Die Stadtmauer

Vedunia und Vindobona

Die Lage war schon vor 10.000 Jahren gut. Das Wiener Becken zwischen den fransigen Ausläufern der Ostalpen und der Pannonischen Tiefebene war fruchtbar, und seine Bodenschätze lockten die steinzeitlichen Jäger an und die Sammler. Die Donau, Europas zweitlängster Fluss, traf in diesem Landstrich auf die Bernsteinroute, die zwischen Ostsee und Adria einen der wichtigsten Handelswege auf dem Kontinent beschrieb. Spätestens am Übergang von der Jungsteinzeit zur Bronzezeit, vor etwa 4000 Jahren, siedelten sich die ersten Menschen dauerhaft hier an.

Im vierten Jahrhundert vor Christus wanderten Kelten aus dem Westen zu und ließen sich an der Mündung des Wienflusses in die Donau nieder. Vedunia nannten sie die Wien, schlicht "Waldbach". Zur Zeitenwende stieß das römische Reich nach Norden bis zur Donau vor und eignete sich die Provinz Pannonia an – samt dem Keltendorf, das seine Bewohner wie den Bach Vedunia nannten.

Im Jahr 97 entschied die Zentralmacht in Rom, an diesem Ort das Legionslager Vindobona zu errichten. Der Militärstützpunkt lag wie eine frühe Planstadt rechteckig zwischen Ottakringer Bach und dem südlichen Donauarm eingepasst, mit gemauerten Wällen und Wachtürmen und einer Schiffsanlegestelle am Salzgries. Nach Westen, Süden und Osten breitete sich in einem Radius von 300 bis 600 Metern die "canabae legionis", die Militärstadt, rund um das Kastell aus. Ihre Grenzen nahmen grob den Verlauf der späteren Ringstraße vorweg.

Rot: das ehemalige Römerlager Vindobona, lachsfarben: die Lagervorstadt "canabae legionis".

Die Legionen X, XIII, XIIII und XV dienten 400 Jahre lang in Vindobona. Kaiser Marc Aurel starb während dieser Zeit im Kastell, und einmal wurde das gesamte Lager samt Militärstadt zerstört und wiederaufgebaut. Nach dem Untergang des Römischen Reichs am Ende des fünften Jahrhunderts verlieren sich die schriftlichen Zeugnisse über das Schicksal der Siedlung. Historiker gehen aber davon aus, dass während der Völkerwanderung und der Herrschaft der Rugier, der Langobarden und später der Awaren die Überreste des Lagers nie vollständig verlassen wurden. Seine frühere Bedeutung hatte der Ort freilich längst verloren.

Löwenherz' Lösegeld

Im neunten Jahrhundert drängten die fränkischen Bajuwaren nach Osten und sahen sich im Donauraum bald mit den Expansionsplänen eines asiatischen Reitervolks namens Magyaren – oder Ungarn – konfrontiert. In einer Beschreibung der Kämpfe in den Salzburger Annalen wird Wien 881 erstmals urkundlich erwähnt. "Ad Weniam" bezog sich allerdings auf Vedunia und nicht, wie vielfach angenommen, auf das "weiße Dorf" Vindobona.

Nach dem Sieg der Franken entstand unter dem Geschlecht der Babenberger 976 die Markgrafschaft Ostarrichi, die bald um das Gebiet rund um Wien erweitert werden sollte. Erst zur "civitas" geadelt, einer geordneten Stadtsiedlung, machte Heinrich II., ein Babenberger mit dem eigenwilligen Beinamen Jasomirgott, Wien 1156 zur Hauptstadt seines Neoherzogtums.

Die Gefangennahme Richard Löwenherz' auf einer zeitgenössichen Zeichnung.
Foto: Chronik des Petrus de Ebulo 1197, Liber ad honorem Augusti, Bürgerbibliothek Bern (Public Domain/Wikimedia Commons/Randalf)

Im Herbst 1192 wollte ein Kreuzritter vom Heiligen Land nach Hause zurückkehren. Zwei Tage vor Weihnachten machte er im Wiener Vorort Ertpurch, also Erdberg, halt und nächtigte in einem kleinen Gasthaus. Weil sein Vertrauter mit großen Mengen orientalischer Münzen Lebensmittel kaufte, wurden die Spitzel Herzog Leopolds V. misstrauisch. Der Fremde war tatsächlich der vom Festlandadel geächtete englische König, Richard I., genannt Löwenherz. Leopold ließ ihn gefangen nehmen und erpresste gemeinsam mit dem römisch-deutschen Kaiser Heinrich VI. England.

Löwenherz' Mutter begann Geld zu sammeln und veräußerte alles von Wert. Die Lösegeldsumme von über 23 Tonnen Silber teilten sich Leopold und Heinrich halb und halb auf. Es war die doppelte Jahreseinkunft der englischen Krone zu dieser Zeit, und bis heute wurden in England kaum Wertgegenstände aus diesen Jahren gefunden.

Leopold wusste bereits, wofür er das Geld verwenden würde. Er ließ den Graben zuschütten, den die Römer vor Vindobona ausgehoben hatten und der noch heute so heißt, eine Münzprägestätte einrichten und 45 Kilometer südlich von Wenia "Nova Civitas" bauen, das spätere Wiener Neustadt. Den Rest verwandte er, um rund um die frühere Militärstadt einen Festungsring anzulegen. Es war jene Stadtmauer, die Jahrhunderte später geschleift werden sollte, um die Ringstraße zu realisieren.

Der osmanische Minenkrieg

Brände und Seuchen setzten im Hoch- und Spätmittelalter der Stadt zu, die inzwischen Wienne hieß – ein mutmaßlicher Vorläufer der Mundartbezeichnung "Wean". Ihrer Entwicklung tat dies keinen Abbruch. 1365 wurde in Wien die erst zweite Universität im deutschsprachigen Raum gegründet. Und die 1157 geweihte Stephanskirche wurde zum Dom ausgebaut und mit der Ernennung Wiens zum Bischofssitz 1469 auch zur Kathedrale erhoben.

