Diskussion über das Verhältnis Redaktion und Anzeige: Journalismusprofessor George Brock, Autor Bill Emmott, Margaret Sullivan ("New York Times"), Felix Salmon ( "Fusion") und Jane Martinson ("Guardian") (v. li.).

Foto: Alexandra Föderl-Schmid

Jeff Jarvis während seines Vortags im Rathaussaal.

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Journalismus auf der Theaterbühne (v. li.): Aron Pilhofer ("Guardian"), Alison Gow ("Trinity Mirror"), Margaret Sullivan ("New York Times"), Raju Narisetti (News Corp.) und Vivian Schiller ("Vocativ").

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Jeff Jarvis fotografiert die Zuhörer seiner Rede.

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Mit einem martialischen Titel versuchte Jeff Jarvis beim Journalistenfestival in Perugia die Aufmerksamkeit zu gewinnen: "Zur Hölle mit Massenmedien" lautete der Ruf des umtriebigen New Yorker Journalismusprofessors, dem viele am Samstag folgten. "Wir wissen nicht, was das verpisste Internet überhaupt ist", rief er in den prall gefüllten Rathaussaal. Das würden erst die im neuen Jahrtausend Geborenen, die Millennials, erfahren.

Schließlich habe es nach der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg auch fünfzig Jahre gedauert, bis der Buchdruck richtig in Gang gekommen sei. Und erst 150 Jahre später sei die erste Zeitung gegründet worden.

Nicht alles für alle

Abgesehen von einigen Kraftausdrücken präsentierte Jarvis präzise Erläuterungen zur Untermauerung seiner zugespitzten Botschaft. Eine davon: Man müsse aufhören, die Medienkonsumenten als Masse zu sehen, und sich spezialisieren. "Man kann nicht alles für alle machen." Durch soziale Medien und neue Technologien entstünden Interessengruppen, die zielgerichtet Informationen erhalten wollen.

Jarvis findet auch nichts dabei, wenn ihm Unternehmen vor allem Informationen liefern, die zu seinen Interessen passen. "Das ist eine Dienstleistung. Und ich weiß, dass das in Europa eine Horrorvorstellung ist: Aber ich habe kein Problem, wenn die Daten meiner Onlinenutzung dafür verwendet werden, meine Interessen herauszufinden, und mich zielgerichtet mit Informationen versorgen. Google weiß, wo ich lebe und arbeite. Mich sorgt das nicht."

Abo aus Patriotismus

Medien müssten neue Beziehungen zu ihrem Publikum aufbauen, erklärte er wiederholt. Mitgliedschaften seien ein guter Weg. Man dürfe aber nicht nur Beiträge anbieten, sondern etwa auch Zugang zu Veranstaltungen oder eine besondere Form der Interaktion mit Journalisten. Das sei nicht mit einem Abonnement zu verwechseln. Ausschließlich mit Inhalten könnten nur Medien wie die "New York Times" Geld verdienen. Er selbst zahle dafür aber mehr aus patriotischen Gründen, sagte Jarvis.

Katzen korrumpieren den Journalismus

Der erfolgreiche Buchautor und Blogger rief Medienunternehmen und Journalisten auf, sich anders zu orientieren: weg von der Reichweite, hin zu Werten. "Wenn dein Ziel mehr Klicks sind, dann wirst du mehr Katzen verwenden. Und das korrumpiert den Journalismus", sagte Jarvis. Deshalb sei es wichtig, mehr über den Medienkonsumenten und sein Nutzungsverhalten und seine Interessen zu wissen.

Daten für alle oder wenige

Wie man mit diesem Wissen über die Mediennutzung umgehen soll, war zuvor schon ein Thema bei einer sehr differenziert geführten Diskussion, was als Nächstes für traditionelle Medienmarken kommen werde. Beim "Guardian" seien diese Daten für alle offen, erklärte dessen Digitalchef Aron Pilhofer. Er räumte aber ein, dass die Gefahr bestehe, dass Zahlen missinterpretiert werden könnten.

Raju Narisetti berichtete, dass in seinem Unternehmen – Rupert Murdochs News Corp. – nur Entscheidungsträger diese Informationen bekommen. Margaret Sullivan, die Leserbeauftragte der "New York Times", vertrat die Ansicht, dass für Reporter diese Zahlen ohnehin nur von beschränktem Interesse seien.

