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Patrouillengang eines US-Soldaten im mittlerweile geschlossenen "Camp X-Ray". Es gehörte zur Guantánamo Bay Naval Base und war Teil eines US-Internierungslagers.

Foto: AP / Charles Dharapak

Kyle Cozad, Kommandant in Guantánamo, scheint in einer Zeitblase gefangen zu sein.

Foto: Frank Herrmann

Ein alter Mann mit grauem Bart und Häkelmütze sitzt an einem blankpolierten Tisch aus Metall. Ein anderer, deutlich jünger, wallendes braunes Hemd über der hellen Hose, läuft pausenlos auf und ab, so als wollte er sich fit halten. Der Ältere hat sich Kopfhörer aufgesetzt, auf dem Tisch stehen Wasserflaschen und Styroporbehälter mit Essen. Durch den Sehschlitz, durch den einen die begleitenden Soldaten in den Gemeinschaftsraum schauen lassen, ist das schwache Flimmern eines Fernsehers an der Wand zu erkennen. Als der Jüngere stehenbleibt, sich mit verschränkten Armen hinter den Älteren stellt und in Richtung Schlitz guckt, drängen die Militärs zum Aufbruch. Vielleicht 40 Sekunden hat er gedauert, der Einblick ins Innenleben von Camp 6, dem modernsten der drei Gefängnisse des Lagers Guantánamo - 2006 gebaut nach dem Modell einer Haftanstalt in Michigan.

Draußen schlagen karibische Wellen gegen die Steilküste. Ein schmales Asphaltband schlängelt sich hinab zum Windmill Beach. Über Kakteen kreisen Geier, am Straßenrand sonnt sich ein Leguan - reglos, als wäre er versteinert. Es ist eine seltsame Welt, eine Welt voller Widersprüche. Ein Naturparadies, in dem sich Tierfreunde in Uniform rührend um jede Schildkröte kümmern und wo Tauchkurse an den Korallenriffen hoch im Kurs stehen.

Eine Szenerie wie in Iowa

Eine Kleinstadt, die eher an Iowa oder Kansas denken lässt als an Kuba: Es gibt einen McDonald's, ein irisches Pub namens O'Kelly's, einen Kentucky Fried Chicken. Und zwischendrin Stacheldraht, Wachtürme, Flutlichtstrahler und am Gefängniszaun dicke Betonpoller, auf denen, pro Poller ein Buchstabe, das Wort "Honor" steht. Ehre.

Es ist 13 Jahre her, als die ersten Gefangenen nach Guantánamo gebracht wurden. Heute sitzen hier noch 122 hinter Gittern, während es auf dem Höhepunkt 779 waren. 55 könnten sofort entlassen werden, würden sich Länder finden, die sie aufnehmen. Für eine Anklage fehlen Beweise, zudem stufen Weißes Haus, CIA und Pentagon sie nicht mehr als Sicherheitsrisiko ein.

Doch so oft Barack Obama auch wiederholt, dass er das Lager zu schließen gedenke, dass es die Werte der USA verletze: Hier aber ist nichts davon zu spüren. Die Provisorien der Anfangszeit sind Geschichte; die neuen Gefängnisse, Camp 5 und Camp 6, stehen da wie für die Ewigkeit gebaut. Fragt man nach Camp 7, dem geheimen Knast, in dem Khalid Scheich Mohammed und vier weitere mutmaßliche Terrorplaner des 11. September 2001 einsitzen, gibt ein Captain, dessen Name nicht gedruckt werden darf, leise lächelnd die immergleiche Antwort. "Weder bestätigen wir seine Existenz, noch dementieren wir sie."

Keine kritischen Fragen

Kyle Cozad sitzt in einem fensterlosen Konferenzraum vor einem Sternenbanner und sagt, dass er keine Kristallkugel besitze und folglich nicht wissen könne, wann der Commander-in-Chief den Abzug anordnen werde. Solange der Präsident nicht entschieden habe, halte er sich an den Befehl, die Internierten "auf sichere, humane, transparente und rechtmäßige Weise" zu bewachen. Der Admiral fügt hinzu, dass jeder einzelne der 122 Häftlinge gefährlich sei. Es klingt, als sei er in einer Zeitblase gefangen, als hätte George W. Bushs "Krieg gegen den Terror" gerade erst begonnen, obwohl Obama den Begriff aus dem Sprachschatz seiner Regierung verbannte.

Warum dürfen Reporter nicht mit den Gefangenen reden, Admiral? Cozad zitiert die Genfer Konvention, die es verbiete, die Lage eines Festgehaltenen auszunutzen, indem man ihn zwinge, mit Journalisten zu reden. Warum sollte ein Journalist eine solche Lage ausnutzen? "Wenn ich jedem von draußen, der nicht wirklich Bescheid wissen muss, solche Gespräche erlaube, dann liefe es genau darauf hinaus. Wir sind kein Zirkus, wir sind eine Haftanstalt."