1246 starb der kinderlose Babenberger-Herzog Friedrich II. Sein Erbe geriet zum Streitobjekt des mitteleuropäischen Hochadels, ehe das Schweizer Haus Habsburg in den 1270er-Jahren die Herrschaft über Österreich gewinnen konnte. Mit der Krönung Herzog Albrechts V. zum römisch-deutschen König wurde Wien 1438 zur Residenzstadt des Heiligen Römischen Reichs. Rund 25.000 Einwohner zählte die Stadt damals. Heute leben dort auf einem etwas größeren Gebiet 16.000 Menschen.

Die erste Türkenbelagerung Wiens 1529.
Foto: Pieter Snayers (Public Domain/Wikimedia Commons/Svencb)

Im Herbst 1529 belagerten die Osmanen einen Monat lang Wien. 2100 Söldner und 9000 Milizkräfte sahen sich mit 150.000 Angreifern konfrontiert – zwischen ihnen nur die über 300 Jahre alte Stadtmauer, die seit ihrer Errichtung zwar mehrere Tore erhalten hatte, aber nie ernsthaft saniert worden war. Krankheiten und logistische Probleme innerhalb des türkischen Heeres retteten die Stadt ebenso wie ein früher Wintereinbruch. Auf lange Sicht war die Gefahr allerdings nicht gebannt, und der Minenkrieg hatte der Befestigung vor allem im Süden beim Kärntner Tor stark zugesetzt.

Also wurden ab den 1530er-Jahren die Mauern geflickt, verbreitert und die Festungstürme zu Bastionen umgebaut. Die mächtigen Wehranlagen hießen im Wiener Volksmund "Basteien", und sie ragten im spitzen Winkel bedrohlich aus dem Stadtwall. Unmittelbar vor der Mauer wurden Gräben geschaufelt und teils geflutet.

Um möglichen Angreifern die Deckung zu nehmen, wurde ringsum auf 300 Metern Breite ein Bebauungsverbot ausgerufen. Die Vororte mussten dafür zunächst nicht planiert werden. Das hatten schon die Türken besorgt. Weil der Glacis genannte Gürtel in den folgenden Jahrzehnten aber schrittweise auf bis zu 450 Meter verbreitert werden sollte, ließ der Hof schließlich doch Siedler enteignen und Weingärten roden.

Der verlorene Nutzen des Festungsrings

Das Glacis war ein schlammiger Streifen bei Niederschlägen und eine Staubwüste im Sommer. In Friedenszeiten übten die Militärs Nachsicht und ließen Handwerker auf der Freifläche Material stapeln und in kleinen Holzwerkstätten Arbeiten tun, die in den Innenräumen der Stadthäuser problematisch gewesen wären. Die Salpetersieder stellten Schwarzpulver her und die Färber Farben. Am Rand des Glacis wurden Marktstände erlaubt, die bei Angriffen ebenso rasch niedergebrannt werden konnten wie die Handwerkshütten.

Wien nach Jacob Hoefnagel (1609), überarbeitet Claes Janszoon Visscher (1640). Deutlich zu sehen sind die vorragenden Basteien und die teilweise gefluteten Gräben vor dem Glacis. Die Ravelins sind auf dieser ein paar Jahrzehnte jüngeren Karte bereits abgebildet.
Bild: Jacob Hoefnagel/Claes Jansz Visscher (Public Domain/Wikimedia Commons)

Obwohl alle Eroberungsversuche gegen Wien im Dreißigjährigen Krieg gescheitert waren, ließ Kaiser Ferdinand III. die Fortifikation nach Kriegsende 1648 erneut ausbauen. Er sah es als geboten an, die Mauern auf den neuesten Stand der Festungstechnik zu bringen, galt Wien seit 1558 als Hauptstadt des Heiligen Römischen Reichs doch als besonders bedroht. Zwischen den Basteien wurden Ravelins erbaut, freistehende Bollwerke, deren Spitzen ebenfalls ins Glacis zeigten. Die Wiener Bezeichnung "Schanzl" wurde den riesigen Bauten kaum gerecht.

History repeating: Die Zweite Türkenbelagerung Wiens 1683
Foto: Wien Museum/Badisches Landesmuseum (Public Domain/Wikimedia Commons/Jagatai)

Der 80.000-Gulden-Ausbau sollte sich bezahlt machen. 1683, nur elf Jahre nach der Fertigstellung, standen erneut die Türken vor der Stadt. 120.000 Mann waren es diesmal, und ihre zwei Monate währenden Versuche, die Mauern zu überwinden, blieben erfolglos. Nur kurz bevor die osmanischen Mineure unterirdisch die letzten Meter des Walls freisprengen konnten, schlug sie ein Entsatzheer der kaiserlichen Verbündeten in die Flucht.

Die Befestigung wurde wieder saniert, doch die neuzeitlichen Entwicklungen in der Militärtechnologie machten die Stadtmauern bald obsolet. Das erkannte auch Kaiser Joseph II. und ließ 1770 eine Chaussee, zu deutsch Kunststraße, auf dem Glacis anlegen. 2000 Bäume und zahlreiche Laternen säumten die Allee, deren Ränder "mit Kleesamen und anderen Graß-Arten besäet und zugerichtet" wurden. Sie wurde zu einem pittoresken Naherholungsgebiet.

Eine Karte Wiens aus dem Jahr 1843. Die Vorstädte waren schon dicht bebaut, der breite Glacisgürtel war noch frei.

1805 nahm Napoleon Wien kampflos ein. Die Grande Armée verfügte über Haubitzen mit Sprenggranaten, denen die Festungsanlagen ohnehin kaum standgehalten hätten. Den Beweis brachte Napoleons nächstes Erscheinen 1809, dem nach kurzem Beschuss die Kapitulation folgte. Die platzraubenden Ravelins wurden in den 1820er-Jahren wieder abgetragen. Als sich 1848 die Revolutionäre in der Stadt einschlossen, musste die Obrigkeit schließlich akzeptieren, dass die Mauern sogar eine Gefahr für ihre Macht bedeuteten.

