Rom – Der tunesische Kapitän des am Sonntag in libyschen Gewässern gekenterten Flüchtlingsboots war betrunken und hatte seit der Abfahrt in Libyen Haschisch geraucht. Das berichteten Überlebende des Flüchtlingsunglücks im Mittelmeer mit rund 850 Opfern.

Wegen des Zustands des Kapitäns sei es zu einem falschen Manöver und zur Kollision des Flüchtlingsboots mit einem portugiesischen Handelsschiff gekommen, das dem Notruf der Flüchtlinge gefolgt war. An Bord sei Panik ausgebrochen, das hoffnungslos überlastete Boot kippte um, berichteten die Zeugen. Der 27-jährige Kapitän und ein syrisches Besatzungsmitglied wurden in der Nacht auf Dienstag festgenommen, als die Gruppe von 27 Überlebenden in Catania auf Sizilien an Land gehen konnte.

Dem Kapitän werden mehrfacher Totschlag, Verursachen eines Schiffsuntergangs und Beihilfe zur illegalen Einwanderung vorgeworfen. Gegen den 25-jährigen Syrer wird wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung ermittelt. Die beiden müssen am Freitag zu einer ersten Anhörung vor Gericht erscheinen. Dem Kapitän des portugiesischen Schiffs sei dagegen nichts vorzuwerfen, berichteten die sizilianischen Ermittler.

800 Menschen in Boot gepfercht

Laut Überlebenden wollten Schlepperbanden 1.200 Menschen an Bord des Flüchtlingsboots unterbringen. "Sie schlugen uns, um so viele Menschen wie möglich ins Boot zu bringen. Am Schluss waren wir 800 an Bord. Die meisten waren im Lagerraum eingeschlossen. Nach dem Zusammenstoß bin ich ins Wasser gefallen, wo ich eine halbe Stunde lang warten musste, bis man mir ein Seil zugeworfen hat", berichtete der 16-jährige Somalier Said, der sich zusammen mit drei weiteren Minderjährigen retten konnte.

Die Überlebenden erzählten, dass das Flüchtlingsboot am Samstag von einem Hafen nahe Tripolis abgelegt hatte. Die Migranten wurden einen Monat lang auf einem Bauernhof gefangen gehalten, bevor sie abfahren durften. Bis zu 1.500 Dollar (1.400 Euro) musste jeder für die Reise nach Italien zahlen. "Wir wurden geschlagen und bekamen kaum zu essen. Wer erkrankte, wurde sich selbst überlassen. Ich habe viele Personen sterben sehen", berichtete der junge Somalier, der neun Monate lang in Tripolis ausharren musste, bevor er die Reise nach Italien unternehmen konnte. Sein Ziel sei es jetzt, nach Norwegen weiterzureisen.

Junge Männer und Kinder an Bord

Die Geretteten seien äußerst traumatisiert, sagte UNHCR-Sprecherin Carlotta Sami. Auf dem Boot befanden sich nach ihren Angaben vor allem junge Männer, aber auch mehrere Kinder im Alter von zehn bis zwölf Jahren.

Der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge ist die Zahl der Toten im Mittelmeer seit Jahresbeginn damit auf mehr als 1.750 gestiegen. Im Vorjahreszeitraum habe es 56 Opfer gegeben, die Zahl liege also 2015 schon mehr als 30-mal höher. Allein am Montag und Dienstag griff die italienische Küstenwache mehr als tausend Flüchtlinge im Mittelmeer auf. (APA, 22.4.2015 )