Überraschend am neuen Ärztearbeitszeitgesetz ist vor allem die Überraschung, mit der es weite Teile des österreichischen Gesundheitssystems getroffen zu haben scheint. Seit mehreren Jahren ist bekannt, dass sich auch bei Österreichs Spitalsärzten die Arbeitszeiten ändern müssen. Und das ist, für sich genommen, eine gute Nachricht für Patientinnen und Patienten. Wer will etwa als Unfallopfer auf dem OP-Tisch eines Arztes landen, bei dem gerade Stunde 23 seines Rund-um-die-Uhr-Dienstes angebrochen ist?

Gerade Jungärzte sollten die Neuregelung eigentlich begrüßen: Ein Grundgehalt, das ad hoc um 20, im Bestfall sogar um 29 Prozent steigt - und dafür dann auch noch weniger arbeiten. Vor allem die junge Generation hat die bisherige Regelung zu Recht als extrem familienfeindlich kritisiert. Andere Berufsgruppen könnten ob des anstehenden Gehaltssprungs zudem neidvoll erblassen. In Salzburg etwa beißt sich gerade das Pflegepersonal mit seiner Gehaltsforderung (30 Prozent mehr) die Zähne aus, obwohl man schlüssig argumentieren kann, wie sehr sich der Job - und der Verantwortungsbereich - in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Man sei zwar gesprächsbereit, so viel werde es aber keinesfalls geben, sagte der zuständige Landesrat am Dienstag.

Den Ärzten hat man das sogar von sich aus angeboten: ein anständiges Grundgehalt, auch ohne Zulagen für Nachtdienste, die vor allem junge Mediziner machen müssen - auch aus Einkommensgründen. Dass eine Standesvertretung immer mehr erreichen möchte, liegt in ihrem Wesen. Dass man sich aber nach der letzten Verhandlungsrunde auf dem Absatz umdreht, um das ausgehandelte Ergebnis fortan in Grund und Boden zu verdammen, hat schon eine eigene Qualität.

Allen Beteiligten ist vorzuwerfen, dass sie zu lange zugewartet haben - mit Ausnahme von Niederösterreich, dort gilt die neue Arbeitszeit bereits seit einiger Zeit, ohne gröbere Personalengpässe und ohne standespolitische Nebengeräusche. Hätte man früher verhandelt, wäre die Eskalationsschraube wohl kaum so fest angezogen. Nun drängt die Zeit, da wird längst nicht mehr differenziert argumentiert. Einige Ärztevertreter werfen alles, was im österreichischen Spitalswesen schiefläuft, in einen Topf, bis dieser überkocht.

Das neue Arbeitszeitgesetz löst bestimmt nicht alle Probleme auf einen Schlag, die alten bleiben bestehen und müssen ehebaldigst gelöst werden. Es gibt zu wenige niedergelassene Psychiater, in der Kindermedizin herrscht teilweise krasse Unterversorgung - und wer Schmerztherapie braucht, muss die Ambulanz aufsuchen, denn es gibt sie nur im Spital. Gar nicht zu reden von den langen Wartezeiten in den Ambulanzen.

Aber ausgeruhte Ärzte, die angemessen bezahlt werden, könnten ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Einige bis dato geltende Regelungen sind tatsächlich fragwürdig: etwa dass ein Facharzt, der am frühen Nachmittag auf der Station gebraucht wird, automatisch bis zum nächsten Morgen bleiben muss - weil um 13 Uhr der Nachtdienst beginnt.

Darüber hinaus ist es schade, dass das Wort "Ausbildung" in der (standes)politischen Auseinandersetzung um den künftigen Schichtbetrieb im Spital kaum eine Rolle spielt: Dabei wäre dies eine der Hauptaufgaben für ein funktionierendes Gesundheitssystem der Zukunft. (Petra Stuiber, DER STANDARD, 8.4.2015)