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Mitglieder der neuen Wahrheitskommission um Zoe Konstantopoulou (Mitte): Sofia Sakorafa (links) und Eric Toussaint (rechts).

Foto: APA/EPA/SIMELA PANTZARTZI

"Gib mir ein bisschen Wahrheit", singt John Lennon, "ich habe es satt, Dinge zu hören von verklemmten, kurzsichtigen, engstirnigen Heuchlern." Das wärmt den Griechen das Herz. Da müssen sie an die Euro-Finanzminister in den mausgrauen Anzügen denken und an die Premiers vergangener griechischer Regierungen, die alle Sparauflagen unterschrieben haben.

40 bis 60 Sekunden dauern die Videospots, die dieser Tage im hochoffiziellen griechischen Parlamentsfernsehen laufen. Die Kamera fährt über Graffiti und leere Geschäfte in Athen, an denen Vorhängeschlösser hängen. Sie zeigt noch einmal die Massendemonstrationen gegen den Sparkurs und dann die neue, linke Parlamentspräsidentin: Zoe Konstantopoulou, Tochter eines bekannten Gegners der griechischen Junta Ende der 1960er-Jahre und zunehmend eine Rivalin des amtierenden Regierungschefs Alexis Tsipras.

Die streitbare 38-Jährige hat eine "Wahrheitskommission" ins Leben gerufen, die Licht ins Dunkel der griechischen Finanzmisere bringen soll und dann den Schuldenberg von derzeit 320 Milliarden Euro vermutlich mit einem Knopfdruck verschwinden lassen wird. Am Ende eines jeden Spots wird der griechische Zuschauer zum Mitmachen aufgefordert: "Überprüfen Sie es. Löschen Sie es. Wahrheitskommission für die Schulden."

Prominente Namen

Ein gutes Dutzend internationaler Ökonomen, Rechtsprofessoren und Finanzwissenschafter hat Konstantopoulou für ihre neue Wahrheitskommission gewonnen. Es sind Wortführer der Antiglobalisierungsbewegung wie der Belgier Eric Toussaint, Sprecher des "Komitees zur Abschaffung der Schulden der Dritten Welt", oder Bürgerrechtler wie der aus Sambia stammende UN-Berichterstatter Cephas Lumina. Auch der griechische Teil der Kommission hat einschlägig bekannte Gesichter: die Syriza-Europaabgeordnete Sofia Sakorafa natürlich, aber auch Zoe Georganta, eine ehemalige führende Mitarbeiterin des griechischen Statistikamts Elstat und Urheberin der großen Verschwörungstheorie über die Schuldenkrise des Landes. Georganta beschuldigte den Direktor von Elstat, das Haushaltsdefizit Griechenlands für 2009 künstlich aufgeblasen zu haben, was damals den Stein erst richtig ins Rollen brachte. Athen musste im Mai 2010 den ersten milliardenschweren Rettungskredit aufnehmen, weil die Finanzmärkte dem Land nicht mehr glaubten.

Die "Wahrheitskommission für die Schulden" soll nun alles an den Tag bringen. Untersucht werde jener Teil der griechischen Staatsschulden, der "illegal, illegitim, abstoßend und schändlich" sei, kündigte Zoe Konstantopoulou an. Damit meint die Parlamentspräsidentin offenbar den Steuerbetrug von Großverdienern, die Korruption bei der Vergabe großer Staatsaufträge wie etwa bei der Organisation der Olympischen Sommerspiele 2004 oder auch die Unmoral ausländischer Banken und Unternehmen, die Griechenland mit dem Ankauf von Anleihen und mit Schmiergeldzahlungen an Politiker nur immer tiefer ins Finanzloch geritten hätten. Wenn aber die Schulden "illegal" sind, so die Logik der linken Parlamentschefin, dann ist doch auch die ganze griechische Staatsverschuldung irgendwie ungültig.

Konstantopoulous "Wahrheitskommission" umschließt den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Kreditverträgen, den die Athener Links-rechts-Regierung von Tsipras diese Woche im Plenum durchgeboxt hat. Tsipras' Amtsvorgänger, der Konservative Antonis Samaras, hatte sich dagegen gewehrt und den U-Ausschuss als reines Ablenkungsmanöver verurteilt. Tsipras und sein unerfahrenes Team ließen Griechenland in ein neues Finanzchaos schlittern, sagt die Opposition. An die Ungültigkeit der griechischen Schulden glauben erst recht nicht die Kreditgeber. Sie haben Athen sechs Werktage gegeben, um die jüngste Liste mit Reformversprechen nachzubessern. Jetzt sind aber erst einmal Feiertage zum orthodoxen Osterfest.

John Lennons "Gimme some hope", dann die Stimme von Aris Chatzistefanou, dem Regisseur von "Katastroika", einer Doku, die zeigen will, welche soziale Katastrophe die Troika über die Griechen gebracht hat: "Nach fünf Jahren Kreditabkommen haben sich die Schulden von 115 % des BIPs auf 180 % erhöht. Erfahren Sie die Wahrheit über die Schulden."

Massendemonstrationen auf dem Syntagma-Platz in Athen, Staubsauger im Parlament, dann Sofia Sakorafa, Europaabgeordnete von Syriza, während einer Rede beim ersten Treffen der Wahrheitskommission im Parlament: "Wir antworten unserem Volk. Mit der Offenbarung der Wahrheit. Vor dreieinhalb Jahren haben hunderttausende Menschen auf dem historischen Syntagma-Platz mit Mut und Entschlossenheit den Austritt unseres Landes aus dem Regime der Sparauflagen verlangt."

Am Ende Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou: "Es wird eine Sonderkommission des griechischen Parlaments eingerichtet, die die Wahrheit über die Entstehung und die Anhäufung der Staatsschulden untersuchen und auch die Schulden prüfen soll, und wir werden sie die Wahrheitskommission für die Staatsschulden nennen."

"Griechenland hat als erstes Land Verträge unterschrieben, die alle Grundsätze zerstören. Niemals in der Geschichte gab es eine Unterschrift unter einem Vertrag für den Verzicht der Souveränität eines Staates", behauptet ein Redner beim Treffen der Wahrheitskommission im Parlament.

Es folgt Eric Toussaint, Sprecher des Komitees zur Abschaffung der Schulden der Dritten Welt: "Alle Mitglieder des IWF-Direktoriums wussten, der Zweck des Darlehens war, die deutschen und französischen Banken zu retten."

Dann wieder Sofia Sakorafa: "Nur acht Prozent der Mittel der Kreditgeber haben die Bedürfnisse unseres Volks gedeckt. Die restlichen 92 Prozent gingen wieder an die Gläubiger und die Banken."

Ein junger Mann spricht am Ende von der Rednertribüne: "Es ist so, als ob jemand entführt und auf ein Boot gebracht worden ist, und um sich zu retten, beginnt er zu rudern. Er wurde nie gefragt, er weiß nicht, wie er auf dieses Boot gekommen ist: Er weiß nur, dass er rudern muss. Was ist das, wenn nicht Sklaverei?" (Markus Bernath, derStandard.at, 10.4.2015)