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Militär des geflohenen Präsidenten Hadi bereitet sich auf den Kampf mit den Huthi-Rebellen vor.

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Inder, die sich noch bis vor kurzem im Jemen aufhielten, werden am Flughafen Mumbai empfangen. Jemeniten können nicht flüchten.

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Ein Bulldozer gräbt ein Grab für die Toten der Luftschläge.

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Die Fronten im Konflikt um den Jemen sind vielschichtig und verworren, die Anzahl der Akteure im Land wird mit der von Saudi-Arabien angeführten Koalition immer größer. Warum der ehemalige jemenitische Präsident Saleh nun neben dem Anführer der Huthis auf der Abschussliste von Al-Kaida steht, welche Risiken Saudi-Arabien mit der Entsendung von Bodentruppen eingeht und inwieweit der Iran tatsächlich die Huthi-Rebellen unterstützt, erklärt Jemen-Expertin Marie-Christine Heinze.

derStandard.at: Wer regiert derzeit den Jemen?

Heinze: Es regiert keine Partei den Jemen. Die Huthis haben zu Beginn des Jahres versucht, eine neue Regierung in Sanaa zu etablieren, die wurde aber von keiner anderen Seite wirklich anerkannt und akzeptiert. Abd-Rabbu Mansur Hadi, der Präsident, hat sich ja nach Aden abgesetzt und seinen Rücktritt von Jänner wieder zurückgenommen, an dem Tag, an dem seine Amtszeit eigentlich abgelaufen wäre.

Jetzt ist die Frage: Ist er der legitime Präsident oder nicht? Man kann argumentieren, dass er das weiterhin ist, weil die Verfassung von 1994 vorsieht, dass, bis es einen neuen Präsidenten gibt, der alte interimistisch weiter im Amt bleibt. Das Problem ist aber, dass er kaum mehr Rückhalt in der Bevölkerung hat und dieser seit Beginn der Kampfhandlungen Saudi-Arabiens und der Koalition noch weiter geschwunden ist. Es kommt nicht sehr gut an, dass dieser Präsident jetzt im Ausland sitzt und andere Parteien dazu auffordert, das Land zu bombardieren.

derStandard.at: Wie wirkt sich das auf das Leben der Zivilbevölkerung aus?

Heinze: Die Ministerien arbeiten weiter auf niedrigerer Ebene und stellen sicher, dass es Wasser, Strom, Gesundheitsversorgung und Schulbildung gibt. Die sind es schon gewöhnt, dass zwischendurch einmal keine Regierung existiert und es Konflikte gibt.

derStandard.at: Wie stark sind die Huthi-Rebellen?

Heinze: Sie haben eine große Anzahl von erfahrenen Kämpfern, die zusätzlich gestützt werden durch die Koalition mit dem ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh. Ohne die Sicherheitskräfte, die immer noch Saleh treu sind, wären die Huthis niemals militärisch so erfolgreich. Gerade im Norden des Landes haben sie auch durchaus Rückhalt aus der Zivilbevölkerung. Aber je weiter südlich sie kommen, in Regionen, die nicht dieselbe religiöse Ausrichtung und Geschichte haben, schwindet der Rückhalt.

derStandard.at: Vergangene Woche hat es kurzzeitig so ausgesehen, als hätten ausländische Truppen schon das Land betreten. Rechnen Sie mit Bodentruppen im Jemen?

Heinze: Die Meldung von vergangener Woche war wohl ein Missverständnis. Es sollen Inder gewesen sein, die versucht haben, ihre Leute per Schiff zu evakuieren. Dabei sollen Schüsse von Land aus gefallen sein, und so haben sie kurzfristig selbst eingegriffen.

Es wird immer wieder angekündigt, dass in den nächsten zwei bis drei Tagen mit Bodentruppen zu rechnen ist. Letzten Endes ist es so, dass, will die Koalition sich tatsächlich gegen die Huthis durchsetzen, sie nicht um Bodentruppen herumkommt. Das ist einfach so, weil die Huthis die militärische Macht im Land haben. Es hat sich seit dem Beginn der Angriffe gezeigt, dass sich die Huthis weiter in Aden ausbreiten und bislang nicht groß geschwächt wurden. Bis dato wurde durch die Luftangriffe eher schweres Gerät bombardiert – eventuell ein Zeichen, dass ein Einsatz von Bodentruppen vorbereitet werden könnte.

derStandard.at: Ist der Krieg für Saudi-Arabien zu gewinnen?

Heinze: Ägypten und Saudi-Arabien sind sich aus historischen Gründen der Tatsache bewusst, dass die Entsendung von Bodentruppen die beiden Akteure in einen sehr langen, kostenreichen Konflikt hineinziehen könnte. Die Huthis haben seit 2004 Kampferfahrung gesammelt. Das Territorium – vor allem im Hochland – ist ähnlich wie Afghanistan: extrem unübersichtlich, mit sehr, sehr hohen Bergen. Man muss sich wirklich gut auskennen, um erfolgreich kämpfen zu können. Eventuell könnten Bodentruppen auch in Aden an Land gehen, aber es wird der Koalition nichts bringen, allein Aden einzunehmen.

derStandard.at: Inwieweit werden die Huthi-Rebellen tatsächlich vom Iran unterstützt?

Heinze: Die Unterstützung hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt, vielleicht auch dadurch, dass vor allem der ehemalige Präsident Saleh, der sich ja sechs Kriege mit den Huthis zwischen 2004 und 2010 geliefert hat und dessen Militär jetzt an ihrer Seite kämpft, immer behauptet hat, der Iran würde die Huthis unterstützen. Das war zunächst aber gar nicht der Fall. Aber so hat sich das, was behauptet wurde, mit der Zeit zur Realität entwickelt.

