Grafik: DER STANDARD

Belutschistan ist, ohne Übertreibung, ein hartes Pflaster. Seit Pakistan 1948 einen Teil dieser Region annektiert hat, kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen Militär und Belutschenstämmen, die die Unabhängigkeit fordern. Beide Seiten scheuen dabei nicht vor Gewalt gegen die Zivilbevölkerung zurück, und dann mischen auch noch islamistische Gruppierungen mit – darunter die Taliban –, die wahlweise Anschläge auf Angehörige anderer Religionen oder Impfhelfer durchführen. Internationale NGOs sind in der an natürlichen Ressourcen reichen Provinz im Südwesten Pakistans rar, sogar für sie erscheint die Lage zu gefährlich; genauso rar sind daher Informationen über die Menschenrechtslage in Belutschistan. Kamal Khan wollte das ändern – und musste dafür um sein Leben fürchten.

Khan ist ein pakistanischer Menschenrechtsaktivist und befindet sich seit 15. Jänner im deutschen Hamburg. Seine neue Heimat beschreibt der 27-Jährige in einem Telefonat als "im Himmel angekommen". Das klingt im ersten Moment pathetisch, bei näherer Betrachtung kann man diese Gefühlslage aber durchaus nachvollziehen.

Kamal Khan musste aus seiner Heimat Belutschistan flüchten. Derzeit lebt er in Hamburg.
privat

Im Jahr 2004 begann der aktuelle Konflikt, nachdem verschiedene Separatistenbewegungen von Islamabad Autonomie oder zumindest größere Anteile an den Einnahmen durch Öl- und Erdgasförderung verlangt hatten. "Viele sahen mit eigenen Augen, wie auf offener Straße unschuldige Menschen von Sicherheitskräften erschossen wurden. Das war Alltag, und ich schämte mich für mein Land", beschreibt der in Belutschistan geborene Khan die damaligen Geschehnisse.

Aus diesem Grund begann er sich bei der pakistanischen Menschenrechtskommission (HRCP) zu engagieren. 2008 wurde er zum regionalen HRCP-Koordinator für Belutschistan ernannt – er dokumentierte also die vielen Menschenrechtsverbrechen in der größten und zugleich am geringsten besiedelten Provinz Pakistans: Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, Folter, Vergewaltigungen, Attacken auf religiöse Minderheiten.

Die wenigen Aktivisten oder Journalisten, die vor Ort darüber berichten, führen zumeist ein hochgefährliches Leben – bei Khan war das nicht anders. Die Taliban nahmen ihn ins Visier, weil er ihre Aktivitäten niederschrieb und publizierte. Militär, Polizei und pakistanischer Geheimdienst (ISI) bedrohten ihn vor allem deshalb, weil er über verschwundene Menschen berichtete, wofür die nationalen Behörden verantwortlich sein sollen.

Attacke von bewaffneten Männern

Die Folge waren zahlreiche Morddrohungen gegen ihn und seine Familie. "Ich sollte mit meiner Arbeit aufhören, weil das die Integrität des Landes verletze", erklärt Khan. Das Haus seines Onkels geriet unter Beschuss und schließlich wurde er im Mai 2013 auf dem Weg zum Markt von unbekannten Bewaffneten attackiert. Nur mithilfe seiner Begleiter – schon lange ging Khan nicht mehr allein außer Haus – konnte er diesen Anschlag überleben.

HRCP reagierte prompt und schickte Khan in eine scheinbar sichere Unterkunft in Karachi in der Provinz Sindh – die Streitkräfte haben dort grundsätzlich weniger Einfluss. Außerdem absolvierte er ein Sicherheitstraining: "Ich habe öffentliche Veranstaltungen gemieden, mich nicht in den sozialen Medien gemeldet. Ich wechselte regelmäßig meine Telefonnummer und monatlich die Wohnung. Außerdem bin ich immer auf unterschiedlichen Routen in die Arbeit gefahren."

Nach seinem Aufenthalt will er wieder nach Pakistan zurückkehren. Ob das möglich ist, kann derzeit noch nicht gesagt werden.
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Doch es nutzte alles nichts, weiterhin erreichten ihn Drohanrufe mit der immer gleichen Botschaft: "Wie lang willst du noch vor deinem Tod davonlaufen? Wir kriegen dich auch dort." Bevor diese mörderische Prophezeiung Realität wurde, konnten NGOs Khan Anfang 2015 außer Landes bringen und ihm einen einjährigen Aufenthalt in Deutschland ermöglichen. "Ich war verstört und hatte Angst. Jetzt fühle ich mich wieder frei."

Was nach dem Jahr im Ausland passiert, kann Khan noch nicht sagen. "Pakistan basiert als Islamische Republik auf dem Islam. Viele religiöse Minderheiten wie eben in Belutschistan werden tagtäglich diskriminiert und leben in ständiger Gefahr. Und Geheimdienst, Militär und Polizei können machen, was sie wollen, sie müssen sich vor niemandem rechtfertigen." Kamal Khan will wieder nach Pakistan zurückkehren – doch dafür muss sich erst einiges ändern, damit der Tod nicht weiterhin auf ihn wartet. (Kim Son Hoang, derStandard.at, 5.5.2015)