Am 24. April gedenken wir des vor 100 Jahren begangenen Völkermordes an den Armeniern durch das Osmanische Reich. Es ist der traurigste Tag in der Geschichte meiner alten Nation und einer der traurigsten Tage in der modernen Geschichte ganz Europas.

Die damalige Regierung des Osmanischen Reiches hat den Mord an 1,5 Millionen Armeniern geplant und sorgfältig umgesetzt. Damit hat sie nicht nur ein Verbrechen gegen eine Nation, sondern gegen die gesamte Menschheit begangen.

Zu dieser Zeit war die Weltpresse voll von Artikeln, die fürchterliche Massaker beschrieben. Die New York Times etwa hat intensiv darüber berichtet und veröffentlichte allein 1915 insgesamt 145 Artikel darüber. Das Blatt beschrieb die Verbrechen gegen das armenische Volk als "systematisch", "autorisiert" und "von der Regierung organisiert".

Am 24. Mai 1915 veröffentlichten die Alliierten Großbritannien, Frankreich und Russland gemeinsam eine Erklärung, in der das Verbrechen an den Armeniern ein "Verbrechen an Menschheit und Zivilisation" genannt wird. Das war das erste Mal, dass diese Definition auf einer so hochrangigen Ebene gebraucht wurde.

Das Studium der Massenmassaker an den Armeniern in den letzten Jahren des Osmanischen Reiches wurde zum Beispielfall für den berühmten jüdischen Rechtsanwalt Raphael Lemkin, um den Begriff Genozid zu prägen und damit den Weg freizumachen für die Entwicklung bedeutsamen internationalen Rechts.

Von Adolf Hitler ist verbürgt, dass er vor der Umsetzung des Holocausts gesagt hat: "Wer erinnert sich heute noch an die Massenmassaker an den Armeniern?" Seither hat die Welt Genozide in Kambodscha, Ruanda, Darfur und zuletzt in den von der Terrormiliz IS kontrollierten Gebieten registrieren müssen.

Die wichtigste Frage, die wir beantworten müssen, ist, wie wir sicherstellen können, dass so etwas nie wieder passiert. Wissenschafter und moderne politische Theorien erläutern, dass die beste Maßnahme dagegen die Anerkennung und Verurteilung von Völkermorden sei sowie die Bestrafung der Täter.

Mehr als zwei Dutzend Länder, verschiedene internationale Organisationen (das Europäische Parlament eingeschlossen) und die weltweite akademische Gemeinschaft haben den Völkermord an den Armeniern als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt. Selbst das türkische Militärtribunal hat viele der Organisatoren des Genozids 1919 zum Tod verurteilt. Trotz alledem setzt die moderne Republik Türkei ihre Politik der Verleugnung fort. Das wird von Wissenschaftern als die letzte Stufe dieses Verbrechens gegen die Menschlichkeit definiert.

Erdogans Regierung beachtet schlechterdings auch die lauter werdenden Stimmen türkischer Bürger nicht, die verlangen, dass die Drahtzieher des Genozids benannt werden und so ein Fenster für echte Versöhnung zwischen zwei Nachbarstaaten aufgeht.

Auch international lauter werdende Forderungen, sich der Geschichte zu stellen, hört die Türkei nicht und steht beinahe alleine da mit ihrer Verleugnungspolitik. Statt auf diese Stimmen einzugehen, bedroht die Türkei Länder, indem sie Botschafter zurückruft. Und sie bedroht Papst Franziskus, der unlängst im Petersdom eine Gedenkmesse abhielt, die armenische Tragödie als den ersten Völkermord im 20. Jahrhundert bezeichnete und argumentierte, dass die Kirche das Haus Gottes sei und Gerechtigkeit und Wahrheit unmissverständlich ausgesprochen werden müssten.

Bestochene Österreicher

Zuletzt schloss sich das österreichische Parlament der internationalen Gemeinschaft an, indem es den Genozid als solchen benannte und die Türkei dazu aufforderte, dies anzuerkennen und zu verurteilen. Die türkische Reaktion darauf war nicht neu: Der türkische Botschafter wurde nach Ankara zurückgerufen, und hunderte Publikationen in lokalen Medien beschuldigten österreichische Parlamentarier, dass diese von der armenischen Lobby bestochen worden seien. Eine Anschuldigung, die nicht einmal die Autoren dieser schändlichen Artikel glauben. Sie müssen sie allerdings äußern, weil sie ein Teil der fortgesetzten Verleugnungspolitik der türkischen Regierung sind.

Wenn es um Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht, darf sich niemand heraushalten. Entweder man ist mit den Verbrechern oder mit den Opfern - Millionen von Menschen, die sterben mussten aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder Religion. Millionen von Türken in und außerhalb der Türkei verlangen die Anerkennung ebenso. Tausende marschieren in Istanbul und schließen sich der internationalen Gemeinschaft an. Die türkische Regierung kann die gesamte internationale Gemeinschaft ignorieren, aber sie ist verpflichtet, auf die Stimmen ihrer Bürger zu hören, die sie dazu auffordern, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten. (Samvel Farmanyan, DER STANDARD, 24.4.2015)