Mit frenetischem Beifall wurde Edward Snowden begrüßt, als die Leitung via Skype Freitagabend endlich stand und der NSA-Aufdecker frisch rasiert von einer riesigen Leinwand in den Rathaussaal lächelte. Er rief die Teilnehmer des Journalismusfestivals in Perugia auf, sich mehr um ihre Privatsphäre zu kümmern und ihre Kommunikation zu verschlüsseln. Journalismus sei der effektivste, wenn nicht der einzige Hebel, den es in einer Gesellschaft noch gebe, um sich gegen die Überwachung zu wehren.
Snowden kritisierte, dass auch in Europa nach den Angriffen auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" und infolge weiterer Anschläge die Regierungen sofort die Überwachung verstärkt hätten. Dabei gebe es nicht einen einzigen Fall, der belege, dass die massenhafte Informationsspeicherung auch nur einen Terrorakt verhindert habe. Die Regierungen würden auch Telekomfirmen zwingen, ihnen Möglichkeiten zur Überwachung einzuräumen. "Die nationale Sicherheitsagentur ist zu einer nationalen Überwachungsagentur geworden", sagte Snowden über die NSA.
Jeder ist verdächtig
Es reiche als normaler Bürger schon, mit der falschen Person im Bus zu fahren. Jeder sei verdächtig, unabhängig von einem konkreten Verdacht. Selbst wenn man die Telefonanrufe des Papstes anschaue, würde man als Ermittler einen Terrorverdacht hegen. "Die Änderung der Technologie hat dazu geführt, dass wir alle zu jeder Zeit beobachtet werden können." So könne man feststellen, welche zwei Telefone die Nacht miteinander verbringen und ob nicht eines manchmal bei einem anderen zu dieser Zeit sei. Sein Vorschlag, dass die Nachrichtendienste die Bürger einladen sollten, die über sie gesammelten Informationen einzusehen, wurde mit Applaus bedacht.
Große Lehren
Auch Laura Poitras, die ebenfalls via Skype zugeschaltet wurde, appellierte an die Journalisten, Verschlüsselungstechniken zu lernen, um ihre Informanten zu schützen. "Das ist eine der großen Lehren aus dem NSA-Skandal", sagte die Filmemacherin, deren Dokumentation "Citizenfour" über Snowdens Enthüllungen und seine ersten Tage nach der Flucht aus den USA nach Hongkong heuer einen Oscar gewonnen hat. Sie hoffe, dass der Film wachrüttle. Poitras bezeichnete die Massenüberwachung auch als Geschäftsmodell für Firmen.
Großer Andrang, wenn auch deutlich weniger als bei Snowden, herrschte im gleichen prächtigen Saal einige Stunden zuvor, als Aron Pilhofer den Wandel des "Guardian" von einem 200-jährigen Medienunternehmen, das sich die längste Zeit auf eine Zeitung konzentrierte, zu einem digital getriebenen Newsroom beschrieb. Pilhofer, der erst vor sechs Monaten als Digitalchef von der "New York Times" zum "Guardian" nach London wechselte, nannte als zentrale Innovation kleine, gemischte Teams: So würden am sogenannten Visuals Desk Kollegen aus den Bereichen Foto, Grafik, Interaktiv und Design zusammenarbeiten.
Finanzierungsmodelle
Auch wenn mehr als 99 Prozent der Inhalte des "Guardian" frei verfügbar seien, nannte Pilhofer den Aufbau von Mitgliedsprogrammen und den Ausbau von Sponsoring als wichtiges weiteres Geschäftsmodell zur Finanzierung, da der "Guardian" nach wie vor rote Zahlen schreibe.
Ein Panel in Perugia beschäftigt sich nur mit neuen Geschäftsmodellen: Die niederländische Plattform Blendle will ein Bezahlanbieter über Mediengrenzen hinweg sein. Seit einem Jahr bietet die journalistische Mikropayment-Plattform einzelne Artikel niederländischer Medien zum Stückpreis von 10 bis 30 Cent an. Rund 250.000 Nutzer hat man bisher zur Anmeldung bewegen können, ein Fünftel zahlt auch. Alle anderen haben nach den anfangs geschenkten 2,5 Euro ihr Guthaben nicht mehr aufgestockt.