Ein "allerhöchst genehmigter" Plan

Präzedenzfall Votivkirche

Der 18-jährige Kaiser Franz Joseph ließ per Patent 1849 die Vorstädte eingemeinden. Im Folgejahr wurden 34 "schutzunterthänige Vorstadtgemeinden" auch formell dem Wiener Gemeinderat unterstellt. Zu dieser Zeit, als es mit London, Peking und Paris nur drei Millionenstädte auf der Welt gab, lebten nach heutigem Gebietsstand rund 500.000 Menschen in Wien. Die frühere Stadt war nun als einer von neun Bezirken durch Mauern vom Rest getrennt. Franz Joseph zögerte trotzdem, die Befestigung ganz aufzugeben.

1853 bemühte sich der ungarische Schneidergeselle János Libényi vergeblich, den Kaiser bei einem Spaziergang auf der Kärntnertorbastei zu erdolchen. Franz Josephs Bruder, Erzherzog Ferdinand Maximilian, rief die Bevölkerung zu Dankesspenden auf. 300.000 Bürger in der gesamten Monarchie leisteten dem Folge, und mit ihrem Geld sollte eine Kirche als Votiv-, also Dankesgabe errichtet werden. Der Standort für das Gotteshaus war vorerst umstritten. Ein möglicher Platz bei Schloss Belvedere war dem Kaiser zu entlegen.

Um 1866: die Votivkirche im Bau.
Foto: Amand Helm/Wien Museum (Gemeinfrei/Wikimedia Commons/Otto Normalverbraucher)

Platz in Zentrumsnähe gab es aber nur mehr auf dem Glacis, für das noch immer Bauverbot herrschte. Doch Franz Joseph ließ sich überreden, ausnahmsweise einen Glacisabschnitt beim Exerzierplatz zwischen dem Schottentor und der Alservorstadt für den Bau seiner Votivkirche zu verwenden. Zudem gab er östlich der Kirche – entlang der Berggasse bis zum bereits 1830 regulierten Donaukanal – mehrere Parzellen zum Bau von Privathäusern frei. Die sechs Häuserblöcke umfassende "kleine Stadterweiterung" wurde Neu-Wien genannt.

Heinrich Ferstel plante die Votivkirche, und den Grundstein schlug der jüdische Künstler Mordechai Schnitzer im Frühjahr 1856 aus dem Felsen des Jerusalemer Ölbergs. Am 24. April wurde er verlegt. In gewissem Sinn war es ein Dominostein, denn nun schien das Bauverbot auf dem Glacis nicht mehr unumstößlich. Der Weg für die Ringstraße war geebnet.

"Es ist mein Wille": Kaiser Franz Josephs "allerhöchstes Handbillet" kündigt die Stadterweiterung an.
Foto: Wiener Zeitung/ÖNB ANNO (Gemeinfrei/Wikimedia Commons/Gugerell)

"Es ist mein Wille"

Am Christtag 1857 ließ Franz Joseph in der Wiener Zeitung sein "Allerhöchstes Handbillet" verkünden. Historiker vermuten, dass der unter dem Titel "Es ist mein Wille" in die Stadtgeschichte eingegangene Text vom Ministerialbeamten Franz von Matzinger stammt.

Die Bürger überraschte der Inhalt, wies der Kaiser darin seinen Innenminister Alexander Freiherr von Bach immerhin an, die Stadtmauer zu schleifen. Bach hatte auch die "Präsidialleitung der Ministerberatungen" inne und galt nach Franz Joseph als einflussreichster Mann im Land.

"Lieber Freiherr von Bach", bestimmte also der Kaiser, "es ist Mein Wille, daß die Erweiterung der inneren Stadt Wien mit Rücksicht auf eine entsprechende Verbindung derselben mit den Vorstädten ehemöglichst in Angriff genommen und hiebei auch auf die Regulirung und Verschönerung Meiner Residenz- und Reichshauptstadt Bedacht genommen werde. Zu diesem Ende bewillige Ich die Auflassung der Umwallung und Fortifikationen der inneren Stadt, so wie der Gräben um dieselbe."

Es soll "im Anschlusse an den Quai längs dem Donaukanal rings um die innere Stadt ein Gürtel in der Breite von mindestens vierzig Klafter, bestehend aus einer Fahrstraße mit Fuß- und Reitwegen zu beiden Seiten, auf dem Glacisgrunde in der Art angelegt werden, daß dieser Gürtel eine angemessene Einfassung von Gebäuden abwechselnd mit freien zu Gartenanlagen bestimmten Plätzen erhalte." Der Bau der Ringstraße war angeordnet.

Die Schleifung der Stadtmauer: das 1302 errichtete Werdertor nahe dem Schottenring (links, 1860) und das Rotenturmtor am Donaukanal (rechts, 1858).
Fotos: Unbekannt/Günter Düriegl (Gemeinfrei/Wikimedia Commons/Invisigoth67/Fg68at)

Von der Planung zum Bau

In der Veröffentlichung rief Franz Joseph auch einen Planungswettbewerb aus. Bis zum Sommer 1858, als die Demolierung der Stadtmauer bei der Stubenbastei bereits begonnen hatte, wurden 85 Projekte zur Gestaltung der Freifläche eingereicht.

Der Jury gehörten mit Heinrich Ferstel und Theophil Hansen auch Architekten von Weltrang an. Die Einreichungen wurden anonymisiert, sodass die Juroren unbefangen urteilen konnten. In Projekt Nr. 51 wurde die vom Kaiser gewünschte 5,3 Kilometer lange Straße rund um die Innenstadt in der Kartenlegende "Ringstraße" genannt. Umgangssprachlich blieb der Name bis heute bestehen.

