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Zuletzt haben die USA die Vorreiterrolle bei der Legalisierung von Cannabis übernommen.

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Sweet Grass: Erdnussbutter-Cookies aus einer legalen Bäckerei in Colorado.

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Und sie bewegt sich doch, die Politik. Zumindest in der Cannabisfrage. Und das auch nur, weil die Jungen Sozialisten Druck gemacht haben – sagen die einen. Weil die Neos das jetzt fordern und die Grünen schon längst, sagen die anderen. Und weil das sowieso seit langem überfällig ist, sagen die Betroffenen. Jedenfalls ist ein Verstoß gegen Paragraf 27 des Suchtmittelgesetzes zukünftig nicht mehr strafbar, sondern ein Fall für die Gesundheitsbehörde. Wer in Zukunft "Suchtgifte erwirbt, besitzt, erzeugt, befördert, einführt, ausführt oder einem anderen anbietet, überlässt oder verschafft", ist weiterhin ein unbescholtener Bürger, sofern er sich den gesundheitsbezogenen Maßnahmen der Bezirksverwaltungsbehörde unterwirft. Diese reichen von der ärztlichen Überwachung des Gesundheitszustands ("Pinkeln gehen") bis zur psychosozialen Beratung und Betreuung durch qualifiziertes Personal.

Mit einem Fuß im Irrenhaus

Eine richtige Liberalisierung ist das also nicht, denn eine wichtige Forderung der Legalisierungsbefürworter, die aus gesundheitlichen Gründen eine Freigabe fordern, wird weiterhin nicht erfüllt: Anstatt den Konsumenten die Freiheit bei der Wahl der Rauschmittel zu gewähren, werden sie als gesellschaftsabnorme Drogenkonsumenten zwangsbehandelt. Die Delinquenten stehen nun nicht mehr mit einem Fuß im Kriminal, sondern im Irrenhaus. Das Stigma wurde nicht abgeschafft, es wurde verschoben.

Eine österreichische Lösung

Verschoben wurde auch der Beamtenaufwand. Und zwar wird aus dem Strafverfahren ein Verwaltungsverfahren. Denn wo bis jetzt aufgrund eines Erstdelikts oder geringer Mengen das Verfahren eingestellt werden konnte, hat die öffentliche Dienststelle anstatt einer Strafanzeige den Substanzgebrauch an die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde zu melden und diese die oben genannten Maßnahmen zu setzen. Experten rechnen dabei mit einem Anstieg der zu bearbeitenden Fälle um mehr als 300 Prozent. Ob dabei jeder therapiebedürftige Konsument im Angesicht des bürokratischen Charmes eines Amtsarztes auch zum therapiewilligen Patienten wird, bleibt eine offene, von der Politik gänzlich unbeantwortete Frage.

Entgegen internationalen Trends

Den großen Schritt zur Legalisierung will Österreich nicht wagen und trotzt damit beharrlich internationalen Trends: Im Nachbarland Tschechien ist die massive Zunahme an THC-Konsumenten seit den 1990er-Jahren durch die De-facto-Freigabe 2010 erstmals gebremst worden. In Portugal ist das "Mitführen von zehn Tagesdosen" seit 2001 legal und bewirkte nach einem kurzfristigen Anstieg einen sukzessiven Rückgang problematischen Konsums. Die Niederlande genießen den Ruf eines stabilen, innovativen und progressiven Staates und sind dabei schon seit 1976 Europas Vorreiter liberaler Drogenpolitik. Ähnliche Erfahrungen mit eigenverantwortlichem Drogenkonsum sind aus Kolumbien und Uruguay zu berichten. Zuletzt haben die USA die Vorreiterrolle bei der Legalisierung übernommen. Dort wird der Genuss von Cannabis Stück für Stück vollständig freigegeben. Die Konsequenzen machen sich vor allem durch Steuereinnahmen aus dem legalen Verkauf von Gras bemerkbar.

Alternative ohne Zwangsbehandlung

Aus den USA des frühen 20. Jahrhunderts stammen auch die Vorlagen für mehrere Übereinkommen der Vereinten Nationen zum weltweiten Verbot von Rauschmitteln, denen auch Österreich zugestimmt hat. Sie sind bis heute Grundlage des österreichischen Suchtmittelgesetzes und indikativ für eine notwendige Generalüberholung der Materie. Schon der Begriff "Suchtgift" ist nicht mehr zeitgemäß, denn es handelt sich bei den meisten im Gesetz behandelten Substanzen weder um Gifte, noch sind deren Suchtpotenziale ausschlaggebend für ihre gesonderte Behandlung. THC ist beispielsweise beim Abhängigkeitspotenzial mit Koffein zu vergleichen, und dabei kommt niemand auf die Idee, Kaffee als Suchtgift zu bezeichnen.

Alleine die korrekte Terminologie könnte eine Bewusstseinsbildung bewirken und damit soziale Veränderungsprozesse einleiten. Der verantwortungsvolle Umgang mit Rauschmitteln wäre ohne verpflichtenden Besuch bei der Gesundheitsbehörde dann keine Sache einer maßregelnden Obrigkeit mehr, sondern ein gesellschaftlich erarbeiteter Vernunftkompromiss. (Bernhard Kastner, derStandard.at, 22.4.2015)