Die Gipsbüste auf dem Klavier ist ein Abdruck des Gesichts von Stefan Slupetzky.

Foto: Lisi Specht

"Beim Sanieren baut man eine ganz intensive, innige Bindung zur Wohnung auf." Blick ins Wohnzimmer und in die gemauerte Wohnküche.

Foto: Lisi Specht
Foto: Lisi Specht

Der Wiener Schriftsteller und Musiker Stefan Slupetzky wohnt im Servitenviertel im neunten Bezirk. Sein Zuhause ist ein archaischer Raum für Freunde und Familie. Seine Bücher entstehen jedoch im Fumoir der Wohnung - oder im Kaffeehaus vis-à-vis.

"Die Küche ist definitiv das Zentrum unserer Wohnung. Das ist etwas Archaisches. Ich liebe es, wenn wir Gäste einladen, dann stehen alle ums Feuer herum, starren in die Töpfe, und es wurlt im ganzen Raum. Das einzig Blöde ist die Lampe überm Herd. Die tut so, als wäre sie eine Dunstabzugshaube, tatsächlich aber ist der blecherne Lampenschirm mehr so eine Art Fettmagnet. Ich geniere mich förmlich dafür, wie dieses Ding beieinander ist. Nicht einmal geputzt haben wir für den Fototermin.

Schmutz stört Stefan Slupetzky nicht, Unordnung sehr wohl. (Bildansicht durch Klick vergrößern)
Foto: Lisi Specht

Dieser Raum hat etwas zutiefst Faszinierendes für mich, denn er ist die Summe von lauter kleinen Unräumen. Früher einmal waren das eine Küche, ein winziges Bad, zwei Vorzimmer und ein Stück vom Hausflur. Durch Abtragen der Wände und durch Einzug diverser Stahltraversen haben wir all diese Räume zusammengefasst. Am Boden und am Platzlg'wölb an der Decke kann man den Verlauf der Zimmer noch gut nachvollziehen. Das ist wie eine Geschichte, die man lesen kann.

Ich habe die Wohnung, zumindest den größeren Teil davon, vor 30 Jahren gekauft. Heute würde man glauben, ich war und bin ein steinreicher Krösus, und das mitten im Servitenviertel, aber tatsächlich war die Gegend damals alles andere als hip, sondern mehr so eine Art Versteck und Hinterseite. Die Wohnung hat umgerechnet so an die 15.000 Euro gekostet. Die kleine Nebenwohnung habe ich dann ein paar Jahre später dazubekommen. Und 2002 schließlich haben meine Frau Julia Maetzl und ich die beiden Wohnungen saniert und zusammengelegt, mit entsprechenden Vorwarnungen an die Nachbarn, wohlgemerkt, und so schaut's halt jetzt aus, wie's ist - ein schönes, ein bissl verschachteltes Flickwerk mit 130 Quadratmetern.

Der Umbau hat, obwohl wir ihn möglichst rasch durchgeführt haben, mehrere Monate gedauert. Die kleinen Handgriffe, bei denen man jetzt nicht wirklich etwas nachhaltig kaputt machen kann, haben wir selbst gemacht: Wände streichen, Türen abbeizen, solche Sachen halt. Es hat durchaus Freude gemacht, weil man bei so einer Arbeit eine ganz intensive, innige Bindung zur Wohnung aufbaut und einen neuen Blick dafür bekommt.

Lärm als Autobiografie O Umbauen ist überhaupt das Thema meines Wohnens und Lebens. Seitdem das Servitenviertel von den Immobilienhaien entdeckt und hip gemacht wurde, gibt es rundherum pausenlos Baustellen, hauptsächlich Dachausbauten. Diese Geldmacherei, diese Ausschlachtung von jedem Kubikzentimeter empfinde ich als massiven Eingriff ins tägliche Leben der Grätzelbewohner. Jetzt wohne ich schon seit 30 Jahren hier, und manchmal, wenn's mir reicht, versuche ich mir auszurechnen, wie viele Wochen davon ohne Lärmbelästigung über die Bühne gegangen sind.

Immer wieder muss ich zum Arbeiten ins Kaffeehaus ausweichen. Auch nicht schlecht. Im verlängerten Wohnzimmer arbeitet es sich zur Abwechslung eigentlich auch ganz gut. Mein Buch "Lemmings Zorn" habe ich zum größten Teil vis-à-vis im Café Luxor geschrieben. Geschichten entstehen ja im Entstehen, und so ist der Protagonist einer, der unter Lärmbeeinträchtigung leidet und nicht mehr weiß, wie er tun soll. Ja, Schreiben ist immer auch etwas Autobiografisches.

Wenn Ruhe herrscht, kann ich mich zu Hause aber am besten konzentrieren. Ich liebe diese Wohnung in jeder Hinsicht. Hier in der Küche, an diesem alten Holztisch, den wir in der Steiermark gefunden haben, findet das familiäre Zusammenleben statt, und drüben in meinem Arbeitszimmer ziehe ich mich zurück und schreibe an meinen Büchern und Geschichten. Ich mag es, einen großen Schreibtisch zu haben, und zwar so einen, der nach Möglichkeit noch leere Flächen bietet. Ich bin ein Neurotiker. Schmutz stört mich nicht, Unordnung sehr wohl. Und das Schönste ist: Mit dem Schreiben und mit den leeren Flächen am Schreibtisch entfliehe ich und begebe mich mitten in die Geschichte, an der ich gerade arbeite. Übrigens: Das Arbeitszimmer ist auch unser Fumoir, der einzige Raum in der Wohnung, in dem geraucht werden darf.

Als alter Mann, also bald einmal, will ich unbedingt in dieser Wohnung bleiben. Die letzten zehn, 20 Jahre habe ich zwar immer von einem Refugium im Grünen geträumt, aber ich muss gestehen, dieser Traum ist - schon allein finanziell - ausgeträumt. Was ich allerdings gerne hätte ... diese Wohnung mitten im Grünen, so wie das Haus meiner Kindheit im Grünen gelegen war. Aber das sind eben Träume. Gut so!" (DER STANDARD, Open Haus, 29.4.2015)