Führende Architekten der Ringstraßenära: Gottfried Semper, Heinrich Ferstel, Theophil Hansen (von links).
Abbildungen: Unbekannt/ETH-Zürich/Josef Bauer (alle Public Domain/Wikimedia Commons/Peter Geymayer/Petar Marjanovic/Gaj777)

Am 11. Dezember 1858 veröffentlichte die Jury ihre Entscheidung. Die drei Vorschläge von Ludwig Förster, Friedrich August von Stache und den Partnern August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll sollten zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen. Unter der Bedingung einiger Adaptionen segnete Franz Joseph den "allerhöchst genehmigten Plan der Stadterweiterung" am 8. Oktober 1859 ab.

Bis 1910 wurden die 2,4 Millionen Quadratmeter bebaut – auf 1,5 Millionen Quadratmeter Straßen, Plätze und Parks, auf einer halben Million Quadratmeter Privatbauten und auf 380.000 Quadratmetern öffentliche Gebäude.

Im "Handbillet" wies der Kaiser an: "Auf die Herstellung öffentlicher Gebäude, namentlich eines neuen General-Kommando’s, einer Stadt-Kommandantur, eines Opernhauses, eines Reichsarchives, einer Bibliothek, eines Stadthauses, dann der nöthigen Gebäude für Museen und Gallerien ist Bedacht zu nehmen" Doch das wenigste wurde so realisiert, wie es sich die Verantwortlichen vorgenommen hatten.

Das Ringstraßenprojekt im "allerhöchst genehmigten Plan der Stadterweiterung". Bestehende Bauten sind grau, offene Baueinheiten rot und Parkanlagen grün.
Foto: K. k. Hof- und Staatsdruckerei in Wien (Public Domain/Wikimedia Commons)

Der Stadterweiterungsfonds

Die eigentliche Ringstraße brachten Arbeiter im Frühjahr 1861 auf ein einheitliches Niveau. Entgegen Franz Josephs Plänen wurde sie keine 40 Klafter breit, sondern nur 30 Klafter oder 56,9 Meter. Sie teilten sich auf eine Mittelfahrbahn, je zwei Seitenstraßen und zwei Gehwege auf.

Ringrund war die Straße nie. Vielmehr bestand sie aus sechs verketteten Geraden, die vom Donaukanal abzweigten und wieder zu ihm zurückführten. Das sollte die Errichtung des umgebenden Straßennetzes erleichtern.

Als "Ringstraße" war der Boulevard in keinem offiziellen Stadtplan verzeichnet. Die acht Abschnitte, in die er ursprünglich eingeteilt wurde, erhielten jeweils eigene Namen: Stubenring, Parkring, Kolowratring (der heutige Schubertring), Kärntner Ring, Opernring, Burgring, Franzensring (heute in Dr.-Karl-Renner-Ring und Universitätsring aufgeteilt) und Schottenring.

Der Parade- oder Exerzierplatz auf dem Josefstädter Glacis 1860 kurz vor der Bebauung.
Foto: Unbekannt/k.k. Hof- und Staatsdruckerei (Gemeinfrei/Wikimedia Commons/Gugerell)

Rund um die Ringstraße wurden 135 Häuserblöcke und zwischen ihnen neue Straßenzüge in den frei gewordenen Bereich des Stadtplans eingezeichnet. Die Gebäude durften "bis zum Dachsaum" eine Höhe von 13 Klafter – 24,7 Meter – nicht überschreiten und sollten als Zinshäuser von Privatiers finanziert werden. Um eine möglichst rasche Bebauung zu gewährleisten, wurde ihnen unter Auflagen Steuerfreiheit zugebilligt. Die Parzellen in den hinteren Rängen, bei der Lastenstraße, die immer in einer Entfernung von 200 bis 400 Meter parallel zur Ringstraße verläuft, gingen trotzdem nur langsam weg. Investoren hatten mit Spekulationsobjekten gerechnet, der Kaiser aber verfügte einen Bauzwang.

Direkt am Ring waren die Plätze prestigeträchtig und begehrt. Niederer Adel, Bankiers, Fabrikanten und Industrielle konnten sich hier mit Palais Denkmäler setzen. Viele Kaffeehäuser der "goldenen Zeit" und Luxushotels waren in den Gemäuern untergebracht und in den Privatgemächern fanden illustre Soireen statt.

Weil sich Alexander von Bach persönlich dafür einsetzte, wurde 1860 ein Gesetz erlassen, dass auch Wienern jüdischen Glaubens Grundbesitz im Stadterweiterungsgebiet erlaubte. So ließ etwa Ignaz Ritter von Ephrussi ein Palais nahe der Votivkirche, die Familien Lieben und Auspitz das Haus, in dem heute das Café Landtmann untergebracht ist, und Gustav Ritter von Epstein das nach ihm benannte Palais südlich des Parlaments errichten.

Das Wasserglacis war Mitte des 19. Jahrhunderts bereits Naherholungsgebiet – es reichte vom heutigen Stadtpark bis zum Gartenbauhochhaus.
Foto: Carl Wenzel Zajicek/ÖNB (gemeinfrei/Wikimedia Commons/BetacommandBot)

Der Verkauf der Liegenschaften schwemmte ungeahnte Beträge in die Staatskasse. Zur Administration wurde 1858 der sogenannte Stadterweiterungsfonds eingerichtet und der Leitung Franz von Matzingers übertragen. Über die Stiftung wurden auch Kredite an weniger liquide Bauherren vergeben. Bis 1914 nahm der Fonds über 112 Millionen Gulden ein, heute über eine Milliarde Euro. Weil er eine hoheitliche Körperschaft war, sah die Stadt Wien von den Einnahmen nichts; sie musste dennoch Infrastrukturprojekte in der Höhe von fast 28 Millionen Gulden beitragen.

