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Die Polizei kesselte mehr als 400 Gegner der Pegida-Demo und eine Handvoll Journalisten ein, hinderte sie am Gehen und zeigte sie wegen "Verhinderns oder Störens einer Versammlung" an.

Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

Wien – Nachdem Ende vergangenen Jahres die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" vor allem in Deutschland für Schlagzeilen gesorgt hatten, meldete der Wiener Pegida-Ableger für 2. Februar auch eine erste Versammlung in Wien an. Auf der Freyung trafen sich am späten Nachmittag etwa 300 Anhänger, deren geplanter "Spaziergang" durch die Innenstadt allerdings von einer unangekündigten Gegendemonstration blockiert wurde.

Ein großes Polizeiaufgebot hielt die beiden Gruppen auf Distanz, ehe die Kommandanten die Pattstellung am Abend für beendet erklärten und die Anwesenden per Durchsage zum Verlassen des Bereichs aufforderten. Während die Pegida-Anhänger unbehelligt abziehen konnten, wurden mehrere Hundert Gegendemonstranten und eine Handvoll Journalisten am Weggehen gehindert. Die 456 eingekesselten Personen wurden nach Identitätsfeststellungen wegen der "Verhinderung oder Störung einer Versammlung" (Paragraf 285 Strafgesetzbuch) angezeigt. Das gab Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage zur Gegendemo bekannt, die dem STANDARD vorliegt. Die Anfrage hatte der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser eingebracht.

"Irrtümlich auf sich bezogen"

Dass sich die eingekesselten Gegendemonstranten am Verlassen gehindert fühlten, erklärt Mikl-Leitner in der Beantwortung mit einer möglicherweise "irrtümlichen Bezugnahme": In Wahrheit sei um 19.26 Uhr nicht die Blockadedemo, sondern die Pegida-Demo aufgelöst worden. "Aufgrund der örtlichen Nähe des Versammlungsortes der Pegida-Versammlung zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Blockadeversammlung kann nicht ausgeschlossen werden, dass Letztere die Durchsagen irrtümlich auf sich bezogen."

Es war demnach gar nicht vorgesehen, dass die Pegida-Gegner und die berichtenden Journalisten den Platz verlassen, denn sie hatten laut Mikl-Leitner schon bis zur Auflösung der Pegida-Demo um 19.26 Uhr die Versammlung gestört und damit gegen geltendes Recht verstoßen: "Von den Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten war das Delikt gemäß Paragraf 285 Strafgesetzbuch bereits verwirklicht worden, weshalb zur weiteren Strafverfolgung die Identitäten dieser Personen geklärt werden mussten."

"Diese Anzeigen sind rechtlich völlig absurd", sagt Steinhauser. Schon den ersten Absatz in Paragraf 285 habe keiner der Angezeigten erfüllt, denn der "Verhinderung oder Störung einer Versammlung" machen sich Personen nur schuldig, wenn sie "den Versammlungsraum unzugänglich machen". Die Pegida-Demo auf der Freyung war nur nach Südosten blockiert, aus allen anderen Richtungen aber frei zugänglich. Juristen bezweifelten bereits kurz nach den Vorfällen, dass die vier in Paragraf 285 aufgezählten Bedingungen gegeben waren. Deshalb sei zu erwarten, dass die Staatsanwaltschaft alle Anzeigen gegen die Betroffenen zurücklegen wird und es zu keiner Anklage kommt, so Steinhauser.

Widersprüche der Innenministerin

Die Identitätsfeststellungen der Eingekesselten haben laut Mikl-Leitner um 20.20 Uhr begonnen. "Bis zu diesem Zeitpunkt war den Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten ein Verlassen des Platzes möglich", schreibt die Innenministerin und widerspricht damit der Wahrnehmung von zwei STANDARD-Journalisten und etlichen anderen Personen, die von der Exekutive bereits vor 20 Uhr am Verlassen der Örtlichkeit gehindert wurden.

Dass offensichtlich berichtende Journalisten angezeigt wurden, ist laut Mikl-Leitner damit erklärbar, dass auch Personen, die "bloß den Ablauf beobachten und/oder dokumentieren oder kommentieren, als 'Anwesende' zählen". Deshalb haben sie bei der Auflösung einer Versammlung laut Paragraf 14 Versammlungsgesetz "die Verpflichtung, den Versammlungsort sogleich zu verlassen". Da die Gegendemo jedoch nie aufgelöst wurde, wie die Innenministerin selbst schreibt, konnte diese Verpflichtung gar nicht gegeben sein. Nur Journalisten, die von der Pegida-Seite berichteten, konnten dieses Gesetz mit ihrem Bleiben brechen.

Steinhauser hält es insgesamt für "eines Rechtsstaats unwürdig, dass Personen, die sich bei der Identitätsfeststellung als Medienvertreter deklarieren, noch nachträglich eine Strafanzeige erhalten, weil sie angeblich eine Veranstaltung stören wollten".

Zudem wurden Personen angezeigt, die sich erst nach der Auflösung der Pegida-Demo um 19.26 Uhr in den Bereich der Blockade begeben hatten. Sie konnten die Versammlung gar nicht verhindert oder gestört haben, da sie bereits beendet war.

Eingekesselter Polizeisprecher

67 Beamte in Zivilkleidung, darunter 45 Beamte des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, haben sich laut der Beantwortung an jenem Abend unter die Pegida-Gegner gemischt. Unter den Aufgegriffenen im Kessel befanden sich laut der Innenministerin nicht nur Gegendemonstranten und Journalisten, sondern auch ein Polizeisprecher. Anders als die 456 angezeigten Personen muss er mit keinen Konsequenzen rechnen, weil er "Teil des Polizeieinsatzes war und daher den Regeln für Polizeikräfte unterliegt".

Ob die von den STANDARD-Journalisten dokumentierte polizeiliche Vorgehensweise gegen Medienvertreter "angemessen und notwendig" war, wie Steinhauser in der Anfrage wissen wollte, weigerte sich Mikl-Leitner zu beantworten: "Meinungen und Einschätzungen sind nicht Gegenstand des parlamentarischen Interpellationsrechts."

Stimmung gegen Antifaschismus machen

In der Beantwortung einer zweiten Anfrage zur Pegida-Demo selbst erfuhr Steinhauser, dass es bisher sieben Anzeigen wegen Wiederbetätigung gegen unbekannt gab und vier der Wiederbetätigung verdächtige Personen ausgeforscht wurden. Identitätsfeststellungen wegen dieser Delikte wurden am 2. Februar nicht vorgenommen, obwohl Beamte Hitlergrüße wahrgenommen hatten, sagt Steinhauser: "Während die Gegenseite kriminalisiert wird, herrscht gegenüber den Pegida-Anhängern ein Laissez-faire-Stil, und die Polizei schaut bei einschlägigen Delikten weg."

Steinhauser vermutet, dass Mikl-Leitner sehr wohl bewusst ist, dass niemand der 456 Personen, die wegen der "Verhinderung oder Störung einer Versammlung" angezeigt wurden, jemals angeklagt wird: "Aber in der Kriminalstatistik scheinen dann 456 Strafanzeigen auf, mit denen die Innenministerin gegen den Antifaschismus Stimmung machen kann." (Michael Matzenberger, derStandard.at, 15.4.2015)