Zahnarztstühle und Fußfesseln

Wie es dann um die Transparenz bestellt sei? Um ausgewogene Berichterstattung? "Ich sitze hier, um dieses ausgewogene Bild zu vermitteln", antwortet Cozad und verzieht keine Miene. Im Juli hat der Mann aus Las Vegas seine zwölf Monate an der Spitze der Joint Task Force, der Wachtruppe Guantánamos, hinter sich. Er ist der elfte Kommandant des Lagers. Wie viele ihm noch folgen, darüber will er nicht spekulieren.

In der Klinikbaracke stehen Sessel, die an Zahnarztstühle erinnern, davor sind Fußfesseln fest im Beton verankert. Wer auf einem solchen Sessel landet, wird zwangsernährt, über einen Gummischlauch, weil er sich im Hungerstreik befindet. Seit sich vor zwei Jahren, so damals die amtliche Statistik, mehr als hundert Gefangene dem Protest anschlossen, hat das Militär beschlossen, die Zahl der Hungerstreikenden geheim zu halten. Gäbe man sie frei, würde man nur Nachahmer anstiften, sagt Smo.

Zwangsernährung per Schlauch

Smo steht für Senior Medical Officer, leitende Sanitätsoffizierin. Dass Smo brünett ist und relativ klein, darf man schreiben. Wie sie heißt, hingegen nicht. Welche Schmerzen die Schläuche verursachen können, hat der Jemenite Samir Naji al-Hassan Moqbel, seit 2002 hinter Gittern, einmal in einem Brief an die New York Times geschildert. Er werde nie vergessen, wie es beim ersten Mal war: "Als sie den Schlauch hineinstießen, fühlte ich mich, als müsste ich mich übergeben. Ich wollte mich erbrechen, aber ich konnte es nicht."

Bei Smo verschwindet die Realität hinter Wolken aus Sprechblasen, als läse sie aus einem Roman Franz Kafkas vor. Hungerstreik? Stattdessen spricht die Ärztin von nichtreligiösem Fasten, wobei sie hinzufügt, dass man den Ramadan selbstverständlich respektiere. Zwangsernährung? Ernährung per Magensonde, korrigiert Smo. Wird sie auf Moqbel angesprochen, erzählt sie von ihrem Patientenstamm zu Hause: Da komme der eine gut, der andere weniger gut mit der Magensonde zurecht. Genauso sei es in Guantánamo.

Tapferer Optimismus

John Imhof kommt statt im Jeep auf dem Fahrrad zum Interview. Grünes Denken scheint sichtbare Fortschritte zu machen. Nur in der Hauptsache geht nichts voran, weshalb sich Imhof die Lage tapfer schönredet. Der Mann mit dem schütteren Haar, ein Richter, organisiert die Militärverfahren gegen die mutmaßlichen 9/11-Drahtzieher. Die Anhörungen ziehen sich hin, der eigentliche Prozess hat noch immer nicht angefangen. Ein ums andere Mal platzen Termine, weil Streit ums Procedere aufflackert. Zuletzt ging es um die Frage, warum die Armee Frauen einsetzen muss, um die Gefangenen aus ihren Zellen zum Gericht zu transportieren. Einige der Verdächtigen lehnen es ab, aus religiösen Gründen.

Wieso das Militär dennoch darauf besteht? Imhof spricht von einem "rutschigen Terrain", von Präzedenzfällen. "Erst heißt es: keine weiblichen Wächter. Irgendwann heißt es vielleicht: keine Juden. Und dann: keine Schwarzen. Keine Homosexuellen." Wie lange es noch dauert bis zu einem Urteilsspruch? Jahre? Jahrzehnte? "Es geht in angemessenem Tempo voran", zieht sich Imhof aus der Affäre.

Kletterpflanzen und Stacheldraht

Camp X-Ray liegt in einer Senke, nicht weit von dem Tor entfernt, das die US-Flottenbasis von Kuba trennt. Gras wuchert, dickes Gras mit scharfen Kanten. Am Maschendraht winden sich Kletterpflanzen empor. Unterm Dach eines Käfigs hat es sich eine Rattenfamilie bequem gemacht, ein Buntspecht hämmert gegen das Holz eines verlassenen Turms. Die Tour hat etwas von einer Führung durch einen tropischen Zoo; nur dass Camp X-Ray wirkt, als habe Hollywood die Kulisse eines Weltkriegsfilms der Wildnis überlassen.

Eine Soldatin liest Fakten vom Blatt ab: Dass die Gitterzellen zweieinhalb mal zweieinhalb Meter groß waren; dass man nachträglich Stutzen anbrachte, sodass die Gefangenen in den orangen Overalls ihre Notdurft in Rohre verrichten konnten statt wie anfangs in Eimer; dass X-Ray nur 92 Tage in Betrieb war. Und in einer Holzhütte brummte damals die einzige Klimaanlage am ganzen Gelände: "Die Wachhunde dort sollten nicht schwitzen." (Frank Herrmann aus Guantánamo, DER STANDARD, 10.4.2015)