Aus dem Fonds wurden bis 1914 rund 102 Millionen Gulden wieder in das Ringstraßenprojekt und somit in die Bauwirtschaft investiert. Zum einen sollte die Stadtmauer geschleift werden. Dieses Projekt wurde 1875 am Stubenring abgeschlossen. Zum anderen sollten öffentliche Repräsentativbauten errichtet werden: Neue Burg, Staatsoper, Ring- und Burgtheater, Kunst- und Naturhistorisches Museum – sie alle entstanden ab den 1860er-Jahren aus Mitteln des Fonds.

Die Monumentalbauten

Ein Ring, sie zu knechten

Victor Adler deckte die unwürdigen Bedingungen in den Ziegelwerken auf.
Foto: Unbekannt (gemeinfrei/Wikimedia Commons/Lendu)

Der von Kaiser Franz Joseph genehmigte Stadtplan wurde zum Jahreswechsel 1860 auf Lotteriebillets gedruckt. Der Erlös aus dem Ticketverkauf sollte "zum Besten der Armen" verwendet werden. Für die Stadterweiterung selbst bezahlten aber die untersten Gesellschaftsschichten teuer. Denn unter den Fassaden aus wertvolleren Steinen besteht die Kernsubstanz der meisten Prachtbauten am Ring aus Ziegeln, die unter ausbeuterischen Bedingungen gefertigt wurden.

Zur Lage der Arbeiter, die die Ziegel am Wienerberg im heutigen Bezirk Favoriten herstellten, fand der junge Arzt Victor Adler recht drastische Worte: "Nun denn, diese armen Ziegelarbeiter sind die ärmsten Sklaven, welche die Sonne bescheint. Der Hunger und das Elend, zu dem sie verdammt sind, wird noch entsetzlicher durch die Wohnungen, in welche sie von der Fabrik oder ihren Beamten zwangsweise eingepfercht werden."

Adler, der Gründungsvater der österreichischen Sozialdemokratie, hatte sich 1888 auf Hinweis eines Patienten in ein Ziegelwerk eingeschlichen und veröffentlichte seine Erfahrungen in der Wochenschrift "Gleichheit". Es waren vor allem tschechische Gastarbeiter, die hier 15 Stunden am Tag Ziegeln produzierten, sieben Tage in der Woche.

Der Burgring mit dem Äußeren Burgtor und dem im Bau befindlichen Naturhistorischen Museum 1872. Für die Errichtung der Prachtbauten mussten sich Arbeiter abquälen.
Foto: Michael Frankenstein/Wien Museum (Gemeinfrei/Wikimedia Commons/Otto Normalverbraucher)

Der Wochenlohn der rund 3000 "Ziegelböhm" machte im Sommer sieben Gulden aus, im Winter vier Gulden und zwanzig Kreuzer. Es waren kümmerliche Beträge, nach heutigem Wert grob 50 Euro bis 85 Euro, und sie sicherten kaum das Überleben. Und es war kein "gutes Geld", wie die Geknechteten Bargeld nannten. Sie wurden nach dem sogenannten Trucksystem in Blechscheiben ausbezahlt, die sie nur zu Wucherpreisen in den Kantinen am Werksgelände ausgeben konnten. Erst 1895 erstreikten sie baren Lohn, den Elf-Stunden-Tag und Sonntagsruhe.

Das Ziegelwerk war bis zu seinem Tod 1880 im Besitz von Heinrich Drasche, und später wurde daraus Wienerberger, der weltgrößte Ziegelhersteller. Drasches Arbeiter stellten allein im Jahr 1861 130 Millionen Ziegel her, viele davon für die Neubauten des Rings. Mit einem Teil der Ziegel ließ sich Drasche, nach Schätzungen der reichste Privatbürger Wiens, ein Denkmal am Ring bauen. Der Däne Theophil Hansen entwarf den Heinrichshof, ein schlossgleiches Nobelzinshaus im Renaissancestil, auf dessen riesiger Balustrade "Heinrich Drasche 1860" stehen sollte. Hansen konnte Drasche noch vor der Errichtung überreden, auf das dekadente Selbstlob zu verzichten.

Der südliche Ring

Drasche kaufte für den Heinrichshof einen der begehrtesten Plätze im Süden des Rings, direkt gegenüber der Parzelle für die Oper. Sie wurde 1860 als erstes aus dem Stadterweiterungsfonds bezahltes Monumentalgebäude ausgeschrieben. Von Sicardsburg und van der Nüll planten es im Stil der Neorenaissance.

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Der Baubeginn der Oper Anfang der 1860er-Jahre. Rechts der noch eingerüstete, aber fast fertiggestellte Heinrichshof.

Weil das Höhenniveau der Ringstraße nach anfänglichen Fehlplanungen angehoben wurde, erhielt die entstehende Oper im Volksmund bald den Namen "versunkene Schuhschachtel". Der Kaiser soll gesagt haben: "Die Leute haben doch recht. Das Gebäude steckt wirklich zu tief im Boden." Und ein Spottvers machte die Runde: "Der Sicardsburg und van der Nüll, die haben beide keinen Styl! Griechisch, gotisch, Renaissance, das ist denen alles ans!"

Zeitgenossen vermuteten, dass es die beständige Kritik an seiner Arbeit war, die van der Nüll im April 1868 in den Selbstmord trieb. Von Sicardsburg starb nur zwei Monate später nach einer schweren Operation. Beide erlebten die Eröffnung des "Neuen Hauses" im Mai 1869 mit Mozarts "Don Giovanni" nicht.

Unweit von Opern- und Kärntnerring waren auf dem Glacisstreifen zwei ansehnliche öffentliche Plätze geplant. Den Karlsplatz dominierte die bereits 1738 im Norden der noch eigenständigen Vorstadt Wieden erbaute Karlskirche. Gegenüber der Barockkirche und dem TU-Vorgänger Polytechnisches Institut wurden an der Lastenstraße bis 1868 August Webers Künstlerhaus und bis 1870 Hansens Musikverein errichtet.

