Bei Weinen ist "Terroir" ein bekannter Begriff. Manche verwenden ihn auch für Käse oder Würste, um unterschiedliche Geschmäcker zu beschreiben.

Artwork: Lukas Friesenbichler und Magdalena Rawicka

Das Fleisch gut, die Salami na ja: Fleischhauer Manfred Höllerschmid in der Kühlkammer.

Foto: Höllerschmid, Weingut Jurtschitsch

Winzer Alwin Jurtschitsch untersucht den Einfluss von Weingartenorganismen auf den Wein.

Foto: Höllerschmid, Weingut Jurtschitsch

Manfred Höllerschmid hat sich in den vergangenen Jahren den Ruf eines Vorzeigefleischhauers erarbeitet: Der Fleischermeister aus Niederösterreich ist bekannt für seine trocken gereiften Steaks und zahlreichen Kunden aus der Spitzengastronomie. Umso mehr wurmt es ihn, dass er keine vernünftige Salami hinbekommt. "Wir wissen noch nicht, warum, aber vom Geschmack und von der Konsistenz sind die Salamis aus Italien einfach komplett anders, als was du in Österreich bekommst", sagt er.

Verschiedenste Methoden und Produzenten hat er bereits ausprobiert, er setzte auf unterschiedliche Reifekammern und -zeiten. Zuletzt reifte eine Firma im Weinviertel seine Würste für ihn – wieder überzeugte das Ergebnis Höllerschmid nicht. Nun will er seine rohen Würste über die Alpen schicken, um zu erforschen, ob die gleiche Wurst bei den italienischen Meistern im Friaul reift – und wenn ja, warum. Höllerschmid ist damit einem Phänomen auf der Spur, das manche Wissenschafter und Köche "Microbial Terroir" nennen. Die Idee: Viele Lebensmittel verdanken ihren Geschmack den Pilzen und Bakterien, die sie am Produktionsort besiedeln.

Ökosystem auf der Wurst

Mitgeprägt wurde der Begriff vom Harvarder Mikrobiologen Benjamine Wolfe. Wolfe verbringt einen Gutteil seiner Zeit damit, Käse und Salamis zu erforschen. Vor einiger Zeit analysierte er die Flora und Fauna auf fünf handgemachten Salamis aus verschiedenen Teilen der USA. Er stellte fest, dass alle Würste von verschiedenen Mikro-Ökosystemen überwuchert wurden. Auf einigen Salamis fanden sich Pilze und Bakterien, die sich auf keiner der anderen fanden – was dazu führte, dass sie völlig unterschiedlich schmeckten.

Salamis sind im Grunde getrocknetes, von Bakterien und Pilzen verdautes Fleisch, die Organismen sind sogar äußerlich gut sichtbar: der weiße Flaum auf der Salami ist ein Pilzwald, durch den Millionen von Bakterien streifen. Ähnlich wie bei der Reifung von Steaks wandeln diese Mikroorganismen die rohe Wurst um und erzeugen dabei Aromastoffe. Fast alle Salamis werden mit bestimmten, im Labor gezüchteten Starterkulturen geimpft, um ihren Weg vom rohen Faschierten zur Köstlichkeit zu beginnen. Dann aber differenziert sich das Ökosystem aus, je nachdem, wo die Wurst reifen darf.

100 Billionen Bakterien

Bakterien und Pilze sind verantwortlich für den Geschmack einer ganzen Reihe von Lebensmitteln, vom Joghurt über Käse, Bier, Wein und Butter bis hin zum trocken gereiften Fleisch, indem sie deren rohe Bestandteile verändern. Verschiedene Spezies arbeiten unterschiedlich, sie fressen langsamer oder schneller, mehr von jenem oder diesem, und stoßen dabei andere Enzyme aus. Je nachdem, welche Stämme das Essen besiedeln, schmeckt das Endprodukt daher auch anders.

Gleichzeitig leben an unterschiedlichen Orten sehr verschiedene Mikroorganismen. Um eine Idee davon zu bekommen, wie zahlreich sie sind: Jeder Mensch wird etwa von 100 Billionen Bakterien besiedelt, auf jede menschliche Zelle in unserem Organismus kommen zehn Bakterienzellen. Und kein Ökosystem ist genau gleich besiedelt: "Viele Faktoren tragen dazu bei, wie sich die Gemeinschaft von Mikroorganismen an einem bestimmten Ort entwickelt und zusammensetzt", sagt Wolfgang Kneifel, Lebensmittel-Mikrobiologe an der Boku Wien: Je nachdem, ob es feucht oder trocken, heiß oder kalt ist, welche Nährstoffe sich im Boden befinden oder wie viel Licht in ihren Lebensraum dringt - immer werden sich mehr oder weniger oder andere Bakterien und Pilze finden, oder das Verhältnis zwischen den einzelnen Arten wird schwanken.

