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George R. R. Martin sieht düstere Zeiten für die Hugo Awards heraufziehen.

Foto: REUTERS/Denis Balibouse

Angesichts der giftigen Debatte lässt das altehrwürdige Logo der Hugo Awards heuer eher an eine Atomrakete als an ein Raumschiff denken.

Logo: Hugo Awards

Als am 4. April die Nominierungen für die diesjährigen Hugo Awards - die bedeutendsten Science-Fiction-Preise der Welt - bekanntgegeben wurden, war erst die Verblüffung, dann das Entsetzen und schließlich der Zorn groß. In den verschiedenen Kategorien, über die bei der Wahl im August abgestimmt wird, drängeln sich kaum bekannte Autoren und Verleger mit geringer Reputation, während prominente Namen auf dem Stimmzettel weitgehend fehlen.

Was war geschehen? Eine Gruppe rechtskonservativer Autoren, Kulturaktivisten und Fans hatte mittels Blockabstimmung ihre Vorschläge für die Wahl durchgedrückt - in manchen Kategorien sogar exklusiv. In englischsprachigen Medien war zu lesen, dass die Hugo Awards "gehackt" worden seien. Nach dem ersten Katzenjammer hat bald der Rest des SF-Fandoms mobil gemacht - seitdem tobt in der Science Fiction ein Kulturkrieg, wechselseitige Beschimpfungen und sogar Todesdrohungen inklusive: Nichts Besonderes für den Umgangston, der in Internetforen herrscht, möchte man meinen. Doch für die Science-Fiction-Gemeinde, die sich im Gegensatz zur Mainstreamliteratur und den meisten anderen Genreliteraturen stets als eine große Familie mit gemeinsamen Wurzeln betrachtet hat, ist der Ton der Auseinandersetzung sehr ungewöhnlich.

Nutze dein Wahlrecht

Im Grunde war es ein Lehrstück in Sachen Demokratie: Demonstriert wurde, was dabei herauskommt, wenn eine kleine, aber gut organisierte Minderheit die ihr zur Verfügung stehenden und erlaubten Mittel konsequent nützt, während sich die Mehrheit - beziehungsweise die Gesamtmenge aller anderen Minderheiten - zu sehr in Laissez-faire ergeht und ihre Möglichkeiten nicht ausschöpft.

Zum Ablauf: Nominieren und später abstimmen dürfen in Kategorien wie "Bester Roman" oder "Beste Kurzgeschichte" alle Teilnehmer der World Science Fiction Convention. Da die fast immer in den USA abgehalten wird - 2015 in Spokane in Washington -, kann aber auch eine "unterstützende" Teilnehmer- bzw. Mitgliedschaft erworben werden, die auch Abwesenden das Stimmrecht verleiht. Diese Bestimmung, die eigentlich für mehr Demokratie sorgen sollte, wurde nun ausgenutzt: Nicht zum ersten Mal, aber noch niemals so konsequent.

In der Vergangenheit schafften es immer wieder einzelne Gruppen, die Nominierungslisten in ihrem Sinne zu beeinflussen: Seien es die Anhänger des Scientology-Gründers und (was oft vergessen wird) SF-Autors L. Ron Hubbard. Sei es das gut organisierte Fandom von "Doctor Who", das es Jahr für Jahr in der Kurzfilm-Kategorie schafft, den Eindruck zu erwecken, es gäbe in der gesamten Film-, Fernseh- und Webvideo-Welt nichts Preiswürdigeres als die britische Endlosserie. Doch waren solche Initiativen stets auf einzelne Werke bezogen - noch nie gab es eine derart umfassende Kampagne, noch dazu mit weltanschaulichem Hintergrund.

Traurige und wütende Welpen

Getragen wurde die Kampagne hauptsächlich von der Initiative "Sad Puppies" der US-Autoren Larry Correia, von dem auf Deutsch bislang nur der Urban-Fantasy-Roman "Die Monster, die ich rief" erschienen ist, und Brad R. Torgersen (keine Veröffentlichung auf Deutsch). Sie haben sich auf die Fahnen geschrieben, dem Spaßfaktor in der SF wieder zur Anerkennung zu verhelfen - also dem, was die "wahren" SF-Fans wollten. Ihrer Meinung nach wurden bei den Hugo Awards in den vergangenen Jahren Frauen und nicht-amerikanische Autoren bevorzugt (obwohl die eigentlich als global geltenden Preise traditionell ohnehin eine weitgehend US-amerikanische Angelegenheit sind). Zudem seien die Hugos "akademisch" und "links" geworden.