Die Karlskirche 1895: Die Wien fließt, überspannt von der Elisabethbrücke, noch oberirdisch. Ein Teil des ehemaligen Glacis wurde an dieser Stelle zum Karlsplatz.
Foto: Unbekannt/gemeinfrei (Wikimedia Commons/Robert Schediwy)

1899 wurde jener Abschnitt der Wientallinie freigegeben, der die dampfbetriebene Stadtbahn von Meidling zum Hauptzollamt bei der Landstraßer Hauptstraße führte. Sie machte auch am Karlsplatz halt, wo die Fahrgäste durch Otto Wagners Haltestellengebäude zu den Bahnsteigen in den Untergrund hinabstiegen.

Den anderen Schlusspunkt des Karlsplatzes bildeten die bis 1877 ebenfalls nach Plänen von Hansen gestaltete Akademie der bildenden Künste und ab 1899 Joseph Maria Olbrichs Ausstellungshaus der Wiener Secession. Seine goldene Kuppel wurde von den Wienern gern "Krauthäuptel" genannt.

Östlich vom Karlsplatz plante der Kaiser, Karl Philipp Fürst zu Schwarzenberg, Napoleons Widersacher bei der Leipziger Völkerschlacht, ein Denkmal zu setzen. Das 1867 enthüllte Reiterstandbild Schwarzenbergs wurde bis Anfang des 20. Jahrhunderts nach und nach von mehreren prächtigen Palais, dem Konzerthaus und dem anlässlich der Fertigstellung der I. Wiener Hochquellenwasserleitung eröffneten Hochstrahlbrunnen eingefasst.

Der Exerzierplatz

Der Bau eines Rathauses galt Mitte des 19. Jahrhunderts als ebenso dringlich wie der eines Parlaments. Das Rathaus sollte ursprünglich am Parkring entstehen, doch Bürgermeister Cajetan Felder setzte nach langen Debatten seinen gewünschten Standort am ehemaligen Exerzierplatz auf dem Josefstädter Glacis durch – der Paradeplatz gleich neben der Baustelle der Votivkirche sollte nach dem kaiserlichen Wunsch eigentlich zu einem Park werden.

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Die Grundmauern des Parlaments in den 1870er-Jahren. Dahinter entsteht das Rathaus, am rechten Bildrand ist die grundsätzlich schon fertige Votivkirche zu sehen.
Foto: ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Dann ging der Streit um die Details weiter – eine Kapelle wurde in das Rathaus nicht eingebaut, ein Weinkeller schon. Der neugotische Siegerentwurf des deutschen Architekten Friedrich Schmidt wurde erst 1872 in Angriff genommen und 1883 abgeschlossen. Bis 1871 war übrigens auch die Parzelle am Parkring eine Baugrube geblieben. Die Wiener nannten es "Communalloch".

Ebenfalls am früheren Paradeplatz, südlich des Rathauses, fanden die beiden Kammern des neuen Reichsrats ein Zuhause. Zuvor waren Überlegungen verworfen worden, das Parlamentsgebäude bei der Augartenbrücke oder am Karlsplatz zu errichten. Hansen ließ sich von seiner eigenen Athener Akademie inspirieren und wählte einen neoklassizistischen Stil. Die Errichtung dauerte von 1874 bis 1883.

Einen nördlichen Nachbarn bekam das Rathaus mit der Universität. Heinrich Ferstel entwarf sie nach dem Vorbild italienischer Hochschulen, doch Kaiser Franz Joseph gab seinen Segen erst, als Gottfried Semper 1872 die Pläne besichtigt und einige Verbesserungsvorschläge angebracht hatte. Zwischen dem Baubeginn und der feierlichen Eröffnung durch den Kaiser 1884 lagen elf Jahre Bauzeit.

Das Exerzierplatzensemble aus Universität, Votivkirche, Parlament, Rathaus und Justizpalast.
Foto: Die Gartenlaube/Ernst Keil's Nachfolger (gemeinfrei/Wikimedia Commons/GerWsUpload)

Diesem Exerzierplatzensemble, zu dem je nach Lesart auch der Justizpalast zählt, steht als einziger wichtiger Bau auf der Innenseite des Rings das Burgtheater gegenüber. Das zweitälteste Sprechtheater Europas bestand schon seit 1748 am Michaelerplatz. Der Bau des neubarocken Hofburgtheaters am Ring begann 1874 und zog sich 14 Jahre hin – erst weil sich die ausführenden Architekten Carl von Hasenauer und Gottfried Semper bis zu dessen Tod 1879 nicht einig wurden, dann weil sich Hasenauer in seiner prachtvollen Innenausstattung verlor.

Das Kaiserforum

Südlich des Theaters wurde mit dem Volksgarten eine Grünfläche belassen. Sie sollte an jenen Gebäudetrakt grenzen, der als krönender Abschlusses des Ringstraßenprojekts geplant war. Sowohl Semper als auch das Team von Sicardsburg und van der Nüll wollten zwischen Hofburg und Hofstallungen – dem heutigen Museumsquartier – einen monumentalen Komplex schaffen. Semper nannte ihn "Kaiserforum".

Gemeinsam mit Hasenauer entwarf er einen Generalplan, in dem sich das Naturhistorische und das Kunsthistorische Museum außerhalb des Rings in perfekter Symmetrie gegenüberstanden. So wurden sie auf Geheiß des Kaisers ab 1871 auch erbaut und mit dem Maria-Theresien-Denkmal in ihrer Mitte 1889 und 1891 eröffnet. Innerhalb des Burgrings sollten beide Gebäude mit zwei neuen Flügeln der Hofburg ihre architektonische Fortsetzung erhalten, und dazwischen sollte weiterhin das bereits 1824 errichtete Äußere Burgtor thronen.

