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Vom Ziehsohn zum ungeliebten Kind: Winterkorn (re.) mit VW-Patriarch Piech (li.)

Foto: AP/AP Fotograf: Julian Stratenschulte

Wolfsburg - Führungskrise im Volkswagen-Konzern: Während Firmen-Patriarch Ferdinand Piech am Stuhl vom Vorstandschef Martin Winterkorn sägt, stellt sich der mächtige Betriebsratschef Bernd Osterloh demonstrativ hinter den Lenker des größten Automobilkonzerns in Europa. "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn", zitierte der "Spiegel" Piech am Freitag.

Der 77-jährige sähte damit Zweifel, ob Winterkorn ihn nach seiner Amtszeit an der Konzernspitze im Aufsichtsrat beerbt. Bisher war in Wolfsburg erwartet worden, dass Winterkorn, dessen Vertrag bis Ende 2016 läuft, auch danach noch ein, zwei Jahre an der Spitze des Zwölf-Markenkonzerns bleibt, bevor er Piech als Aufsichtsratschef ablöst.

Nun scheint offen, wie lange sich Winterkorn überhaupt noch halten kann. Rückdeckung erhielt er vom Betriebsrat. Mit ihm habe der Konzern "den erfolgreichsten Automobilmanager an Bord", erklärte Betriebsratschef Bernd Osterloh. Wenn es nach dem Willen der Arbeitnehmer gehe, solle Winterkorns Vertrag über 2016 hinaus verlängert werden. Osterloh sitzt im einflussreichen Aufsichtsratspräsidium, in dem die wichtigsten Personalfragen vorentschieden werden.

Überraschende Wende

Den beiden Ingenieuren Piech und Winterkorn wurde bisher ein besonders vertrauensvolles Verhältnis nachgesagt. VW-Kenner gehen davon aus, dass Piechs Äußerungen Winterkorns Stellung erheblich schwächen dürften. Es stelle sich die Frage, ob der 67-Jährige seinen Vertrag tatsächlich noch einmal verlängert.

Offen ist, was Piech mit seinen überraschenden Aussagen bezweckt. Der Porsche-Enkel, der die Fäden in dem Weltreich mit beinahe 600.000 Beschäftigten von Salzburg aus zieht, hat in der Vergangenheit mehrfach durch sybillinische Äußerungen wichtige Entwicklungen in dem Konzern beeinflusst. Ein Insider sagte zu Reuters, hinter allem, was Piech tue, stehe letztlich immer das Ziel, die Macht der Familie in dem von seinem Großvater, dem "Käfer"-Erfinder Ferdinand Porsche gegründeten VW-Konzern zu sichern.

Die Familien Porsche und Piech halten über die von ihnen kontrollierte Porsche SE die Mehrheit an Volkswagen. Vor acht Jahren sorgte Piech bereits dafür, dass Winterkorns Vorgänger an der Konzernspitze Bernd Pischetsrieder seinen Hut vorzeitig nehmen musste. Dabei nutzte er die Unzufriedenheit der Arbeitnehmer, um den früheren BWM-Chef loszuwerden. Zweitgrößter VW-Aktionär ist das Land Niedersachsen.

Dem "Spiegel"-Bericht zufolge mehrt sich im Aufsichtsrat Kritik an Winterkorn, der Volkswagen seit 2007 führt. So werfe Piechs Bruder Hans Michel, der ebenfalls im VW-Aufsichtsrat sitzt, Winterkorn Versäumnisse vor. Zu Piechs Kritikpunkten zählt demnach, dass Winterkorn die Probleme im US-Geschäft bisher nicht in den Griff bekommen hat und die Hauptmarke VW bei der Ertragskraft schwächelt.

Der Konzernschef hatte im vergangenen Sommer ein Sparprogramm aufgelegt, um VW bei der Rendite auf die Sprünge zu helfen. Bis 2017 sollen fünf Milliarden Euro eingespart werden. Ebenfalls kritisch sehen manche, dass VW zwar seit vielen Jahren über den Einstieg ins Billigsegment diskutiert, bisher aber keine Entscheidung getroffen hat.

Ursula Piech aus dem Rennen

Spekulationen, er könne seine Ehefrau Ursula Piech zu seiner Nachfolgerin küren, erteilte VW-Patriarch Piech nun eine Absage. "Ich strebe an, dass an die Spitze des Aufsichtsrats und des Vorstands die Richtigen kommen und das sind keine Familienmitglieder, das ist auch nicht meine Frau", zitierte der "Spiegel" ihn. Ursula Piech ist einfaches Mitglied des VW-Aufsichtsrats. "Mehr wird sie nicht machen", fügte Piech hinzu. Er wolle nicht durch seine Frau weiterregieren.

Piech machte zudem erneut seine Ansicht klar, dass die beiden Spitzenpositionen des Konzerns von einem Techniker besetzt werden müssten. Die Kandidaten dafür seien bereits im Unternehmen. Die Frage ist nun, wann die Weichen für den Wechsel gestellt werden. Sollte sich Winterkorn nicht beirren lassen und weiter VW-Chef bleiben, könnten sich Andreas Renschler, der kürzlich von Daimler zu VWwechselte, und Herbert Diess von BMW Hoffnungen auf die Rolle als Kronprinzen vorbereiten. Auch Skoda-Chef Winfried Vahland wird zu den Kandidaten gezählt.

