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Scheinmedizin kann durchaus Vorteile haben: Bei eher harmlosen Beschwerden ist ein Scheinmedikament ohne Nebenwirkung gelegentlich die bessere Idee als ein echtes Medikament mit echten Nebenwirkungen.

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EbM-Experte Gerald Gartlehner nimmt fürderStandard.at regelmäßig aktuelle Studien unter die Lupe.

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Eine medizinische Behandlung beinhaltet grundsätzlich die Annahme, helfen zu können. Wissenschaftliche Medizin macht nichts anderes als diese Annahme so streng und objektiv wie möglich zu überprüfen. Damit Patienten und Ärzte gemeinsam abschätzen können, was im jeweiligen Fall die beste Behandlung ist.

Manche medizinische Maßnahmen stellen sich diesem Test erst gar nicht, wie es beispielsweise bei Schüßler Salzen der Fall ist; andere wie die Homöopathie sind bereits bei diesem Test durchgefallen. Und was macht die Ärztekammer? Sie verteilt Diplome zu einigen dieser durchgefallenen Therapien, beispielsweise zur anthroposophischen Medizin, zur Homöopathie oder zur Kinesiologie. Das mag für einige Ärzte geschäftsfördernd sein, bewegt sich aber am Rande der bewussten Patiententäuschung. Bei vielen Menschen wird der Eindruck entstehen "wenn Ärzte das machen und dafür sogar ein Diplom der Ärztekammer haben, wird die Wirksamkeit schon erwiesen sein".

Es geht nicht darum, Scheinmedizin zu verbieten - Patienten sollen schließlich so viel Wahlfreiheit wie möglich haben. Es geht um die Frage, wie Einrichtungen, die der Wissenschaftlichkeit verpflichtet sind, mit Scheinmedizin umgehen sollen. Wie die "Initiative für wissenschaftliche Medizin" betont, hat der Gesetzgeber "Ärzte zur Beachtung der Wissenschaftlichkeit in der Ausübung ärztlicher Tätigkeit verpflichtet." Die Initiatoren stellen daher die Forderung an die Ärztekammer ihre Kurse und Diplome für Scheinmedizin einzustellen. Dieser Forderung schließe ich mich gerne an.

Fragwürdige Geschäfte mit Homöopathie

Doch nicht nur die Ärztekammer wird dem eigenen Anspruch an die Wissenschaftlichkeit nicht immer gerecht, auch der Staat trifft seltsame Regelungen: Beispielsweise müssen homöopathische Mittel in der Apotheke verkauft werden und nehmen einen rechtlichen Sonderstatus ein - sie gelten als Arzneimittel, obwohl sie nie ihre Wirksamkeit nachweisen müssen. Damit gaukelt der Gesetzgeber seinen Bürgern etwas vor.

Die Apotheken selbst sind an dem Geschäft abseits der Krankenkassenumsätze natürlich ebenfalls interessiert und manche haben sich in ihrer Beratung und der Einrichtung auf dieses Zusatzgeschäft spezialisiert.

Frei von Nebenwirkungen?

Aus Sicht des Einzelnen kann Scheinmedizin durchaus Vorteile haben. Bei eher harmlosen Beschwerden ist ein Scheinmedikament ohne Nebenwirkung gelegentlich die bessere Idee als ein echtes Medikament mit echten Nebenwirkungen: Bachblüten haben zwar keine spezifische Wirkung, aber bei Prüfungsangst helfen sie alleine über den Placeboeffekt bei 60 Prozent der Anwender - und richten dabei keinen Schaden an.

Ob der rezeptfreie Hustensaft Dextrometorphan hilft, ist fraglich, aber mit Sicherheit ist er bei harmlosem Husten ungefährlicher als Codein, das bei Kindern schon zu Todesfällen geführt hat. Aber auch in solchen Situationen wirft der Umgang von Ärzten mit Scheinmedizin ethische Fragen auf: Dürfen Ärzte Therapien verordnen, von denen sie wissen, dass sie unwirksam sind, um Nebenwirkungen anderer Medikamente zu vermeiden? Oder mit anderen Worten: Dürfen Ärzte ihre Patienten bewusst täuschen, indem sie Scheinmedikamente einsetzen und auf Placebowirkung bauen?

Diese ethischen Fragen sind bei weitem nicht ausdiskutiert. Aber lohnen diese wenigen Situationen all die Täuschung? Die Berge an pseudowissenschaftlichen Theorien, die falschen Versprechungen?

Therapieverschleppung

Außerdem besteht in manchen Fällen die Gefahr, dass durch die wirkungslosen Behandlungen wertvolle Zeit verloren geht und zu spät mit der richtigen Therapie begonnen wird. Je mehr Scheinmedizin Einzug findet in Bereiche, die eigentlich der wissenschaftlichen Medizin verpflichtet sind, umso mehr wird diese Therapieverschleppung zu einer realen Gefahr für Patienten.

Daher ist es entscheidend, dass Institutionen wie die Ärztekammer hier eine seriöse Linie einhalten; im Moment distanziert sie sich auf der einen Seite in Statements von Scheinmedizin und auf der anderen Seite vergibt sie dafür Diplome. Auf der Homepage der "Initiative für wissenschaftliche Medizin" kann man dagegen ein Zeichen setzen. (Gerald Gartlehner, derStandard.at, 4.4.2015)