Mit der Neuen Burg, in der heute unter anderem die Nationalbibliothek untergebracht ist, wurde der Flügel gegenüber dem Kunsthistorischen Museum und hinter ihm der Burggarten errichtet. Doch das dauerte. Nach Semper starb 1894 auch Hasenauer, und mehrere Nachfolger mühten sich bis zur Vollendung 1913 ab.

Das Kaiserforum nach Semper und Hasenauer auf einem Aquarell von Franz Alt. Links hinten schließt der nie erbaute Hofburgflügel an das Naturhistorische Museum an.
Aquarell: Franz Alt (gemeinfrei/Wikimedia Commons/Gryffindor)

Dem Naturhistorischen Museum blieb sein Gegenstück jedoch versagt. Der Stadterweiterungsfonds war nicht mehr gut genug gefüllt, es dräute der Erste Weltkrieg, und der alte Kaiser hatte die Bauleitung längst an Thronfolger Franz Ferdinand übergeben.

Am Übergang vom Heldenplatz zum Volksgarten, wo der nördliche Burgflügel hätte stehen sollen, schließt heute eine Hundeauslaufzone an einen der letzten größeren Innenstadtparkplätze an. Der Flügel wurde zum Phantomgebäude, das Kaiserforum blieb Torso.

Der nördliche Ring

Auf der Westseite des Rings, zwischen dem "Ringstraßendom" Votivkirche und der Oper fanden also die wichtigsten öffentlichen Prunkbauten ihren Platz. Hin zum Kai wollte Franz Joseph weiterhin militärische Präsenz zeigen. Also ließ er am nördlichen Ende des Rings beim Donaukanal von 1865 bis 1869 die Kronprinz-Rudolf-Kaserne errichten. Sie beherbergt am heutigen Schottenring als Rossauer Kaserne das Verteidigungsministerium.

Der einzige andere Monumentalbau in diesem Bereich ist heute die Wiener Börse. Seit dem Wegzug des Umschlagplatzes im Jahr 2000 wird das ziegelrote Gebäude auch Alte Börse genannt. Einmal mehr war es Theophil Hansen, der mit dem 1877 eröffneten Haus seinen Historismus im Stadtbild hinterließ.

Die Ruine des Ringtheaters nach dem Brand 1881.
Foto: Unbekannt/Wien Museum (Public Domain/Wikimedia Commons/Dontpanic)

Schräg gegenüber der Börse stand nur wenige Jahre lang das Ringtheater. Rossinis "Der Barbier von Sevilla" war im Jänner 1874 als erstes Stück zu sehen. Als am 8. Dezember 1881 "Hoffmanns Erzählungen" von Jacques Offenbach gezeigt werden sollte, kam es zu einem folgenschweren Unfall. Die Gasbeleuchtung entzündete sich, das Feuer griff auf Bühne und Zuschauerraum über und tötete laut offiziellen Zahlen 384 Menschen. Schätzungen gingen von noch mehr Toten aus.

Der östliche Ring

Die größte Grünfläche am Ring bildet bereits seit 1862 der Stadtpark. Links der Wien stellte der Erweiterungsfonds der Stadt 94.000 Quadratmeter und rechts der Wien 51.000 Quadratmeter zur Verfügung. Der Fluss wurde im Innenstadtbereich in den 1890ern kanalisiert und eingewölbt und fließt seither in Ringnähe nur mehr ab dem Stadtpark als Teil der Landschaftsgestaltung oberirdisch. Dabei passiert er im Süden des Parks nicht nur das Denkmal von Johann "Schani" Strauß, sondern auch den 1865 bis 1867 erbauten Kursalon Hübner.

1871 zog das Österreichische Museum für Kunst und Industrie, der Vorgänger des Museums für angewandte Kunst, in einen von Ferstel konstruierten Neorenaissancebau. Bis 1877 wurde ihm die neue Kunstgewerbeschule angeschlossen, die heutige Universität für angewandte Kunst.

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Die Hautevolee beim Promenieren vor dem heutigen MAK am Stubenring.
Foto: Österreichische Lichtbildstelle / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Daneben folgte von 1909 bis 1913 nach den Plänen Ludwig Baumanns das Kriegsministerium, neunhöfig und imposante 200 Meter lang. In der Mitte der Fassade wurde auf Verlangen Erzherzog Franz Ferdinands ein bronzener Adler mit einer Flügelspannweite von 16 Metern aufgesetzt. Seit 1945 heißt das Haus Regierungsgebäude und wird von verschiedenen Ministerien genutzt.

Am östlichen Ende des Rings, bei der Mündung des Wienflusses in den Donaukanal, war bereits von 1854 bis 1857 die Franz-Josephs-Kaserne – noch in die Stadtbefestigung integriert – erbaut worden. Sie existierte nur bis 1901 und fiel der Kasernentransaktion zum Opfer, die weiteren Bauplatz im Stadtgebiet schaffen sollte.

Dadurch wurde am Ufer auch Platz für die 1910 in nur elf Monaten erbaute Urania frei, ein neobarockes Volksbildungshaus mit Sternwarte nach den Plänen des Otto-Wagner-Schülers Max Fabiani. Nur ein paar Meter ringabwärts hatte Meister Wagner mit dem 1906 eröffneten Postsparkassengebäude sich selbst und seinen Wiener Jugendstil bereits verewigt.

Weil die Bauetappen der Ringstraßengebäude also zeitlich höchst ungleich verliefen, wollte der Kaiser mit einer offiziellen Eröffnung nicht Jahrzehnte bis zur kompletten Fertigstellung des Großprojekts warten. Am 1. Mai 1865 lud Franz Joseph seine Gattin Elisabeth, zahlreiche Herzöge, Minister und Vertreter der Stadtregierung ein. Gemeinsam passierten sie die Baustellen auf dem noch kaum bebauten Ring.