Unterstützung erhielten die "Sad Puppies" mit einem fast identischen Stimmzettel von der Gruppe "Rabid Puppies" um den Verleger Theodore Beale alias "Vox Day". Der war 2013 von den Science Fiction and Fantasy Writers of America ausgeschlossen worden, nachdem er die afroamerikanische Autorin N. K. Jemisin als "Halbwilde" beschimpft hatte - schon zuvor war er mehrfach mit frauenfeindlichen und rassistischen Statements aufgefallen. Analog zur "Gamergate"-Kontroverse in der Welt der Videospiele hat die Science Fiction damit nun ihr "Puppygate".

Das Lied von Argument und Gemeinplatz

Zum Glück gibt es in der hitzigen Kontroverse auch Stimmen der Vernunft - allen voran George R. R. Martin, der sich in seinem Blog mehrfach ausführlich mit Puppygate befasst hat. Es lohnt sich, die Einträge allesamt zu lesen - als exemplarisch sei aber seine Korrespondenz mit Larry Correia genannt, in der Martin Punkt für Punkt auf Correias Kritik am angeblichen Status quo der Science Fiction eingeht. Im direkten Vergleich fällt auf, wie sich Correia immer wieder in Gemeinplätzen und diffusen Anschuldigungen ergeht, während Martin auf Konkretisierung pocht: Wer genau aus der angeblich bestimmenden "Clique" an "Social Justice Warriors" hat Correia geschmäht? Wie genau lautete die inkriminierte Aussage? Wie genau wurde Correia in seiner schriftstellerischen Karriere behindert? Die Gegenüberstellung der Argumente und Argumentationsweisen ist hochinteressant zu lesen.

In einem weiteren Blog-Eintag rekapituliert Martin, selbst mehrfacher Hugo-Preisträger, die Geschichte der Hugos und demonstriert in sachlicher Weise, wie verzerrt die Wahrnehmung der "Sad Puppies" ist ("Where's the Beef?"). Es gebe keine "Clique", von der man den Hugo Award "zurückgewinnen" müsse, so Martin. Die Verschwörung von Feministinnen, Minderheiten, Nischen-Literaten und "Social Justice Warriors" sei ein Mythos - und die wie gehabt äußerst US-lastigen Preisvergaben der vergangenen Jahre beweisen es in der Tat.

Autoren mit ...

Martin hat durch seine literarische Vorlage für die Erfolgsserie "Game of Thrones" im Genre eine gleichsam unangreifbare Position erlangt, ein elder statesman der Science Fiction und Fantasy. Er nützt dies sehr gut, indem er in sachlicher Weise auf Argumente eingeht, verwirft, was zu verwerfen ist, und sich dennoch nicht von den Gegnern der "Sad Puppies" vereinnahmen lässt - schon gar nicht, wenn sich diese ihrerseits drastisch im Ton vergreifen.

Martin betont, dass das Vorgehen von Correia & Co keine Regeln gebrochen hat. Und er lässt das Argument der Puppies gelten, dass ihre Nominierungsliste durchaus eine gewisse Vielfalt aufweise. Siehe etwa die Kurzfilm-Kategorie, in der "Doctor Who" zum ersten Mal seit Jahren nur einmal und nicht gleich mit drei oder gar noch mehr Folgen auf der Kandidatenliste steht.

... und ohne Ansehen

Auf der anderen Seite hat das Zusammenspiel von "Sad Puppies" und "Rabid Puppies" zu einer betrüblichen Monokultur geführt. So stellt der christliche US-Autor John C. Wright gleich drei von fünf Erzählungen, die als beste Novelle nominiert sind, und ist zudem in der Kurzgeschichten- und der Sachbuchkategorie vertreten. Immerhin aus der Kategorie "beste Novellette" (eine Formatlänge zwischen Novelle und Kurzgeschichte) wurde er von den Hugo-Organisatoren nachträglich wieder entfernt, da die betreffende Erzählung vor dem für Nominierungen erlaubten Zeitraum erschienen war.

