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Das Wrack eines im Mittelmeer untergegangenen Flüchtlingsbootes wird im Hafen der italienischen Stadt Catania überwacht. Die EU will eventuell auch militärisch gegen Schlepperbanden vorgehen.

Foto: AP / Alessandra Tarantino

"Der Status quo ist keine Option mehr. Die gesamte EU hat die moralische und humanitäre Verpflichtung zu handeln", sagte der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, am Dienstag bei einem Besuch in Wien zum Flüchtlingssterben im Mittelmeer. Die Union müsse rasch eine "gemeinsame und umfassende Strategie für den Umgang mit dem Thema Migration finden".

Schon in wenigen Wochen werde seine Behörde einen (umfassenden) Vorschlag vorlegen, so Juncker. Damit zog er konkret eine Linie zu dem tags zuvor von den Außen- und Innenministern in Luxemburg beschlossenen Zehn-Punkte-Plan. Diesen werden die Staats- und Regierungschefs Donnerstag beim Brüsseler Sondergipfel demonstrativ untermauern.

Was auf den ersten Blick so aussieht, als hätten die EU-Spitzen blitzartig auf die zwei Schiffskatastrophen im Mittelmeer binnen einer Woche reagiert, bei denen mutmaßlich insgesamt 1300 Menschen ums Leben kamen, ist freilich so neu nicht. Bereits zuvor hatte die Kommission für Mitte Mai ein Konzept für eine neue Migrationsstrategie angekündigt.

"Müssen das Sterben im Mittelmeer beenden"

Was sich aber über Nacht geändert hat, sind die Prioritäten. "Der erste zentrale Punkt ist jetzt die Seenotrettung", bringt der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, im Gespräch mit dem Standard auf den Punkt, was in den Entscheidungszentren vorbereitet wird: "Erste Priorität ist, wir müssen das Sterben im Mittelmeer beenden. Wir müssen es zumindest minimieren, weil wird das nicht zu hundert Prozent versprechen können. Aber wir müssen die Ambition haben, es zu beenden."

Das wird laut Weber auch die zentrale Aussage des EU-Gipfels sein. Seine Fraktion, und wohl auch die einflussreiche deutsche Kanzlerin Angela Merkel, spricht sich dafür aus, dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex die Koordination übernimmt und die nationalen Behörden bei der Überwachung der EU-Außengrenzen koordiniert. Vergleicht man den Zehn-Punkte-Plan mit früheren Plänen, so fällt auf, wie stark nun der Akzent auf die Zerschlagung des Schlepperwesens gelegt werden soll. Die erst vor kurzem abgespeckten Überwachungsprojekte Triton und Poseidon (in Italien früher Mare Nostrum) sollen, wie berichtet, finanziell deutlich aufgestockt werden. Es soll nicht nur der unmittelbare Küstenbereich vor Italien, Malta oder Griechenland, sondern weit bis nach Libyen kontrolliert werden. Die Regierungschefs könnten auch militärische Unterstützung der Mitgliedstaaten bereitstellen.

Bootsführer verhaftet

Die Vernichtung von Schlepperbooten ist ebenso angedacht wie die Erneuerung der Kooperation von Polizei- und Justizbehörden und Ermittlern. Zwei mutmaßliche Bootsführer der Katastrophe mit 800 Toten wurden in der Nacht auf Dienstag verhaftet.

Im Plan ist vorsichtiger auch von einem "Pilotprojekt" zur Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten die Rede, von der Beschleunigung der Abschiebung jener, die kein Asyl bekommen und stärkerer Kooperation mit nordafrikanischen Ländern. UNHCR, das Flüchtlingshochkommissariat der Uno, wird nicht erwähnt.

Warum man sich ganz auf "Seenothilfe" und Bootszerschlagung konzentrieren will, wird aus UNHCR-Daten klar: 2014 flohen rund 219.000 Menschen über das Mittelmeer (davon 170.100 allein nach Italien), heuer waren es bisher 35.000. 2014 sind vermutlich 3500 Menschen dabei gestorben oder werden vermisst. Seit Jahresanfang bis 30. April sind aber bereits 1600 Flüchtlinge umgekommen. In Brüssel befürchtet man wegen der verschärften Lage in Syrien, Libyen oder Somalia ein starkes Ansteigen der Opfer, so nichts geschieht. (Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, 22.4.2015)