Sollten die Weichen allerdings früher gestellt werden müssen, weil Winterkorn hinwirft, kämen Porsche-Chef Matthias Müller und Audi-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg für eine Übergangszeit ins Spiel. Piech selbst will die Entscheidung, wer künftig an der Spitze des Vorstands und des Aufsichtsrats stehen soll, erst 2017 fällen - "kurz vor meinem Ausscheiden".

Winterkorn nicht das erste "Opfer"

Ferdinand Piech ist im Absägen seines Spitzenpersonals geübt: So wie über Martin Winterkorn jetzt hat der VW-Aufsichtsratschef schon über dessen Vorgänger Bernd Pischetsrieder einst den Stab gebrochen. Auch andere Manager mussten abtreten, wenn sie bei dem mächtigen Österreicher, der bei VW die Strippen zieht, in Ungnade gefallen waren.

Piechs Macht, der von 1993 bis 2002 selbst den Volkswagen-Konzern führte, ist stets gewachsen.

Winterkorns Vorgänger als Chef des größten europäischen Autokonzerns, Pischetsrieder, musste abdanken, weil er sich nicht am ruppigen Führungsstil des Patriarchen orientierte. Piech war zudem nicht mit dem von Pischetsrieder geplanten Stellenabbau einverstanden. Auch damals kam die Botschaft über ein Zeitungsinterview. Dabei hatte Piech Pischetsrieder selbst von BMW in München nach Wolfsburg geholt und ihm nach Meinung vieler Autoexperten ein wenig durchdachtes Markenportfolio vererbt.

Pischetsrieder wurde ersetzt durch Winterkorn, den Vorstandschef der erfolgreichen VW-Tochter Audi, der Piechs Technik-Begeisterung teilt, der ebenfalls lange bei Audi war. Manager der Ingolstädter Tochter bilden bis heute einen Großteil von Piechs Machtbasis - können sich aber auch nie in Sicherheit wiegen. Denn auch den ehemaligen Audi-Chef Franz-Josef Paefgen sägte Piech ab.

Der Einzige, der ihm länger die Stirn bot, war Wendelin Wiedeking. Der frühere Porsche-Chef war 2008 mit dem kühnen Versuch gescheitert, VW durch eine Übernahme unter das Dach des Sportwagenbauers aus Stuttgart zu bringen. Wiedeking wurde Piech zu mächtig. Deswegen gab er den Widersacher öffentlich zum Abschuss frei, indem er ihm auf Sardinien vor Journalisten sein Vertrauen nur noch auf Zeit aussprach. Wenig später folgte im Juli 2009 Wiedekings Ablösung.

Piechs enormer Einfluss fußt aber nicht nur auf seinem Machtbewusstsein, sondern auch auf seiner großen technischen Expertise. Der gelernte Maschinenbauer startete seine Karriere 1963 bei Porsche in Stuttgart-Zuffenhausen. Seinen Ruf als Konstrukteur erwarb er sich bei Audi in Ingolstadt, wo er Entwicklungen von der Aluminium-Karosserie in Leichtbauweise bis hin zum Audi-Quattro-Antrieb vorantrieb - auch wenn nicht alles technisch Machbare immer großen Verkaufserfolg zeitigte. 1988 rückte er an die Spitze der VW-Tochter, die er zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten von BMW und Mercedes machte.

Porsche einverleibt

Sein Meisterstück als Taktiker lieferte Piech, als der VW-Aufsichtsratschef den Spieß nach der gescheiterten Übernahme von VW durch Porsche umdrehte und der Wolfsburger Konzern sich schließlich Porsche als zwölfte Marke einverleibte. Angetrieben wird der Patriarch von der Idee eines Megakonzerns, der vom Kleinwagen bis zum Schwerlaster alles anbietet, was auf den Straßen rollt - bis hin zum Supermotorrad der Marke Ducati. Piech weitete seine Macht in dem Konzern, den sein Großvater Ferdinand Porsche gründete, systematisch aus. Seit dem Einstieg der Porsche-Holding als Großaktionär ist der Porsche-Miteigentümer indirekt auch erheblich an VW beteiligt.

Der Milliardär, der - geboren am 17. April 1937 in Wien - in wenigen Tagen 78 Jahre alt wird, hat trotz seines hohen Alters enormen Einfluss in dem Konzern, zu dem neben VW, Audi, Skoda, Seat und Porsche auch der familieneigene Autohandelskonzern in Salzburg gehört. Dazu kommt ein Lastwagen-Riese, den VW aus dem eigenen Nutzfahrzeug-Geschäft und den beiden Lkw-Herstellern MAN und Scania schmiedet, die ebenfalls zu dem Imperium gehören. Als Piech 1993 VW-Chef wurde, steckte der Autobauer in einer tiefen Krise. (APA, 11.4.2015)