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Pferdetramways am Opernring.
Foto: Burger, Wilhelm / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Nach der Ringstraßenära

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs war die Stadterweiterung im Kern abgeschlossen. Der Historismus des Ringstraßenstils zwischen Neubarock, Klassizismus und Neorenaissance galt vielen schon als unmodern, aber als Gesamtensemble wurde die Ringstraße bald als einer der schönsten Boulevards der Welt gehandelt.

Der Erste Weltkrieg ging am Ring noch relativ spurlos vorüber. Der Bombenkrieg des Zweiten Weltkriegs aber richtete Schäden an vielen Gebäuden an. Das Burgtheater, die Universität und die Staatsoper, von der kaum mehr als die Fassade übrig blieb, wurden bis Mitte der 1950er-Jahre weitgehend nach den Ursprungsplänen wiederhergestellt.

Am 15. März 1938 gab Adolf Hitler von der Neuen Burg aus die "größte Vollzugsmeldung meines Lebens" bekannt, den Eintritt Österreichs in das Deutsche Reich.
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1987-0922-500 / CC-BY-SA

Obwohl seine Substanz einen Wiederaufbau erlaubt hätte, wurde der Heinrichshof abgetragen und an seiner Stelle der schnöde Opernringhof aufgezogen. Das nach dem Ringtheaterbrand errichtete Zinsgebäude namens Sühnhaus am Schottenring wurde fast komplett zerstört und in den 1970er-Jahren durch das Amtsgebäude der Bundespolizeidirektion ersetzt.

Das Gebäude der Wiener Gartenbaugesellschaft am Parkring hatte zwar keine nennenswerten Schäden abbekommen, sollte aber in der Nachkriegszeit dennoch abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Die Pläne zur Errichtung des Gartenbauhochhauses mit dem gleichnamigen Kino im Untergeschoß führte Anfang der 1960er-Jahre zu einer hitzigen Hochausdebatte. Statt der avisierten 20 Etagen wurden es nur 14, der Architekt Friedrich Achleitner nannte das Haus nach der Eröffnung 1963 trotzdem ein "Geschwür in der Silhouette der Stadt". Auch das 1964 fertiggestellte Hotel Intercontinental am Stadtpark kritisierte Achleitner als "Masse ohne Maß".

Der Ringturm vor dem Steffl, eines der wenigen Gebäude am Ring, die im 20. Jahrhundert errichtet wurden.
Foto: TARS631 (Lizenziert unter Attribution über Wikimedia Commons)

Es war nicht der erste Streit um die Bauklasse von Innenstadtgebäuden in der Zweiten Republik. Schon der 23-stöckige Ringturm, gebaut auf den Überresten eines Mietshauses am Schottenring, hatte bei seiner Planung Anfang der 1950er-Jahre für Diskussionen gesorgt. Der 1955 eröffnete Ringturm ist heute mit 73 Meter Höhe hinter dem Rathaus und der Votivkirche das dritthöchste Gebäude in unmittelbarer Nähe zum Ring.

Weniger offen als über Hochhäuser sprach man im Österreich der Nachkriegszeit über die "Arisierung" von Ringstraßengebäuden. Adolf Hitler, der den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich propagandabewusst vom Balkon der Neuen Burg und also von der Ringstraße aus verkündet hatte, ließ mit seiner Machtübernahme umgehend die jüdischen Besitzer der Palais und Zinshäuser enteignen. Es sollte Jahrzehnte dauern, ehe die Vertreter der Republik über Restitutionen mit sich reden ließen. Das Palais in der Weihburggasse 30 etwa wurde erst 2003 an die Erben zurückgegeben.

Fin

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich auf dem Areal der Stadterweiterung architektonisch nicht viel getan. Ab 1970 wurden U-Bahn-Tunnel in den Boden unter dem ehemaligen Glacis getrieben, und mit dem fixierten Bau der Linie U5 soll das ab 2018 erneut geschehen. Oberirdisch wurden nur wenige neue Gebäude errichtet. Das Hotel Marriott am Parkring wurde in den 1980er-, die Ringstraßengalerien und einige wenige Mietshäuser in den 1990er-Jahren erbaut.

Die Staatsoper auf dem 5000-Schilling-Schein.
Foto: Gemeinfrei (Wikimedia Commons/Gryffindor)

Weniger kontinuierlich war lediglich die Namensgebung der neun recht willkürlich eingeteilten Ringstraßenabschnitte. So hieß der Dr.-Karl-Renner-Ring im Verlauf seiner Geschichte nicht nur Franzensring, sondern auch Ring des 12. November, Dr.-Ignaz-Seipel-Ring, Josef-Bürckel-Ring und Parlamentsring. Zuletzt wurde der Dr.-Karl-Lueger-Ring 2012 in Universitätsring umbenannt.

Doch die Adressen sind für die Gebäude nur von untergeordneter Bedeutung. Ihre Relevanz wurde den Bauwerken der Ringstraßenära längst von allen seriösen und weniger seriösen Seiten bestätigt. Fast jeder Monumentalbau wurde irgendwann auf der Rückseite einer Schilling-Note abgebildet. Ohne sie wäre das Wiener Zentrum 2001 schwerlich zum Unesco-Welterbe geadelt worden.

Im Vorjahr wurden Videoaufnahmen der Ringstraße von 1920 nachgedreht und die beiden Versionen gegenübergestellt.
Youtube/vienna.info

Auch wenn das Kaiserforum nie zu Ende gebracht wurde und Enteignungen sowie unwürdige Arbeitsbedingungen dunkle Flecken in der Geschichte der Ringstraße hinterließen, ist sie doch ein einzigartiger Boulevard. Der Glanz vieler Gebäude mag in Ruß und Witterung der vergangenen 150 Jahre verlorengegangen sein. Die städtebauliche Vision, die Wien in einem solchen Format seither nicht mehr gesehen hat, ist aber weiterhin in jedem Augenblick präsent. Und das touristische Verkaufsargument des "schönsten Boulevards der Welt" scheint noch immer trefflich zu wirken. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 23.4.2015)