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Starb beim Absturz 2010: Staatspräsident Lech Kaczynski.

Foto: AP / Mindaugas Kulbis

"Nur Mut! Du findest genug Platz!", soll Polens Luftwaffenchef dem Piloten der polnischen Präsidentenmaschine noch eine Minute vor dem Absturz am 10. April 2010 zugerufen haben. Dabei wollte dieser eigentlich den Flieger hochziehen. Der Nebel war zu dicht, die Landebahn des russischen Militärflughafens bei Smolensk selbst aus 100 Meter Höhe nicht zu erkennen. Doch auch der Protokollchef des damaligen Präsidenten Lech Kaczynski machte Druck: "Wir versuchen so lange zu landen, bis es klappt", sagte er den Aufzeichnungen des Stimmenrekorders zufolge.

Kurz vor dem fünften Jahrestag der Katastrophe von Smolensk, bei dem Polens damaliger Präsident Lech Kaczynski und 95 weitere Menschen starben, verstört es viele Polen, dass ihnen die Militärstaatsanwaltschaft einen Teil der neuesten Erkenntnisse vorenthält. Erst vor ein paar Tagen hatte Mariusz Szelag, der Chef der Behörde, eine neue Expertise über die Unfallursache vorgelegt.

Lotsen vor Gericht

Er kündigte an, dass nach Abschluss der Ermittlungen im Herbst dieses Jahres zwei russische Fluglotsen aus Smolensk vor ein polnisches Gericht gestellt werden sollen. Sie seien mitschuldig an der Katastrophe, da sie bei den dramatisch schlechten Wetterverhältnissen weder den Flughafen geschlossen noch jeden Landeversuch verboten hätten.

Dass die Militärstaatsanwälte aber inzwischen über eine genauere Auswertung des Stimmenrekorders verfügen als 2010, teilte er nicht mit. Am Dienstag gelangte durch eine undichte Stelle die neue Abschrift an den Krakauer Radiosender RMF FM. Nach der ersten Aufregung ist aber inzwischen klar, dass der Unfallhergang nun zwar genauer rekonstruiert werden kann, die bisherigen Erkenntnisse sich dadurch aber nicht ändern: Unfallursache waren Pilotenfehler. Klarer als bisher ist aber, dass die Piloten unter enormem Druck standen. Kurz vor dem Absturz waren sowohl Luftwaffengeneral Andrzej Blasik als auch Protokollchef Mariusz Kazana im Cockpit, die beide auf eine Landung drängten.

"Verbrecherduo" Tusk und Putin

Politiker der rechtsnationalen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sagen, dass die Aufzeichnungen gefälscht seien. Für Freitag, den fünften Jahrestag der Katastrophe, plant PiS eine Gedenkveranstaltung. In Wahrheit, behauptet immer wieder Jaroslaw Kaczynski, PiS-Vorsitzender und Zwillingsbruder des damals verunglückten Präsidenten, sei der Unfall ein Anschlag gewesen, hinter dem das "Verbrecherduo" Donald Tusk und Wladimir Putin stehe.

Es handelt sich um die damaligen Premiers Polens und Russlands. Zwei Tage vor dem Absturz hatten sie einander auf dem Friedhof von Katyn bei Smolensk die Hände zur Versöhnung gereicht. Hier hatte 1940 der Sowjet-Geheimdienst tausende polnische Offiziere ermordet. Die Kaczynskis und PiS missbilligten, dass Tusk und Putin ein neues Kapitel in den polnisch-russischen Beziehungen aufschlagen wollten. (Gabriele Lesser aus Warschau, DER STANDARD, 9.4.2015)