Ab Freitag kommen in Washington hunderte Finanzminister und Notenbankchefs zusammen, um über die Weltwirtschaft, das Bankensystem und Armutsbekämpfung zu diskutieren. Doch der IWF, der selbst gerne an vorderster Front steht, wenn es darum geht, von anderen Reformen abzuverlangen, droht an Umbauarbeiten im eigenen Haus zu scheitern.
Vor fünf Jahren haben sich die 188 Mitgliedsländer des Fonds auf eine Reform der Stimmrechte geeinigt. Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien sind in der Washingtoner Organisation, gemessen an ihrer Wirtschaftskraft, unterrepräsentiert. Europäische Länder wie die Schweiz, Frankreich und Deutschland dagegen überrepräsentiert. 2010 rang man sich dazu durch, daran etwas zu ändern. Sechs Prozent der Stimmanteile sollten von Industrieländern zu Schwellenländern wandern.
Keine Revolution
Das war keine Revolution: Europäer und Amerikaner sollten ihre dominante Stellung behalten, auch am US-Vetorecht im Fonds wollte niemand rütteln. Aber immerhin wäre die Macht im IWF repräsentativer verteilt. Daraus ist nichts geworden. Das Hindernis ist der US-Kongress. Die republikanische Mehrheit dort hat die IWF-Reformen gegen den Willen des Weißen Hauses mehrmals abgelehnt, zuletzt Ende März.
Die Administration von Präsident Barack Obama hatte in letzter Minute versucht, die Reform im Kongress mit Hilfen für die Ukraine zu koppeln. Ohne Erfolg. Sie argumentieren mit einem angeblich drohenden Verlust des US-Einflusses. Und mit höheren Kosten. Der IWF strebt im Zuge der Reform auch eine Verdoppelung seiner Kriegskasse auf 720 Milliarden US-Dollar (680 Milliarden Euro) an.
Vereinbarungen festzurren
Diese würde die USA zwar nur wenig kosten. Wie andere Länder haben sie ihren Beitrag zum IWF am Höhepunkt der Krise 2009 erhöht. Der Fonds möchte die befristeten Vereinbarungen von damals jetzt permanent machen. Doch solche Feinheiten spielen in der aktuell aufgeheizten US-Politdebatte keine Rolle. Die Weigerung der Republikaner, den Chinesen mehr Stimmrechte zu geben, gilt bei einigen Experten auch als ein Mitgrund dafür, dass Peking auf die Schaffung der neuen Finanzinstitution, der Asiatischen Infrastrukturbank (AIIB), drängt. Rund 50 Länder, darunter Österreich, wollen bei der neuen Bank mitmachen. Nicht dabei sind die USA, die das Projekt ablehnen. Lagarde lobt die AIIB ausdrücklich. Es gebe genug Projekte in Asien, die es zu finanzieren gelte, so Lagarde.
Beim IWF herrscht inzwischen offene Wut über die Widerstände in Washington. Fonds-Chefin Lagarde sagte am Donnerstag, sie verstehe die "Frustration und Ungeduld" der übrigen Länder mit den USA. Aus dem Munde der IWF-Chefin, die aktuell versucht, bei jedem Thema höchst diplomatisch zu klingen, ist das eine richtige Schelte.
IWF-Diplomaten sagen, ein Ausweg wäre, die Reform der Stimmrechte ohne die Amerikaner zu forcieren. So könnten die Chinesen ihre IWF-Beiträge erhöhen (womit Chinas Stimmanteil steigen würde), ohne dass die USA verlieren. Diesfalls müsste der Kongress nicht zustimmen. Solche Ad-hoc-Veränderungen bei den IWF-Beiträgen (den Quoten) hat es in der Vergangenheit bereits gegeben. Doch ob US-Finanzminister Jack Lew, der jedenfalls eingebunden werden müsste, dazu Ja sagt, ist fraglich. Und eine Aufstockung der IWF-Kriegskasse ist ohne Einbeziehung des Kongresses nicht möglich.
Mehr Geld für Entwicklungshilfe
Lagarde eckt aber nicht nur bei den Amerikanern an. Die umtriebige Französin will, dass der IWF mehr Geld in Entwicklungshilfe steckt. Lagarde möchte etwa, dass der Fonds aktiver als bisher in der Finanzierung von Staaten in Afrika wird. Die ärmsten Länder erhalten vom IWF in der Regel bei Bedarf Kredite mit Null-Zinssatz – doch die Mittel dafür sind beschränkt. Darüber hinaus will sie auch stärker spezielle Projekte, etwa zur Ausbildung afrikanischer Notenbanker und Steuerfahnder, fördern.
Das Timing ist gut: Im September will die Weltgemeinschaft eine Reihe neuer Ziele bei der Förderung von Entwicklungsländern verabschieden (Sustainable development goals). Hier soll sich auch der Fonds einbringen, so Lagarde. Allerdings stehen dabei einige europäische Länder auf der Bremse. Der Fonds habe aktuell kein Mandat, um aktive Entwicklungshilfe zu leisten, sagt etwa ein EU-Diplomat, man müsse Lagarde hier immer wieder bremsen.
Handfester Skandal
Nicht nur mit internen Reformdebatten, sondern auch mit einem handfesten Skandal muss sich die Weltbank herumschlagen. Das in Washington ansässige Internationale Konsortium für Investigative Journalisten (ICIJ) hat über das vergangene Jahr tausende Dokumente über Infrastrukturprojekte der Weltbank ausgewertet. Das Ergebnis: Allein in den vergangenen zehn Jahren sollen durch von der Weltbank finanzierte Projekte 3,4 Millionen Menschen ihr Land oder ihr Heim verloren haben. Die Vorwürfe betreffen Projekte in Indien, Uganda und Äthiopien. So sollen laut ICIJ beim Bau von Straßen, Autobahnen und Wohnhäusern mit Geldern der Washingtoner Organisation systematisch Menschenrechtsverletzungen begangen worden sein.
Die Weltbank vergibt Kredite für Projekte, deren Umsetzung lokalen Behörden und Unternehmen obliegt. In Äthiopien etwa sollen Soldaten Bürger, die sich weigerten, ihr Land für ein von der Weltbank gefördertes Wohnbauprojekt zu verlassen, verprügelt haben. Auch zu Vergewaltigungen soll es gekommen sein. Weltbankpräsident Jim Yong Kim dementierte nicht, sondern sprach die Vorwürfe in Washington direkt an: Bereits die Ergebnisse einer internen Prüfung der Weltbank-Umsiedelungsprojekte haben ihn "besorgt", sagte Kim. Die Weltbank arbeite daran, ihre Prüfsysteme bei der Vergabe von Krediten für Projekte zu verbessern, so Kim. (András Szigetvari, DER STANDARD, 17.4.2015)