Bild nicht mehr verfügbar.

Bereits mit drei Jahren soll Kim Jong-un Autofahren gelernt haben. Hier sieht man den nordkoreanischen Machthaber bei der Landung eines Leichtflugzeugs.

Foto: APA/EPA/Rodong Sinmun

Kim Jong-un muss ein ziemlicher Frühstarter gewesen sein. Mit gerade einmal drei Jahren lernte er Autofahren. Als Neunjähriger lieferte er sich mit dem ausländischen Chef einer Yachtfirma ein erbittertes Bootsrennen, und auch wenn sämtliche Chancen gegen den kleinen Kim standen, gewann er schlussendlich dennoch. Viele solcher absurden Anekdoten werden nordkoreanische Schüler in Zukunft bald pauken müssen. Laut einem südkoreanischen Fernsehsender stehen sie nämlich in einem neu ausgehändigten Lehrbuch aufgelistet.

Natürlich lässt sich die Meldung nicht mit absoluter Sicherheit verifizieren, doch überraschend wäre sie nicht. Schon über Kim Jong-uns Vater kursieren in der nordkoreanischen Geschichtsschreibung geradezu surreale Fakten: Als Sportsmann höchster Güte soll Kim Jong-il während seiner ersten Bowling-Partie ein perfektes Spiel mit 300 Punkten hingelegt haben. Sogar noch beeindruckender scheinen seine Golf-Skills zu sein: Seine erste Runde beendete er mit 38 Schlägen und sagenhaften fünf Hole-in-ones.

Basierend auf den Erzählungen nordkoreanischer Flüchtlinge deutet vieles darauf hin, dass ein Gros der Bevölkerung solche Mythen tatsächlich nicht anzweifelt. Der prominente Dissident und Autor Kang Chol-hwan etwa schrieb in seiner Biografie über seine Jugend: „In meinen Augen erschienen Kim Il-sung und Kim Jong-il als perfekte Wesen, ohne die Makel niedriger menschlicher Bedürfnisse. Ich war fest davon überzeugt, wie alle anderen auch, dass keiner von ihnen urinierte oder Stuhldrang verspürte“.

Extreme Kontrolle

Kein Land der Welt kontrolliert den Informationsfluss derart rigide wie Nordkorea. Aus diesem Grund ist das Regime auch tatsächlich besorgt, wenn Aktivisten Flyer oder „The Interview“-Kopien in Ballons über die Grenze steigen lassen. Allein die Tatsache, dass ein Film existiert – ganz egal, wie albern er auch sein mag –, in dem der Kopf des „Großen Führers“ explodiert, ist sozialer Sprengstoff.

Allerdings scheint sich in Nordkorea ein klarer Generationenwechsel zu vollziehen. Die Jungen wachsen wie selbstverständlich mit Schwarzmärkten auf, wissen um südkoreanische Popmusik und amerikanische Action-Filme. Dass sie ideologisch weniger leicht zu manipulieren sind, wäre zumindest anzunehmen.

Dabei darf man nicht vergessen, dass sich der Alltag eines jeden Nordkoreaners schon von klein auf um die ewig langen Ideologieschulungen dreht. Grundschüler werden bereits zur wöchentlichen Kritikbühne zitiert, um ihr vermeintliches Fehlverhalten öffentlich einzugestehen und Reue zu zeigen. Auch Fabrikarbeiter sammeln sich nach harten Arbeitsschichten zu gemeinsamen politischen Debatten. Ideologische Propaganda ist die fixe Konstante, die sich durch das Leben nordkoreanischer Staatsbürger zieht.

Kim Il-sungs Geburt als schicksalhaftes Symbol

Der Personenkult um die Kim-Dynastie geht natürlich auf Staatsgründer Kim Il-sung zurück. Seine Geburt wird als schicksalhaftes Symbol einer Zeitenwende gedeutet, denn natürlich ist in der nordkoreanischen Folklore so etwas wie Zufall nicht vorgesehen: Am 15. April 1912 ist im Westen die Sonne unter- und im Osten wieder aufgegangen – während die Titanic im Nordatlantik gegen einen Eisberg prallte, erblickte der spätere nordkoreanische Landesvater das Licht der Welt.

Bereits als Pubertierender soll Kim angeblich an vorderster Front gegen die japanischen Besatzer mobil gemacht haben. Belegen lässt sich das freilich nicht – im Gegensatz zur Religionsangehörigkeit seiner Eltern, die beide gläubige Protestanten waren, der Vater gar zeitweise als aktiver Missionar. In nordkoreanischen Schulbüchern wird man das vergeblich suchen.

Dabei liegt hier wohl ein biografischer Schlüssel, um den mythologisch aufgeladenen Personenkult zu verstehen. Jener nordkoreanische Autor Kang sagte mir einst in einem Interview: "Das System hat von seiner Struktur her viele Elemente des Christentums übernommen und missbraucht: Die ideologischen Schulungen, Kritikbühnen und politischen Vorträge haben eine ähnliche Funktion inne wie der Gottesdienst am Sonntag. In Nordkorea will man die Gedanken des Volkes so manipulieren, dass man an den Führer glaubt wie an einen Gott." (Fabian Kretschmer, derStandard.at, 13.4.2015)