Zeitung in einem digitalen Newsroom

Nicht ganz so einig war man sich auf dem Podium auch über die Frage, welcher Medientyp in welcher Weise in einem Newsroom behandelt werden soll. Während Pilhofer die Ansicht vertrat, es sei "einfacher, in einem digital geführten Newsroom eine tolle Zeitung zu machen, als umgekehrt", zeigte sich seine frühere Kollegin bei der "New York Times" deutlich skeptischer. Sie verwies darauf, dass die Zeitung noch immer für mehr als 70 Prozent der Einnahmen verantwortlich sei. Der "Guardian", der vor 193 Jahren gegründet wurde, hat zwar am konsequentesten den Umbau zu einem Medienunternehmen, in dem Digitales Vorrang hat, vorangetrieben. Pilhofer selbst räumte in Perugia ein, dass der "Guardian" nach wie vor rote Zahlen schreibe und sich die finanzielle Nachhaltigkeit des Modells erst herausstellen müsse. Aber auch Sullivan ergänzte später, dass sich vor zwei Jahren der Newsroom noch mehr "nach einem Zeitungsbetrieb angefühlt" habe – es habe sich etwas geändert.

Medienwandel voll im Gang

Auch für Pilhofer ist der Wandlungsprozess in den Medien jetzt voll im Gang, nachdem man lange darüber geredet hatte. Im Newsroom gebe es "keine weltbewegenden Veränderungen", mehr dagegen passiere auf der kommerziellen Seite. Auffällig war, dass im Gegensatz zu den Jahren davor heuer in Perugia nicht mehr diskutiert wurde, ob Online- und Printredaktionen getrennt bleiben oder zusammengeführt werden sollten. In fast allen Beiträgen wurde ganz selbstverständlich von einer integrierten Redaktion ausgegangen.

Danach gefragt, welche Medien ihnen in den vergangenen Monaten mit Innovationen aufgefallen seien, nannten fast alle die in den USA beheimateten Unternehmen Vox und Quartz. Murdochs Vizepräsident Narisetti führte als Negativbeispiel die "Huffington Post" an, die inzwischen nachhinke.

Debatte über Aktionismus

Auf diesem Podium wurde wie auch auf anderen in Perugia die Frage diskutiert, inwiefern Journalismus auch Aktivismus sein dürfe Das Beispiel des "Guardian", der sich gegen globale Erwärmung einsetzt und dazu auffordert, nicht mehr in Ölfirmen zu investieren, wurde als aktueller Fall von Jeff Jarvis bis Aron Pillhofer genannt. Statt nur zu berichten, ging das Medienunternehmen in den vergangenen Monaten unter dem bald scheidenden Chefredakteur Alan Rusbridger zu einer Kampagne über.

Pilhofer, der vor einem halben Jahr von der "New York Times" zum "Guardian" wechselte, gab offen zu, dass ihm dieser Aktivismus, aus einer anderen Tradition kommend, am Anfang ein mulmiges Gefühl verursacht habe. Inzwischen könne er gut damit leben, weil die Themen gut zur Ausrichtungen des Hauses passten. Auch bei AJ+ (Al-Jazeera plus) war der Aspekt der Kampagne ein wesentlicher Teil der Ausrichtung.

Der Gründer von "Change.org", Ben Rattray, sprach in Perugia über sein Petitionstool. "Alle sollen eine Kampagne starten können." Rattray ist überzeugt, dass durch seine Plattform Druck auf Firmen und Politiker ausgeübt werden könne, Reformen durchzuführen. Die global aktive Plattform hat mittlerweile 95 Millionen Nutzer, 250 Medien berichten durchschnittlich pro Tag über Kampagnen von "Change.org".

Kooperation mit Medien

Darüber hinaus will Rattray stärker mit Medien kooperieren. Als Beispiel führte er wieder den "Guardian" an, bei dem die Kampagne gegen Genitalverstümmelung mit einer Petition verbunden wurde und so beide Bereiche stärker wahrgenommen wurden. Wenn die Unzufriedenheit in einem Land steige, gebe es mehr Petitionen, so Rattray. Am bekanntesten ist wohl die Kampagne #bringbackourgirls, die sich gegen die Entführung von Schülerinnen in Nigeria durch die Boko Haram wandte.

Konflikt Anzeige und Redaktion

Um ein weiteres Konfliktfeld ging es bei einer anderen Debatte: der Beziehung zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung. "Bei der "New York Times" gibt es mehr denn je eine Interaktion zwischen der kommerziellen Seite und der Redaktion", sagte Margaret Sullivan. Die Leserbeauftragte sieht darin aber "keine ethischen Konflikte". Autor Bill Emmott bezeichnete es als das Mindeste, zumindest transparent zu sein. Wenn ein Reisebericht auf einer Einladung basiere, müsse dies gekennzeichnet werden. Er glaube nicht, dass man sagen könne, das sei gekennzeichnet, und damit sei es kein Problem mehr, hielt Fusion-Redakteur Felix Salmon dagegen.

Neue Risiken

Für den Londoner Journalismusprofessor George Brock tun sich im Onlinebereich "neue Risiken" auf, er nannte als Beispiel auch Native Ads, also Anzeigen, die wie redaktionelle Beiträge aussehen. Es sei schwieriger denn je, die Integrität der Medien abzusichern. (Alexandra Föderl-Schmid, Sebastian Pumberger, derStandard.at, 18.4.2015)