Wien - Das Land ist eine Verlockung. Und erst recht die Volkskultur, deren chartsstürmende Klangeslust die österreichische Autorin Vea Kaiser sehr schön mit dem Titel "Blasmusikpop" quittiert hat. Dass dieser Sonnenschein der Ethno-Identität auch Schatten erzeugt, ist nicht nur literarisch, sondern auch in Film und Theater seit Jahrzehnten immer wieder Thema.
Im zeitgenössischen Tanz arbeitet sich gerade der Oberösterreicher Simon Mayer an der Ambivalenz rustikaler Ästhetik ab. Vor genau 20 Jahren haben das auf ihre Art bereits Christine Gaigg in Oiwei Super oder Ina Rager mit ihrem Stück Öpfiglaum getan. Im Brut, das damals noch dietheater hieß. Die Künstlerhaus-Bühne aber, auf der nun auch Mayers Quartett Sons of Sissy aufspielt, ist die Gleiche geblieben. In den Neunzigern wollte das Publikum gefordert werden, heute möchte es lieber gut bedient sein. Das leistet Simon Mayer, und er tut es - nach seinen bisher ausufernden Bastelübungen à la SunBegSitting - jetzt zum ersten Mal auch in einer knappen, konsequent durchgearbeiteten Formsprache.
Vier Burschen in moderater bis queerer ländlicher Kostümierung jodeln sich zu Beginn ein und ziehen in der Folge eine ironische Dekonstruktion des Volkstanzes durch. Zum Einsatz kommen dabei Geigen, Knöpferlharmonika, Kontrabass, Horn, Glocken und Peitschen. Paar-, Dreh- und Kreistänze sind auf ihr Wesentlichstes reduziert, und konsequent reduzieren auch die Tänzer ihre Bekleidung. Die Sons of Sissy machen sich und den Tanz nackt, sie hüpfen und schuhplatteln, verformen die von ihnen zitierten volkskulturellen Klischees und bremsen die Deftigkeit ihrer Gstanzln schrittweise aus.
Vor zehn Jahren hat die aus Ungarn stammende Choreografin Eszter Salamon mit ihrem Stück Magyar Tàncok, das auch im Tanzquartier Wien zu sehen war, einen Ethno-Trend mitausgelöst, der die europäische Choreografie bis heute nicht loslässt. Gezeigt haben das auch der Italiener Alessandro Sciarroni (Folk-s) und die Österreicherin Doris Stelzer (Lasst uns träumen).
In der gegenwärtigen Theaterperformance sind die Rabtaldirndln einsame Größen in der Ausleuchtung vor allem der Fallen des Landlebens. Ihr Reflexionsniveau erreicht Mayer mit seinen Buam Matteo Haitzmann, Patric Redl und Manuel Wagner nicht. Deswegen bleibt an den Sons of Sissy eine Restsentimentalität picken, die wohl mit der Frage nach der Zukunft der biederen Brauchtumskultur im Zeitalter ihrer euphorischen Vermarktung zusammenhängt. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 11./12.4.2015)