Düsseldorf/Seyne-les-Alpes/Wien - Nach dem Airbus-Absturz in Frankreich richtet sich das mediale Interesse naturgemäß auf die möglichen Ursachen und Hintergründe. Die vermutete Suizidhandlung des Piloten und vor allem die Berichterstattung darüber haben jetzt die österreichischen Psychiater zu einem Appell an die Medien veranlasst. Der Tenor: Mäßigung und Zurückhaltung seien angesagt.

"Die Berichterstattung im Rahmen des Unglücks der Fluggesellschaft Germanwings liegt uns besonders am Herzen", schrieben die Vertreter der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, der Österreichischen Gesellschaft für Suizidprävention, der Österreichischen Gesellschaft für Public Health und der Wiener Werkstätte für Suizidforschung in dem offenen Brief. Man müsse, so die Fachleute, einbeziehen, dass es gesichertes Wissen sei, wonach durch Medienberichterstattung über Suizide "unter Umständen Folgesuizide ausgelöst werden können. Ebenso wichtig ist uns, dass Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen nicht pauschal vorverurteilt werden. Wir ersuchen Sie die Inhalte unseres Statements bei der Gestaltung Ihrer Berichterstattung zu berücksichtigen."

"Nicht emotionalisierend, nicht spekulativ"

Die Fachleute "empfehlen" und "ersuchen um eine zurückhaltende, nicht emotionalisierende und nicht spekulative Berichterstattung über den Absturz des Germanwings-Fluges 4U9525." Obwohl bisher nur Details bekannt und rekonstruierbar seien, werde "in der Öffentlichkeit über Motive und Ursachen spekuliert. Dabei werden häufig auch sehr einfache oder auf den Fall nicht anwendbare Erklärungsmodelle verwendet", heißt es in der Stellungnahme. Stattdessen sollte man die Geschehnisse erst nach einer seriösen Untersuchung aller Begleitumstände zu bewerten versuchen.

Die Psychiater und in der Suizidforschung- und -Prävention aktiven Fachleute weisen auf Fakten hin, die sich auch in nationalen Suizidpräventionsprogrammen als wichtige Inhalte finden. So seien einfache Erklärungen nicht zutreffend, ein Suizid sei immer das Resultat des Einflusses vieler unterschiedlicher Faktoren. "Verkürzte und monokausale Erklärungen" seien zumeist schlichtweg unrichtig. Die Fachleute: "Bei einem Suizid können psychische, somatische, biografische, soziale, gesellschaftliche, kulturelle Faktoren und aktuelle Ereignisse eine Rolle spielen. Zwar ereignen sich ca. 90 Prozent aller Suizide vor dem Hintergrund einer psychischen Erkrankung, sie werden durch diese Erkrankung jedoch nicht erklärt."

Eine psychische Erkrankung führe weder zwingend zur Suizidalität - schon gar nicht zum Mord -, noch sei sie eine Voraussetzung dazu. "Einfache Erklärungen wie 'Depressionen', 'Arbeitslosigkeit', 'Schulden'" würden daher nur wenig zum nachträglichen Verständnis einer suizidalen Handlung beitragen, betonten die Experten. Der in den aktuellen Diskussionen derzeit oft genannte "erweiterte Selbstmord", unter dem zumeist die Ermordung nahestehender Personen und die nachfolgende Selbsttötung verstanden werden, treffe auf den Fall eines möglicherweise absichtlich herbeigeführten Absturzes einer voll besetzten Passagiermaschine ohne nahe Bezugspersonen nicht zu bzw. erweise sich als nicht übertragbar.

Bisher acht ähnliche Fälle dokumentiert

Der absichtlich herbeigeführte Absturz eines Flugzeuges durch den Piloten ist ein bekanntes, aber extrem seltenes Phänomen, hieß es in dem offenen Brief. Die Federal Aviation Administration (FAA) der USA dokumentiere acht in suizidaler Absicht herbeigeführte Flugzeugabstürze im Zeitraum der Jahre 2003 bis 2012 und 16 Fälle zwischen 1993 und 2002. Den 24 Fällen in 20 Jahren in den USA stehen 6.406 Flugzeugunfälle mit tödlichem Ausgang gegenüber. Dies entspricht einem Anteil von knapp 0,4 Prozent aller Flugzeugabstürze in den USA. Für Deutschland konnten demnach in einem Zeitraum von 34 Jahren (1974 bis 2007) neun Flugzeugabstürze ermittelt werden, bei denen ein suizidaler Hintergrund vermutet wurde. Alle Fälle betreffen in der überwiegenden Mehrzahl kleine Flugzeuge. Dritte kamen den Experten zufolge nicht oft zu Schaden.

Der absichtlich herbeigeführte Absturz einer großen und mit Passagieren besetzten Linienmaschine durch einen Piloten konnte vermutlich bisher nur in einem Fall als Ursache zweifelsfrei nachgewiesen werden, betonten die Fachleute. Dies ist der Fall des Absturzes einer Maschine im Jahr 1982 in Japan, welcher durch einen Piloten im Zustand einer akuten und heftigen psychischen Beeinträchtigung herbeigeführt wurde. Alle weiteren vier Fälle (1994 Marokko, 1997 Indonesien, 1999 New York, 2014 Malaysia Airlines) sind nicht eindeutig klassifiziert, ein abschließender Bericht zu einem Absturz 2013 in Namibia steht bisher noch aus.

"Eine konkrete Beurteilung der Beweggründe eines Täters, eine Vielzahl von Menschen und sich selbst durch den Absturz eines Flugzeuges zu töten, ist daher schwierig und aufgrund der bisherigen Erkenntnisse noch sehr spekulativ", so die Experten. Sie empfahlen, in der Berichterstattung die Empfehlungen der österreichischen Suizidforscher zu berücksichtigen.(APA, 4.4.2015)