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Die Fehden zwischen den Yakuza (im Bild) und koreanischen Banden reichen noch in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück, als die Japaner die Koreanische Halbinsel besetzen.

Foto: EPA/FRANCK ROBICHON

Sie sind nahezu unsichtbar, leben nach eigenen Regeln und meiden die Öffentlichkeit. Auch wenn ihr Geschäftsmodell auf Kriminalität basiert, kommen sie nur selten mit dem Gesetz in Konflikt: die koreanischen Mafiosi. "Geontal" bezeichnen sich die Gangster selbstbewusst, was sich in etwa mit "Tunichtgut" übersetzen lässt. Nun ging der Polizei ein ziemlich dicker Fisch ins Netz.

Eine knappe Million Euro soll Herr Kim, dessen Vorname von der Staatsanwaltschaft geheim gehalten wird, veruntreut haben. Der 45-Jährige kaufte sich bei mindestens drei Firmen als Großaktionär ein, hinterzog Firmengelder und manipulierte Aktienkurse. Nach nicht einmal einem Jahr waren die Firmen ruiniert. Bei dem Angeklagten soll es sich um den Adoptivsohn des wohl berüchtigsten koreanischen Mafiabosses der Nachkriegszeit handeln.

Respektierter Gangster

Kim Tae-chon leitete zu Lebzeiten eines der drei großen Syndikate des Landes. Nachdem er in den 70er-Jahren von der Provinz nach Seoul gezogen war, gelang es ihm, ein enges Beziehungsgeflecht mit Regierungspolitikern, Wirtschaftsbossen und Celebritys zu knüpfen. Kim galt als skrupellos und saß mehr als 20 Jahre im Gefängnis. Später gab er sich als geläuterter Christ und diente als Kirchendiakon - alles Farce, wie sich nach weiteren Delikten herausstellte. Als Kim 2013 mit 64 Jahren an einem Herzinfarkt starb, behandelten die Medien seine Beerdigung wie ein Staatsbegräbnis. Keine Frage: Kim Tae-chon war ein Gangster, dennoch wurde er in bürgerlichen Kreisen respektiert.

Laut Polizeiangaben gibt es derzeit 216 organisierte Banden mit mehr als 5300 Mitgliedern. Die Wurzeln der koreanischen Mafia reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück, als das Königreich Joseon im Niedergang begriffen war und das organisierte Verbrechen auf dem Nährboden politischer Unruhe gedeihen konnte. Während der darauffolgenden japanischen Besatzung waren die einflussreichsten Bosse nicht selten auch Widerstandskämpfer, die sich mit den japanischen Yakuza anlegten. In der Nachkriegszeit wurden die Banden regelmäßig von den autokratischen Diktatoren angeheuert, um die studentische Oppositionsbewegung im Zaum zu halten.

Schwarze Anzüge galten lange als Markenzeichen, breites Kreuz, Mike Tyson Haarschnitt und starker Provinzdialekt. Ihre Tattoos dienten auch als öffentliche Warnung. Ihre bevorzugte Waffe: japanische Sashimi-Messer. Längst jedoch wandelten sich die Gangster von Schlägertypen zu unauffälligen Geschäftsmännern.

Finanzkrise brachte Ruhm

In den 90er-Jahren veränderte sich die Struktur der koreanischen Mafia nachhaltig: Das Land hatte längst die Transformation zu einer funktionierenden Demokratie hinter sich gebracht, und der Staat setzte viel daran, den Einfluss des organisierten Verbrechens einzudämmen. Die Syndikate konnten sich jedoch den neuen Gegebenheiten anpassen. Zunehmend schafften sie den Sprung ins legale Geschäft.

Die Finanzkrise von 1997 verhalf den Gangstern zu neuem Ruhm. Noch nie verloren so viele Südkoreaner ihre Arbeitsplätze. Ohne soziale Absicherung wurden Tausende in die Selbstständigkeit gedrängt - und brauchten Startkapital, das ihnen keine Bank gewähren würde. Die Gangster halfen gerne aus, unkompliziert - freilich bei kriminellen Zinsansprüchen von 30 Prozent und weit darüber hinaus. Noch heute haben die Banden die Schattenwirtschaft fest im Griff.

Fast niemand möchte sich in Südkorea öffentlich zum organisierten Verbrechen äußern. So stammt die einzige größere Forschungsarbeit von einem Ausländer: Mit viel Glück, Charme und Courage erhielt der amerikanische Soziologe Jonson Porteux Einblick in die verborgene Welt der Geontal. Ein halbes Jahr lang interviewte er tagsüber Polizeioffiziere, nur um am Abend mit den Bandenchefs in Nachtclubs abzuhängen.

Das Besondere an der koreanischen Mafia ist laut Porteux, dass das Geld stets von oben nach unten fließen würde - anders als bei den Yakuza oder der Cosa Nostra. Wenn der Boss einer Bande also nicht genügend finanzielle Möglichkeiten für seine Mitglieder sicherstellen könne, verliere er schnell seine Legitimation: "Die koreanische Mafia ist eine extreme Leistungsgesellschaft." (Fabian Kretschmer aus Seoul, DER STANDARD, 7.4.2015)