Doch Blendle will nicht nur die Artikel gesammelt anbieten, sondern ermöglicht es den Nutzern, Artikel für Freunde zu empfehlen. Bekannte Persönlichkeiten kuratieren einen Nachrichtenstream mit Artikeln. 30 Entwickler arbeiten an der Seite, an der sich auch Springer und die "New York Times" beteiligt haben. Demnächst, so der Gründer Alexander Klöpping, wolle man auch mehr englischsprachige Seiten anbieten und international werden. Fix mit an Bord sind der "Economist", die "New York Times", das "Wall Street Journal" und die "Washington Post".
Erfolgreiches Projekt
Welche Dinge häufig gekauft werden? Nachrichten funktionieren weniger, das Interesse liege verstärkt bei investigativem Journalismus und Analysen, so Klöpping. Kaufen Nutzer mehr Artikel, als eine einzelne Ausgabe des Mediums kosten würde, wird maximal dieser Preis verrechnet.
Ein weiteres Projekt aus den Niederlanden präsentiert sich als höchst erfolgreich: Die Nachrichtenseite "De Correspondent" hat mittlerweile 33.000 Mitglieder, die 60 Euro im Jahr zahlen. Die Seite startete als Crowdfunding-Projekt. Ziel der Seite: "Wir ignorieren Nachrichten. Wir berichten über Dinge, die nicht heute passiert sind, sondern jeden Tag passieren", so Herausgeber Ernst-Jan Pfauth. Der Fokus der Seite liege auf den Mitgliedern. "Wir sehen Mitglieder als Experten. Wir versuchen weniger eine Publikation und mehr eine Plattform zu sein", erläuterte Rob Wijnberg, Chefredakteur von "De Correspondent", bei einem weiteren Panel.
Auf reges Interesse stieß auch die Frage, wie man mit Onlinekommentaren umgehen solle. Emma Goodman, die bei der London School of Economics eine Umfrage unter 104 Medienunternehmen aus 63 Ländern durchführte, berichtete, dass nur sieben dieser Unternehmen auf Postings verzichteten. Greg Barber von der "Washington Post" ergänzte, dass mehrere Zeitungen heuer wieder die bereits abgeschafften Leserkommentare eingeführt hätten – darunter die "Kiew Post". Chris Hamilton, der bei der BBC als Social-Media-Redakteur tätig ist, beschrieb die algorithmusgestützte Hilfe bei der Bewältigung der Userkommentare als wesentlich. So werde nach bestimmten Kriterien vorsortiert, damit nicht alle Beiträge von einem Moderator angesehen werden müssen. Moderation gebe es immer: "Wir öffnen nie ein Forum einfach so", betonte Hamilton.
Negative und positive Beispiele
Wie man mit Beiträgen von Usern umgehen soll, die einen Nachrichtenwert haben, wurde in einer weiteren Debatte anhand vieler praktischer Beispiele diskutiert. Margaret Sullivan, die Leseranwältin der "New York Times", erklärte, dass es in ihrem Haus keine schriftlichen Vorgaben gebe, wie mit solchen Beiträgen umgegangen werden müsse. Aber es müsse doppelt gecheckt werden, woher das Material stamme.
Wie auch eine Untersuchung des Tow Center zeigte, würde vor allem IS-Material benutzt werden. Das sei oft schrecklich anzusehen. Sullivan führte aber ein Positivbeispiel an: Das Video eines Passanten, das einen Polizisten gezeigt habe, der einen Schwarzen erschießt, habe großen Einfluss gehabt.
Aron Pilhofer räumte ein, dass es bei der Einbindung von Material, das nicht von Journalisten oder Nachrichtenagenturen stamme, "immer wieder Grauzonen" gebe. "Was aber nicht heißt, dass man sich alles schnappen und online stellen kann." (Alexandra Föderl-Schmid, Sebastian Pumberger, derStandard.at, 17.4.2015)