Terroir

"Es gibt dazu keine großangelegten Studien, aber es ist durchaus vorstellbar, dass an verschiedenen Orten Lebensmittel von verschiedenen Mikroorganismen geprägt werden", sagt Kneifel. Ein Käse, der in einem Vorarlberger Keller reift, wird von anderen mikroskopisch kleinen Kreaturen bewohnt als jener in einem Keller in Niederösterreich oder auch nur im Keller des Vorarlberger Nachbarn. Eine Salami im Weinviertel ist anderen Pilzen und Bakterien ausgeliefert als eine in Verona - was sich schließlich auf den Geschmack auswirkt.

Am bekanntesten ist der Terroir-Begriff wohl beim Wein, wo er den angeblichen Einfluss des jeweiligen Bodens auf das Endprodukt beschreibt. Wissenschaftlich war der Begriff bisher umstritten und schwer fassbar - aktuelle Studien legen nun nahe, dass auch das Wein-Terroir den Mikroorganismen viel verdanken könnte. US-Wissenschafter untersuchten die Besiedelung um und auf Merlot-Reben in den USA und in Frankreich. Ihr Ergebnis: Was im jeweiligen Boden lebt, lebt auch auf der Pflanze, den Blättern und den Trauben - und beeinflusst von dort aus später mitunter den Geschmack.

"Bevor man genau gewusst hat, wie aus Zucker Alkohol und aus Trauben Wein wird, galt das als Alchemie. Aber damals war den Bauern schon klar: Da kommt etwas aus dem Garten mit", sagt der Winzer Alwin Jurtschitsch. Es sei üblich gewesen, Abschnitte der Pflanzen mit in die Gärbottiche zu werfen oder Stöcke und Weinblätter im Keller zu schwenken.

Mikrofauna im Weingarten

Jurtschitsch versucht derzeit ebenfalls, gemeinsam mit zwei anderen Winzern herauszufinden, wie viel Einfluss ihre Weingartenorganismen tatsächlich auf den Wein haben: Sie ernteten in den vergangenen Jahren stets je drei Kisten Trauben aus einem ihrer Gärten und vermaischten sie noch vor Ort zwischen den Reben. Anschließend sandten sie jeweils eine Kiste zur Vergärung zu ihren Projektpartnern, eine behielten sie und bauten sie in ihrem eigenen Keller aus. Das soll zeigen, wie viel vom Geschmack am Garten und wie viel am Winzer und am Keller liegt. In einem nächsten Schritt will Jurtschitsch die gesamte Mikrofauna seiner Weingärten und Reben wissenschaftlich erfassen und untersuchen lassen.

Eine Hypothese: Je vielfältiger die Mikroorganismen, desto besser der Geschmack. Jurtschitsch schwört auf Spontanvergärung mit bis zu hundert verschiedenen wilden Hefen statt auf eine Handvoll Reinzucht-Hefen, wie sie in der modernen Vinifizierung meist eingesetzt werden. Zwar würden im Laufe der Gärung fast alle dieser vielen wilden Hefen absterben, "aber das Aroma im Wein kommt genau von diesen vielen kleinen, die nur ein paar Tage arbeiten", sagt er. Mikrobiologe Wolfe stellte bei seinen Salamis ganz Ähnliches fest: Er kategorisierte die Salamis je nach Artenvielfalt, von "Mikrobiellem Golfplatz-Rasen" bis hin zu "Dschungel" . Jeder, der die Würste blind verkostete, befand, dass die wilden Varianten besser schmeckten.

Eine Frage des Gleichgewichts

Für Lebensmittelverarbeiter sind solche Forschungen durchaus interessant: Wenn es gelingt, besonders wünschenswerte Mikroorganismen zu identifizieren, könnten diese gezielt ausgesetzt werden, sei es im Käsekeller, im Wurstreiferaum oder im Weingarten. Wolfe etwa entnahm Proben seiner liebsten Salamis und übertrug die Kulturen auf von ihm selbst gemachte Würste: die Ergebnisse schmeckten ähnlich wie das Original, meint er.

Boku-Forscher Kneifel ist sich allerdings nicht sicher, ob sich komplexe Mikrokulturen so leicht und dauerhaft verpflanzen lassen: "Wenn dort, wo sie hinkommen, zum Beispiel bereits andere Bakterien präsent sind, kann die Kultur sehr leicht aus dem Gleichgewicht geraten." Es könnte also sein, dass Fleischhauer Höllerschmid seine Würste doch noch über die Alpen fahren muss. (Tobias Müller, Rondo, DER STANDARD, 26.4.2015)