Venedig/Wien – Am Donnerstag soll ein italienischer Richter darüber entscheiden, ob Ünal E. in Untersuchungshaft bleibt und dann womöglich an die Türkei ausgeliefert wird oder ob er freikommt. Der Österreicher mit kurdischen Wurzeln war am Montag im Osterurlaub mit seiner Familie von der italienischen Polizei festgenommen worden, weil ein internationaler Haftbefehl gegen ihn vorliegt. Seither sitzt E. im Gefängnis von Venedig.

Die Türkei legt dem 44-Jährigen zur Last, an einem Terroranschlag der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) auf eine Bankfiliale in Ankara beteiligt gewesen zu sein. Außerdem soll E. Molotowcocktails gegen eine Hochschule geworfen und an illegalen Plakataktionen teilgenommen haben – das alles in den Jahren 1994 und 1995.

Asyl in Österreich

In der Türkei ist E. laut italienischer Polizei deshalb seit Dezember 2012 zur Fahndung ausgeschrieben. Der internationale Haftbefehl folgte erst Anfang 2014. Für die österreichische Justiz war der "konkrete Tatbeitrag" damals allerdings "zu vage", um ihn ins heimische System zu übernehmen. In Österreich hätte E. also nicht festgenommen werden können.

Ünal E. wurde in Sivas in der Türkei geboren, er erhielt in Österreich zuerst Asyl und im Jahr 2005 die Staatsbürgerschaft. Seither lebt er in Tirol und arbeitet in Deutschland als Orthopäde. "Mein Klient erhielt Asyl, weil er in der Türkei politisch verfolgt wurde. Es darf niemand ausgeliefert werden, wenn der Person dann Menschenrechtsverletzungen oder Folter drohen. Deshalb werden wir uns mit allen Mitteln gegen eine Ausweisung wehren", sagt sein Anwalt Nicola Canestrini.

Kürzlich verübte Anschläge

Unklar ist, ob – wie italienische Medien berichten – die Türkei E. auch bezichtigt, für kürzlich verübte Anschläge der linksradikalen DHKP-C mitverantwortlich zu sein. Canestrini prüft das derzeit.

Die DHKP-C war zuletzt wieder vermehrt im medialen Rampenlicht gestanden, weil die als Terrororganisation eingestufte Gruppe am Dienstag den Istanbuler Staatsanwalt Mehmet Selim Kiraz in ihre Gewalt gebracht hatte. Nach rund achtstündigen Verhandlungen zwischen Tätern und Behörden stürmte die Polizei das Büro und erschoss die beiden Geiselnehmer. Kiraz wurde schwer verletzt und starb wenig später im Krankenhaus.

Familie hat derzeit keinen Kontakt

Wird am Donnerstag entschieden, dass Ünal E. in Untersuchungshaft bleibt, muss das Oberlandesgericht Venedig in den danach folgenden 40 Tagen darüber urteilen, ob es zu einer Auslieferung an die Türkei kommt oder nicht. Die Familie von E ist derzeit wieder auf dem Weg nach Österreich. Seine Frau kann nach eigener Aussage momentan keinen Kontakt zu ihm aufnehmen. (Katharina Mittelstaedt, derStandard.at, 7.4.2015)