Auch Vox Day darf sich über zwei (Selbst-)Nominierungen freuen, als bester Verleger von Kurz- wie auch Langformaten. Zudem ist sein Verlag Castalia House in den diversen Kategorien dick mit Erzählungen seiner Autoren vertreten. Vox Day kam über seine "Rabid Puppies"-Initiative auf die Nominierungsliste, die in diesem Punkt von der der "Sad Puppies" abwich. Larry Correia hatte via "Sad Puppies"-Liste ebenfalls Eigenbewerbung betrieben und sein "Monster Hunter Nemesis" als besten Roman vorschlagen lassen. Als er dann über seine tatsächliche Nominierung benachrichtigt wurde, lehnte er aber großzügig ab, weil er nicht von der "Mission" seiner Initiative ablenken wolle, sollten ihm selbstsüchtige Motive vorgeworfen werden.

Die Nominierungsliste als Work in progress

Zwei weitere Autoren von der "Puppies"-Liste haben inzwischen ihre Nominierungen abgelehnt: Military-SF-Autor Marko Kloos, der für den besten Roman nominiert war, und SF- und Fantasy/Romance-Autorin Annie Bellet (beste Kurzgeschichte). Beide veröffentlichten am Mittwoch Statements, dass sie nur wegen der Qualität ihrer Arbeit ausgezeichnet werden wollen, und nicht aus politischen Gründen.

Zugleich wenden sie damit ein mögliches PR-Desaster ab, zu dem sich die Kampagne für die von den "Puppies" Nominierten allmählich entwickelt. Kloos erklärte wie bereits viele andere der Nominierten, dass er von den "Puppies" nicht kontaktiert worden sei und erst nachher bemerkt habe, dass er auf deren - bereits Anfang Februar veröffentlichter - Liste stand.

Für Bellet ist Steven Diamond nachgerückt, der ebenfalls auf der "Sad Puppies"-Liste stand. Und in der Romankategorie hat es nun doch noch Cixin Lius "The Three-Body Problem" - kein "Puppy"-Vorschlag - unter die Nominierten geschafft. Laut den Organisatoren der heurigen Worldcon, die für die Hugo-Vergabe verantwortlich sind, soll es nun keine weiteren Veränderungen auf dem offiziellen Stimmzettel mehr geben.

Wie geht es weiter?

Die heurige Hugo-Gala, die von 19. bis 23. August in Spokane abgehalten wird, dürfte die spannendste seit Jahrzehnten werden. Es ist anzunehmen, dass wer auch immer die raketenförmigen Preise überreichen wird, sich eher den Arm abbeißen würde, als einen Hugo ausgerechnet Vox Day in die Hand zu drücken - für den unwahrscheinlichen Fall, dass Day tatsächlich zum besten Verleger gekürt werden sollte.

Viel wahrscheinlicher ist, dass zumindest in den "Puppy"-dominierten Kategorien - darunter sämtliche literarischen Kurzformate, die Sachbuch- und die Filmkategorie - kein Preis verliehen wird, da auch mit "No Award" abgestimmt werden kann. Die Gegner der "Puppies" formieren sich zum Boykott - selbst eine Gala ohne eine einzige Preisvergabe scheint derzeit denkbar. Martin hält davon übrigens gar nichts. Er habe selbst schon oft mit "kein Preis" abgestimmt, erklärte er in seinem Blog. Aber erst nachdem er die nominierten Werke gelesen und für nicht gut genug befunden habe. Und genauso werde er auch diesmal vorgehen.

Für die nächsten Jahre sieht Martin keine große Hoffnung, dass die Hugo Awards zu ihrem alten, weithin anerkannten Status zurückfinden werden. Die "Puppies" werden aktiv bleiben - das waren sie bereits in den beiden Vorjahren, ehe ihnen heuer endlich der große Coup gelang. Doch auch die "Puppy"-Gegner haben sich nach dem ersten Schock gesammelt und beraten nun eifrig Gegenstrategien: Änderung des Wahlrechts, Gegenschlag mit einer alternativen Blockabstimmung oder Boykott werden angedacht. Aber was auch immer davon verwirklicht wird, es wird zumindest für einige Zeit nichts mehr so sein, wie es vorher war. Das Gift ist in die SF-Welt eingesickert - und so schnell wird man es da auch nicht mehr rausbekommen. (Jürgen Doppler, derStandard.at, 15.4. 2015)