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In Italien retten die Behörden indessen weiter Flüchtlinge aus dem Mittelmeer.

Foto: EPA/ALESSANDRO DI MEO

Helle Holzsärge, die von jungen Leuten am Donnerstag durch das Europaviertel in Brüssel getragen wurden, sollten die Staats- und Regierungschefs der Union eindringlich daran erinnern, was sich vor wenigen Tagen vor Europas Küsten bei Lampedusa ereignet hat: Mutmaßlich bis zu 1300 Flüchtlinge, die in völlig überladenen Booten von Libyen aus gestartet waren, sind hilflos ertrunken.

Die EU verfügt mit der in Jahren ausgebauten Frontex zwar über eine ausgeklügelte Agentur, die Außengrenzen schützen soll. Sie kann Flüchtlingsboote von ihrer Kommandozentrale in Athen aus beobachten - so wie auch die Seestreitkräfte und die Spionagesatelliten jener Mitgliedsländer, die der Nato angehören. Aber, so der Vorwurf der von Amnesty International organisierten Demonstranten an den Sonder-EU-Gipfel: Europa schaue nur zu, tue nichts für die Flüchtlinge, nehme zu wenige Asylsuchende auf.

In der Tat ist es so, dass die Zivilbeamten von Frontex kein Mandat und auch kaum Mittel haben, die in Not Geratenen aus dem Meer zu retten. Die Küstenwachen in Italien, Griechenland und Malta sind bei tausenden Flüchtlingen pro Woche überfordert. Damit soll nach den Worten der meisten Regierungschefs nun Schluss sein.

Militärische Hilfe

Es gehe darum, "gegen Schlepper vorzugehen, die Fluchtursachen zu bekämpfen, vor allem aber geht es darum, Menschenleben zu retten". Diesen Dreischritt rückte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ins Zentrum der Beratungen. Anders als die demonstrierenden Aktivisten von NGOs, Migranten und Menschenrechtsorganisationen vor dem Gebäude des Ministerrates forderten, wo EU-Gipfel stattfinden, ging es am Verhandlungstisch aber nicht darum, dass die Union mehr Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten wie Syrien oder Irak oder aus afrikanischen Staaten aufnimmt.

Im Gegenteil. Vielmehr lagen den Regierungschefs Pläne auf Basis des von den Außen- und Innenministern am Montag in Luxemburg erarbeiteten Zehn-Punkte-Planes vor, der zuvorderst auf eines abzielt: dafür zu sorgen, "dass die Menschen gar nicht erst auf die Boote gelangen", wie Ratspräsident Donald Tusk erklärte.

Um das zu erreichen, will die Union eine harte Gangart vor allem gegen die Schlepperei und illegale Migration einschlagen. Zudem soll es eine verstärkte Kooperation mit jenen Ländern geben, von denen aus die Flüchtlinge über das Meer starten. Was das im Chaos versunkene Libyen betrifft, wird es vermutlich zu einem nicht unbedeutenden Einsatz der Streitkräfte einzelner EU-Staaten kommen, um die Fluchtwellen zu stoppen. So hat der britische Premierminister David Cameron (der sich im Intensivwahlkampf befindet) Kriegsschiffe und drei Hubschrauber zur Seeüberwachung angeboten, darunter die 176 Meter lange HMS Bulwark.

Schnellere Abschiebung

Um die wichtigste Priorität, die Rettung von Schiffbrüchigen, zu verbessern, sollen die EU-Missionen Triton und Poseidon aufgestockt, die Mittel 2015 und 2016 verdreifacht, weitere Boote angeschafft werden. Das Mandat von Frontex soll entsprechend erweitert werden.

Der italienische Premierminister Matteo Renzi rechnete vor, dass bis Jahresende 200.000 Flüchtlinge zu erwarten seien. Er verlangte mehr Geld für den Einsatz der Marine bzw. die Unterbringung der Asylwerber. Die Regierungschefs wollten laut Vorlage beschließen, dass aus den EU-Staaten zusätzliche Beamte in die meistbetroffenen Staaten wie Italien, Malta und Griechenland geschickt werden, um die Verfahren zu beschleunigen. Nur für 5000 Flüchtlinge zusätzlich soll in der Union Platz geschaffen werden. Umgekehrt sollen heuer 150.000 Asylwerber in ihre Herkunftsstaaten zurückgeschoben werden. Die Abschiebung illegaler Migranten soll beschleunigt werden.

"Systematische Bemühungen" soll es geben, um Schiffe von Schlepperbanden "zu identifizieren, zu erbeuten und zu zerstören". Die EU-Institutionen Europol, Frontex, das EU-Asylbüro EASO und Eurojust sollen mit Polizei und Geheimdiensten der Drittstaaten enger kooperieren.

Frankreichs Präsident François Hollande machte klar, dass dabei auch militärische Mittel zum Einsatz kommen würden, um Terroristen in Libyen zu bekämpfen. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 24.4.2015)