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Gegen Gao Yu, von der Unesco als "Grande Dame des freiheitlichen Journalismus" ausgezeichnet, ergeht am Freitag das Urteil.

Foto: AP Photo/Vincent Yu

Die Chinesin Gao Yu, von der Unesco einst als "Grande Dame des freiheitlichen Journalismus" ausgezeichnet, wird von zwei Polizisten zum Verhör eskortiert. Sie trägt eine rosafarbene Haftjacke mit der Nummer drei. Von Rechts wegen dürfen nur Verurteilte Gefangenenkluft tragen. Darum scheren sich die Ermittler aber nicht, ebensowenig wie um die mitlaufende Kamera des Staatsfernsehens CCTV. Sie nimmt auf, wie Enthüllungs-Journalistin Gao das Geständnis ihres angeblichen Geheimnisverrats unterschreibt, mit Fingerabdruck besiegelt und theatralisch laut vor der Kamera vorliest.

Zwei Wochen nach der Festnahme der damals 70-Jährigen zusammen mit ihrem Sohn Zhao Meng am 24. April 2014 zeigte CCTV am 8. Mai in den Morgennachrichten das Geständnis in Bild und Ton. Ihr Name wird genannt, der Personalausweis gezeigt. Nur ihr Gesicht ist elektronisch unkenntlich gemacht. Akzentiert sagt sie ins Mikrofon ihrer Ankläger, sie hätte 2013 ein Geheimpapier der Partei an ausländische Webseiten online verschickt: "Was ich machte, richtete sich gegen die Interessen der Nation. Es tut mir sehr leid, die Gesetze gebrochen zu haben. Ich bereue zutiefst und aufrichtig mein Verbrechen. Ich bin bereit, die gesetzliche Strafe zu akzeptieren." Der Film, der Frau Gaos Persönlichkeitsrechte mit Füßen tritt, ist bis heute im Internet zu sehen.

Geständnis widerrufen

Gao Yu, die erst zwei Monate nach ihrer Festnahme einen Anwalt zu sehen bekam, hat inzwischen ihr Reuegeständnis widerrufen. Sie hätte auf Druck gehandelt, um ihren bedrohten Sohn zu schützen. Beim eintägigen Prozess gegen sie Ende November erklärte sie sich vor Gericht im Sinne der Anklage für nicht schuldig, sagte Anwalt Shang Baojun Hongkonger Journalisten. Damals erwartete er eine Urteilsverkündung innerhalb von zwei Wochen. Daraus sind nun fast fünf Monate Wartezeit geworden. Am Freitag soll Gao Yu vom Mittleren Volksgericht in Peking verurteilt werden.

Der skandalöse Umgang der Behörden mit der systemkritischen Enthüllungsjournalistin und einstigen Mitarbeiterin der Deutschen Welle ist selbst nach Chinas Verfahrensregeln voller Rechtsbeugungen. Polizei und Justiz statuieren an Gao ein Exempel. Das passt ins Bild der Vorwürfe an die Pekinger Führung, sie lasse Bürgerrechtler, Anwälte oder systemkritische Journalisten massiv unterdrücken. Ende März legte die US-Menschenrechtsgruppe "Chinese Human Rights Defenders" (CHRD) eine umfassende Anklage dazu vor. Sie beschuldigt die Regierung unter Parteichef Xi Jinping, systematisch Aktivisten zu verfolgen, die für grundlegende Freiheitsrechte eintreten. CHRD zählt Fälle von mehr als 950 Betroffenen auf, die seit Ende 2012 in Haft kamen.

Gao Yu fällt darunter. Das Gericht muss entscheiden, ob sie im August 2013 den Inhalt eines parteiinternen Dokuments an ausländische Webseiten weitergeleitet hat und Geheimnisverrat beging. Bei dem nicht näher genannten Schriftstück soll es sich um das im August 2013 in Hongkong veröffentlichte "ZK-Dokument Nummer 9" handeln. Es bietet Einblick, wie Chinas neue Führung das Land reideologisieren will und liberalen Denkern den Kampf erklärt. Für die öffentliche Lehre, etwa an Universitäten, soll es künftig sieben Tabus geben. Sie dürfe weder westliche Werte propagieren, noch sich mit Themen wie Pressefreiheit, Zivilgesellschaft, Unabhängigkeit der Justiz, Bürgerrechte befassen – oder sich mit den historischen Fehlern und Verbrechen unter der Parteiherrschaft kritisch auseinandersetzen.

Fünf bis zehn Jahre Haft drohen

ZK-Beschlüsse sind grundsätzlich geheim. Dabei ist es gleich, ob sie wie das Parteidokument Nummer 9 parteiintern weithin verbreitet wurden. Die Anklage kann sich daher auf Paragraf 111 stützen. Der bestraft die Weitergabe von Staatsgeheimnissen mit fünf bis zehn Jahren Haft. In leichten Fällen können die Richter auf unter fünf Jahre entscheiden, in schweren Fällen bis lebenslang.

Gao Yu war in den vergangenen Jahren als freie Internetautorin mit Gastbeiträgen und Interviews regelmäßig in vielen Rundfunkprogrammen vertreten, von der Deutschen Welle, Radio Free Asia bis hin zu Hongkonger und anderen asiatischen Sendern. Sie galt immer als Stimme der Aufklärung. Für offizielle chinesische Medien konnte die Aktivistin, die sich für eine Rehabilitierung der nach dem Tiananmen-Massaker am 4. Juni 1989 kriminalisierten Studentenbewegung einsetzte, nicht arbeiten.

In den 80er-Jahren begann ihre journalistische Karriere bei der Pekinger Nachrichtenagentur "China News Service". Sie wurde Vizechefredakteurin der Reformzeitschrift "Economics Weekly" (Jingjixue Zhoubao), die sich für die Belange der Studenten einsetzte. Als angebliche "intellektuelle Anstifterin" wurde sie am 3. Juni 1989 festgenommen, noch am Vortag der Armeeaktion gegen die Studenten. Mit vielen anderen sogenannten "geistigen" Unterstützern war sie bis August 1990 eingesperrt. Drei Jahre später wurde sie erneut verhaftet. Damals kam sie wegen Geheimnisverrats von Parteidokumenten für sechs Jahre in Haft.

Nun geht es wieder um den gleichen Vorwurf. Journalistin Gao hatte die neue chinesische Führung nervös gemacht. Sie berichtete etwa als eine der ersten über den Fall des einstigen ZK-Polizeizaren Zhou Yongkang. Schon im Januar 2013 warnte sie auf der chinesischen Webseite der Deutschen Welle vor den Ambitionen des neuen Autokraten Xi und seiner ideologisch rückwärtsgewandten Denke. (Johnny Erling aus Peking, derStandard.at, 16.4.2015)