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Wieviel Natur braucht der Mensch? Ein australisch-britisches Forscherteam will mit einer neuen Methode eine Mindestempfehlung abgeben.

Foto: APA/EPA/ANDY RAIN

Brisbane – Natur tut uns gut. Der Blutdruck sinkt, der Stresspegel fällt und auch die Hitze in den Städten verliert ihre sommerlichen Spitzen. Über 30 Jahre Forschung zum Verhältnis von menschlicher Gesundheit und natürlichem Umfeld raten dazu, die Betonwüsten mit Grün aufzustocken. Aber genügen die Geranien am Balkon und die Thujen-Hecke um das Haus? Und wie viele Minuten pro Woche soll ein Mensch durch den Wald spazieren?

Eine australisch-britische Forschergruppe bringt nun mit einem neuen Ansatz Ordnung in die Forschungslandschaft. Wie bei Medikamenten soll ermittelt werden, welche Qualität, Dauer und Frequenz bei Kontakt mit der Natur die beste Wirkung auf die Gesundheit erzielt.

Wie grün ist grün genug?

Natur ist nicht gleich Natur. Bisherige Studien untersuchten das Phänomen auf allen Ebenen, vom bloßen Ausblick auf ein Stück Wald vor dem Fenster über die Anzahl der Bäume in der Nachbarschaft bis zur Wirkung von Vogelarten. Je nachdem, welchen Gesundheitsbereich die Forscher betrachteten, spielten andere Parameter eine Rolle.

Die Forscher der University of Queensland, der Australian Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation und der University of Exeter machten sich nun daran, eine empfohlene Mindestdosis an Grün zu ermitteln. Um das Verhältnis von Natur und Gesundheit in Zahlen zu fassen, fokussierten sie sich auf drei Hauptpunkte: Wie oft und wie häufig Personen der Natur ausgesetzt sind sowie wie naturbelassen die Umgebung ist.

Die Kurve steigt steil

Der Ansatz ist nicht neu. Mit Dauer, Frequenz und Intensität wurden bereits Empfehlungen für die richtige Menge an Sport pro Woche ausgesprochen. Die Wissenschafter modellierten in ihrer Studie erstmals Dosis-Wirkungs-Kurven für Natur und Gesundheit.

Wie sich zeigte, wirkt ein natürliches Umfeld rasch auf die Psyche: Schon nach wenigen Minuten tritt eine Verbesserung der Denkleistung ein und zwar bloß durch das Betrachten von Naturbildern. Auch die Herzschlagfrequenz sinkt im Wald schnell und deutlich, wie Untersuchungen aus Japan zeigen. Nach einer schnellen anfänglichen Wirkung ist das Maximum aber bald erreicht. Der positive Effekt verbessert sich nicht durch mehr Grün oder eine längere Aufenthaltszeit.

Eine Überdosis Wildnis

Manchmal wirkt eine höhere "Naturdosis" sogar negativ. Die Wissenschafter vermuten, dass eine zu stark begrünte Szenerie in der Stadt unübersichtlich wird. Durch die vielen Nischen und Winkel verlieren Passanten das Gefühl der Sicherheit – Stress kann die Folge sein. Ein nächtlicher Spaziergang durch einen verwilderten städtischen Park etwa führt eher zu Anspannung statt Entspannung.

Auch bei der grundsätzlich positiven Wirkung der Natur auf das Herz-Kreislauf-System vermuten die Forscher einen potentiellen Nachteil. Der Grad der Begrünung und die kardiovaskuläre Gesundheit steigen bei vergleichbaren sozialen Gruppen gemeinsam an. Doch irgendwann gerät der positive Effekt ins Stocken und könnte sich bei Teilen der Bevölkerung sogar ins Gegenteil verkehren. Denn mehr Bäume und Gräser bedeuten auch einen gesteigerten Pollenflug, der Allergikern zusetzt.

Fünf Hände und anderthalb Liter

Die Studie betont jedoch, dass der Zusammenhang zwischen Gesundheit und Natur komplex ist. Alter, Kultur und sozialer Status spielen genauso eine Rolle wie persönliche Vorlieben. Trotzdem halten die Forscher an der Sinnhaftigkeit der Suche nach einer allgemeinen Empfehlung fest.

Ihnen ergeht es nicht viel anders als Ernährungswissenschaftern. Die Österreichische Gesellschaft für Ernährung empfiehlt gesunden Erwachsenen täglich mindestens anderthalb Liter Wasser und fünf Portionen Gemüse, Obst und Hülsenfrüchte. Solche Ernährungsempfehlungen erfüllen ihren Zweck: An klaren Zahlen kann sich die Öffentlichkeit besser orientieren als an komplexen Zusammenhängen. Auch die australisch-britischen Forscher erhoffen sich mehr Einfluss auf Politik und die Laienmeinung. (Marlis Stubenvoll, derStandard.at, 11.4.2015)