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Amy Landecker und Jeffrey Tambor in "Transparent".

Foto: AP Photo/Amazon Digital, Beth Dubber

München/Wien - Rund 1,5 Millionen Menschen allein in den USA definieren sich laut "Time"-Magazin als transsexuell. Im Mainstream bisher nur Randnotiz, sind sie nun sichtbarer. Das ist nicht zuletzt der mit zwei Golden Globes prämierten ersten Amazon-Eigenproduktion "Transparent" zu verdanken, die ab Freitag auf Deutsch verfügbar ist. Serienschöpferin Jill Soloway will damit nicht weniger als "Leben retten".

Transformation des Patriarchen zur Frau

Erzählt wird vom Familienvater Mort (Jeffrey Tambor), der seinen erwachsenen Kindern im Alter von 68 Jahren eröffnet, künftig als Maura leben zu wollen. "Transparent" begleitet die Transformation des Patriarchen zur Frau nicht zuletzt aus den Augen der Kinder, die ihrerseits in Identitätskrisen stecken. So gibt sich die Jüngste, Ali (Gaby Hoffmann), Drogenexzessen und sexuellen Abenteuern hin, jagt Musikproduzent Josh (Jay Duplass) desorientiert Frauen (oder doch der Liebe) nach und zweifelt Sarah an Ehemann und Kindern, als ihre Liebhaberin aus Collegezeiten in die Stadt zieht.

Zeit des Übergangs

Morts Outing stürzt auch die Geschwister in eine Zeit des Übergangs. "Sie sind in einem Haus aufgewachsen, in dem es ein großes Geheimnis gab, das anstelle von Grenzen getreten ist", sagt Jill Soloway, Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin der Serie, im Gespräch mit der APA. "Als die Wahrheit ans Licht kommt, drängen sich allen in der Familie erstmals Fragen auf wie: 'Wer bin ich? Wo höre ich auf und wo fängt der andere an? Wer war ich als Kind? Was war real, was fantasiert? Was bleibt? Was ist Familie, was ist Liebe?'" Dass vordergründig erst über das familieneigene Haus gestritten wird, sei da ganz natürlich. "Es ist zu viel für die Drei, sich klar zu machen: 'Ich bin nicht mit einem Vater und einer Mutter aufgewachsen, sondern einer Mutter und einer Mutter.' Anstatt dieses Vermächtnis zu verarbeiten, fokussieren sie sich auf jenes Erbe, das für sie greifbar ist: das Haus und das Geld."

Politisches Statement

Für Soloway haben sich die Figuren "sehr natürlich" herausgebildet, hat sich ihr eigener Vater doch vor drei Jahren als transsexuell geoutet und ist ihre ältere Schwester Faith lesbisch. Die 51-Jährige verarbeitete die Nachricht ihres Vaters mitunter damit, "diesen Figuren Namen zu geben und zuzuhören, was sie mir zu sagen haben". Aus der persönlichen Geschichte wurde bald auch ein politisches Statement. "Diese Serie steht im Dienst einer Bürgerrechtsbewegung, sie rettet Leben und ändert das Denken der Menschen", ist Soloway überzeugt. "Wir sind verpflichtet, etwas zu kreieren, das wahr ist, damit Menschen ihr Leben ehrlich führen, vor allem wenn es um Trans- und Queer-Themen geht."

Zurück an den Moment

"Eine Frage, die mir häufig zu meinen eigenen Eltern gestellt wird, ist: Hattest du eine Ahnung?", erklärt Soloway ihren Ansatz, im Laufe der zehn halbstündigen Folgen regelmäßig in die frühen 90er-Jahre zurückzureisen. "Es gibt diese Obsession, zurück zu dem Moment zu gehen, wenn Dinge kristallklar werden. Wir wollten diese Frage stellen: 'Wusste die Familie davon, hat sie es ausgeblendet? Was ist aufgrund des Nichtwissens vorgefallen?'"

Jeffrey Tambor spielt die Hauptrolle

"Transparent" will dabei über übliche Fragen hinausgehen, "und neue Maßstäbe setzen in der Art und Weise, wie wir darüber reden", so Soloway. "Die feinen Unterschiede zwischen einem Crossdresser, einem Transsexuellen und einer Dragqueen sind den meisten nicht bewusst." Dass sich das nun ändere, spricht sie nicht zuletzt ihrem 70-jährigen Hauptdarsteller Jeffrey Tambor, bekannt u.a. aus der Kult-Comedyserie "Arrested Development", zu. "Viele fragen mich, warum ich keine transsexuelle Frau gecastet habe, aber ich denke, jemandem, den man kennt, bei dieser Veränderung zuzusehen, macht es nachvollziehbarer." Die Trans-Community ist nichtsdestotrotz sowohl vor als auch hinter der Kamera stark eingebunden. So treten Trans-Männer und -Frauen u.a. als Berater, Autoren und Schauspieler auf.

Einstieg ins Seriengeschäft

Nicht nur hier setzt "Transparent" neue Maßstäbe, erhielt sie doch zudem als erste von einem Online-Dienst produzierte Serie heuer einen Golden Globe - für den Online-Versandhändler Amazon ein denkbar guter Einstieg ins Seriengeschäft. "Streaming-Plattformen denken alles neu, auch Kreativität, und sie verstehen, dass es zu besserem Inhalt führt, wenn man es Künstlern ermöglicht, authentische Geschichten zu erzählen", meint Soloway, die es mit ihrer Idee vorerst "bei den üblichen Verdächtigen" wie HBO, Showtime und Netflix probiert hatte. Letztere haben bereits in der Erfolgsserie "Orange is the new black" eine zentrale transsexuelle Figur, verkörpert von der als Mann geborenen Schauspielerin Laverne Cox. Die neuen Möglichkeiten leiten laut Soloway nicht zuletzt eine "feministische Revolution" ein: Bei großen Senderanstalten würden zu viele Menschen mitreden - vorrangig Männer, "die sich selbst als Protagonisten sehen wollen und Frauenfiguren wie Sarah als unsympathisch abtun".

Zweite Staffel in Auftrag gegeben

Amazon hat mittlerweile eine zweite Staffel in Auftrag gegeben, ab Juni wird gedreht. Am Freitag wird in München vorerst die deutsche Synchronfassung der ersten Staffel präsentiert, die fortan bei Amazon Prime Instant Video verfügbar ist. Neben Hauptdarsteller Jeffrey Tambor ist auch eine weitere Vorreiterin in punkto Akzeptanz vor Ort: Song Contest-Siegerin und Dragqueen Conchita Wurst. "Menschen wie sie sind wichtig, weil sie einem das Unbekannte näher bringen, wir uns mit ihnen identifizieren und wir ihnen so die gleichen Rechte wünschen wie uns auch", ist Soloway überzeugt. "Sie sind die Übersetzer." (Angelika Prawda/APA)