Der Iran und die Hisbollah haben die Huthis in den letzten Jahren strategisch unterstützt – etwa durch Trainings, womöglich auch finanziell. Es ist aber bislang völlig unerwiesen, ob der Iran tatsächlich Waffen an die Huthis geliefert hat. Auch haben die Huthis nicht immer auf Teheran gehört, sie sind also weit davon entfernt, eine Marionette der Iraner zu sein.

Meiner Meinung nach ist das Verhältnis nicht so eng, dass der Iran nicht dazu bereit wäre, seinen Einfluss im Jemen für andere regionale Vorteile zu opfern.

derStandard.at: Wie viel Rückhalt in der Bevölkerung haben die Rebellen mittlerweile? Ist ein kampfbereiter Schiit automatisch Huthi-Rebell?

Heinze: Es kämpfen nicht nur Schiiten auf Huthi-Seite. Es gibt auch sehr viele Schiiten, die mit den Huthis und den Kämpfen nichts zu tun haben wollen. Dennoch sind die Huthis 2004 durchaus aus einem Gefühl der religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Diskriminierung heraus entstanden. Es kämpfen Leute an ihrer Seite, die sich ebenfalls diskriminiert fühlen, andere, weil sie dem ehemaligen Präsidenten Saleh loyal gegenüberstehen. Man muss auch unterscheiden zwischen den Huthi-loyalen Stämmen und denen, die sich nur temporär aus lokalen Interessengründen den Huthis anschließen.

derStandard.at: Al-Kaida hat diese Woche Kopfgeld auf den ehemaligen Präsidenten Saleh und den Huthi-Rebellenführer ausgesetzt. Kann man jetzt schon sagen, dass Al-Kaida von dem nun entstehenden Machtvakuum profitiert?

Heinze: Ja, auf jeden Fall. Al-Kaida wird – neben allen Waffenhändlern der Welt – am ehesten von diesem Konflikt profitieren. Die Huthis waren die einzigen Akteure im Jemen, die bereit waren, sich Al-Kaida mit Waffengewalt entgegenzustellen. Wenn die Huthis jetzt in andere Konflikte eingebunden werden, auch geschwächt werden, dann profitiert Al-Kaida auf jeden Fall davon.

Saleh hat immer mit Al-Kaida und auch mit der Gefahr, die Al-Kaida für den Westen und Saudi-Arabien darstellt, gespielt. Er hat in seinen Regierungsjahren Al-Kaida dazu benutzt, um weitere militärische Unterstützung von den USA und Saudi-Arabien ins Land zu holen. Deswegen sind die Leute, die jetzt an seiner Seite und der Seite der Huthis kämpfen, auch so gut trainiert.

Es wird auch darüber spekuliert, ob nicht letzten Endes Ali Muhsin, ein ehemaliger Weggefährte von Salih und seit 2011 einer seiner erbittertsten Feinde, hinter dem Gefängnisausbruch der Al Kaida Häftlinge stecken könnte. Er musste im September 2014 nach Saudi-Arabien fliehen, als die Huthis mit Salihs Hilfe die Hauptstadt einnahmen. Insofern ist es logisch, dass Al Kaida ein Kopfgeld auf Saleh gesetzt hat.

derStandard.at: Es gibt laufend Evakuierungen aus dem Jemen, z.B. Richtung Indien und China. Flüchtet die jemenitische Bevölkerung auch?

Heinze: Die Bevölkerung würde gerne flüchten, aber es sind fast alle Flughäfen zerstört, und es gibt kaum Möglichkeiten für sie, das Land zu verlassen. Es hat Berichte von einer sehr kleinen Anzahl von Jemeniten gegeben, die nach Somalia geflohen sind. Ich kann mir vorstellen, dass das auch weiter zunehmen wird, sollten sich die Kämpfe in Aden weiter ausbreiten oder Bodentruppen landen.

derStandard.at: Der Konflikt hat sich innerhalb weniger Wochen drastisch verschärft. Ist die Intervention Saudi-Arabiens ein Mittel des neuen Königs, sich zu profilieren?

Heinze: Das hat sicherlich auch innenpolitische Gründe. Es geht auch darum, den neuen Verteidigungsminister zu stärken, der noch sehr jung ist und noch nicht viel vorweisen kann. Aber natürlich gibt es viele andere Gründe. Neben dem regionalen Machtkonflikt mit dem Iran geht es auch darum, dass Saudi-Arabien eben keine starke schiitische Macht im Jemen haben will, direkt an der südlichen Grenze. Es geht auch um die Meerenge Bab al-Mandab und die Sicherung der Wirtschaftswege.

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Es hat mit Sicherheit auch damit zu tun, dass sich im Jemen nach den Umbrüchen von 2011 eine neue politische Dynamik entwickelt hat, die nicht mehr dem autoritären Staatskonzept entspricht. Was die Huthis letztlich aus ihrer Regierung gemacht hätten, hätten sie die Macht konsolidieren können, ist nicht klar. Aber hier geht es sicher auch darum, den Einfluss Saudi-Arabiens auf den Jemen weiterhin zu garantieren, um sicherzustellen, dass ihr Herrschaftssystem nicht durch eine alternative Bewegung infrage gestellt werden wird. (Teresa Eder, derStandard.at, 10.4.2015)