Der Verzicht auf Schweinefleisch und Alkohol fiel Ayse nicht schwer. Doch fünfmal am Tag zu beten: nun ja.

Foto: Fernanda Nigro

"Bruna: Du darfst alles - nur nicht einen Türken heiraten!" Das war die erste und einzige Empfehlung meines Vaters, als ich, eine Brasilianerin, nach Österreich zog. Genau das habe ich getan.

Ich bin im Süden Brasiliens geboren, in Curitiba. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich noch klein war, ich wurde von meiner Großmutter und meiner Mutter aufgezogen. Irgendwann einmal fasste ich mir ein Herz und besuchte meinen Vater in Österreich. Es hat mir so gut gefallen, dass ich hier geblieben bin. In einem Deutschkurs habe ich mich mit einer Türkin angefreundet, die mich zu ihrer Hochzeit eingeladen. Dort habe ich meinen zukünftigen Mann kennengelernt, einen feschen Kerl, aber schüchtern - und Türke. Nach unzähligen Treffen fragte er, ob ich ihn heiraten wolle. Bis dahin hatten wir nur Händchen gehalten und uns lang und tief in die Augen geblickt. Ich sagte Ja.

Heimliche Hochzeit

Wir haben in einer Moschee geheiratet. Der Raum war leer. Nicht einmal unsere Eltern wussten etwas davon. Jeder hat weiter beim jeweiligen Vater gewohnt, und ich habe weiter mein Leben als nicht praktizierende Katholikin gelebt. Einige Monate später wurde ich schwanger, der Bauch wurde immer größer, und da habe ich entschieden, meinem Vater die Wahrheit zu sagen. "Papa, weißt du noch, was du mir ganz am Anfang geraten hast? Nun es tut mir leid, genau das Gegenteil habe ich gemacht. Ich habe einen Türken geheiratet, und ich bin schwanger." Doch Papa hat mich nur umarmt und mir gesagt, dass er mich immer lieben wird. Erst dann sind mein Mann und ich endlich zusammengezogen.

Doch selbst nachdem unser Bub zur Welt gekommen war, wusste die Familie meines Mannes noch immer nichts von mir und dem Kind. Harte Zeiten waren das. Unser Baby war häufig krank, und mein Mann hat viel gearbeitet. Ich hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ich musste etwas machen. Dann, plötzlich, hat es "Klick" gemacht, und ich bin zu einem türkischen Geschäft im zehnten Bezirk marschiert und habe mir Kopftücher gekauft. Die Verkäuferinnen haben mir gezeigt, wie man es trägt, dazu habe ich mir gleich die passende Kleidung besorgt - und den Koran.

Klares Regelwerk

Danach bin ich konvertiert. Aus Bruna wurde Ayse, aus einer Katholikin eine Muslima. Das war keine große Veränderung für mich, Alkohol habe ich zuvor kaum getrunken, Schweinefleisch mag ich nicht. Weniger einfach ist die Sache mit dem Beten: fünfmal am Tag, dazu das muslimische Fasten, der Ramadan. Das ist für mich - nun ja - eine andere Welt, aber diese Welt tut mir gut: klare Regeln, strenge Rahmenbedingungen, eindeutige Zielsetzungen.

Eines Tages hat meine mir noch immer unbekannte Schwiegermutter meinem Mann gesagt, dass die Familie eine Braut für ihn sucht. Er war in Panik. Sich gegen eine türkische Familie zu behaupten bedeutet, sich gegen mindestens dreißig Verwandte zu stellen. Als er einen in Paris lebenden Cousin einweihte, wusste die in ganz Zentraleuropa verstreute Sippe innerhalb einer Stunde von mir und dem Kind. Danach schickte mich mein Mann gemeinsam mit dem Baby allein in die Türkei.

Alter Brauch aus Kriegszeiten

Dort angekommen, fand ich mich in einem Dorf im Inneren der Türkei auf einem Sofa sitzend, mit dem Baby auf dem Arm, umringt von einer Menge Cousins, Onkel, Tanten, Schwägerinnen, Nachbarinnen und natürlich den Schwiegereltern. Sie waren freundlich, sehr laut und sehr neugierig. Wir unterhielten uns mit einem Mix aus Gesten und mithilfe einiger türkischer Wörter, die ich kannte.

Türkische Männer können bis zu vier Frauen haben - zumindest wenn man sie alle unterstützen kann. Das ist ein alter Brauch aus Kriegszeiten. Wenn Ehemänner fielen, kümmerten sich die Überlebenden um die Witwen. Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass sie mit allen sexuelle Beziehungen hatten, schließlich waren manchmal auch sehr alte Frauen darunter. Vielmehr handelt es sich um eine Form der Familienfürsorge, denn diese Frauen konnten sich und ihre Kinder nicht selbst erhalten, da es ihnen nicht erlaubt war zu arbeiten.

Diesen Brauch gibt es auch heute noch. Mein Schwiegervater hat zum Beispiel zwei Frauen. Eine ist sehr jung, die andere meine Schwiegermutter. Sie alle wohnen im gleichen Haus. Mein Schwiegervater und die junge Frau im ersten Stock - und meine Schwiegermutter und deren Schwiegermutter im Erdgeschoß. Sie kümmert sich um die alte Frau.

Für immer die Einzige

Am Tag unserer Hochzeit hat mir mein Mann versprochen, dass ich immer seine einzige Frau bleiben werde. Er will mir nicht dasselbe Leid antun, das sein Vater der Mutter angetan hat. Meine Schwiegermutter kommt aus dem Landesinneren, und sie hatte keine andere Wahl - außer zu ihren Eltern zurückzukehren. Aber das wollte sie nicht. Heute sagt sie immer: Ich habe mein Haus weiß gekleidet betreten, und ich werde mein Haus weiß gekleidet verlassen (im Islam tragen Verstorbene weiße Gewänder).

Der Islam, den ich kenne, ist nicht kriegerisch. Dieser Islam hilft etwa Menschen, die finanziell benachteiligt sind. So haben wir zum Beispiel an einem muslimischen Feiertag zwei Schafe schlachten lassen und an Bedürftige in der Moschee gespendet. Das machen wir alle Jahre wieder. Eine kleine Geste, die für das Gemeinsame im Islam steht: Muslime helfen sich gegenseitig. Dass einer meiner Söhne in den Heiligen Krieg zieht, einem Märtyrertod entgegenmarschiert - das werde ich niemals zulassen. Das hat der Prophet Mohammed nie propagiert.

Seit ich konvertiert bin, habe ich die Ruhe und Behaglichkeit gefunden, die ich seit langem gesucht hatte. Obwohl ich heute davon überzeugt bin, dass aufgrund meiner Religion und meiner Lebenseinstellung kein Einheimischer mit mir eine Freundschaft eingehen will. Ich selbst habe mich nicht verändert. Ich bin der gleiche Mensch wie früher. Aber um mich herum hat sich alles verändert. Seit dem ersten Tag, an dem ich ein Kopftuch trage, bin ich für diese Gesellschaft unsichtbar geworden. Die Blicke ziehen an mir vorbei, als ob es mich nicht gäbe. (DER STANDARD, 18.4.2015)