1945 als Lager für "Displaced Persons", von denen vor allem Volksdeutsche länger blieben.

Als Ende der 1950er-Jahre immer mehr jugoslawische Staatsangehörige über die Grenze kamen, diente Wagna vor seinem endgültigen Abbruch 1964 auch noch als Auffanglager für die unerwünschten "Wirtschaftsflüchtlinge".

Halbrainer bleibt in seinen Ausführungen nahe an den akribisch durchforsteten Quellen, er zitiert aus Statistiken, Gesetzen, amtlichen Protokollen, Interviews und Zeitungen. In Verbindung mit seinen Erläuterungen zu den großen politischen Zusammenhängen entsteht daraus ein eindringliches Bild vom wiederkehrenden Flüchtlingselend, dessen Ursachen und dessen oft hilfloser, mitunter brutaler Verwaltung.

Damit ist es dem Historiker nicht nur gelungen, ein Stück brisanter Regionalgeschichte vor dem Vergessen zu retten. Der genaue Blick hinter die Lagermauern lässt auch erahnen, was es für Menschen konkret bedeutet, wenn sie von der sogenannten "großen Politik" zu scheinbar beliebig verschiebbaren Spielfiguren gemacht werden. (Doris Griesser, DER STANDARD, 1.4.2015)