Die heutigen Wirtschaftsstrukturen sind vom staatlichen Einfluss geprägt - insbesondere jene der E-Wirtschaft. Der damalige Staatskanzler Karl Renner warnte, dass "Österreichs Volksgut, die Lebensbürgschaft, infrage gestellt" sei.

Foto: Heeregeschichtl. Museum / Arsenal

Wien - Die Trümmer des Kriegs sind noch nicht beiseitegeräumt, als sich die junge Republik um ihre wirtschaftliche Zukunft sorgt. Die teils zerstörte, teils in miserablem Zustand befindliche Industrie soll rasch wieder funktionstüchtig gemacht werden. Der Schlüssel zur Lösung: Verstaatlichung. Die 1945 eingeleiteten und in den beiden Folgejahren beschlossenen Schritte prägen die Wirtschaftsstrukturen des Landes bis heute nachhaltig.

Dass sich die politische Führung trotz ideologischer Gegensätze in der Frage der Verstaatlichung einig ist, hängt vor allem mit der Besatzung zusammen. Im Rahmen der Potsdamer Beschlüsse verzichten die Siegermächte zwar auf Reparationszahlungen Österreichs, allerdings wird der Zugriff der Besatzung auf deutsches Vermögen paktiert. Dabei bestehen Interpretationsunterschiede, nicht nur auf österreichischer Seite, sondern auch zwischen Russland auf der einen und den USA, Großbritannien und Frankreich auf der anderen Seite. Staatskanzler Karl Renner warnt, dass "Österreichs Volksgut, die Lebensbürgschaft, infrage gestellt" sei.

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Die Aussage lässt erahnen, dass die Verstaatlichung mehr als Notwehr denn als strategische Entscheidung gesehen wird. Deutsches Eigentum erstreckt sich nicht nur auf die von den Nationalsozialisten nach dem Anschluss vereinnahmten Betriebe, sondern auch auf die unter Adolf Hitler vor allem für die Kriegsmaschinerie aufgebauten Anlagen: Die Hermann-Göring-Werke in Linz zählen ebenso dazu wie die Aluminiumwerke Ranshofen.

Bedroht wird das Unterfangen durch den sowjetischen Einspruch, weshalb ein erster Anlauf 1945 scheitert. Auch die in den Folgejahren beschlossenen Gesetze werden von den Russen in ihrer Zone blockiert. Argwohn ist keine Einbahnstraße: Als Renner eine bilaterale Erdölgesellschaft mit dem Kreml plant, drohen die Amerikaner mit Nichtanerkennung der damals noch provisorischen Regierung und der Aussetzung von Nahrungsmittellieferungen. Umfang und Art bei der Verstaatlichung sind zwar im Nationalrat strittig, wegen der Gefahr des Zugriffs der Besatzungsmächte findet sich aber ein Kompromiss: Vom ersten Verstaatlichungsgesetz 1946 sind 70 Unternehmen erfasst, neben der Industrie auch Creditanstalt und Länderbank, die weitere 61 nennenswerte Beteiligungen halten. Es hätte auch mehr werden können. Statt 70 Unternehmen wollte die SPÖ 235 in öffentliches Eigentum bringen. Doch manch gute Beziehung, wie es der SP-Abgeordnete Karl Krisch formulierte, trägt dazu bei, dass die Liste um Firmen wie Julius Meinl oder die Veitscher Magnesitwerke entschlackt wird.

Der zweite Streich

Was nichts daran ändert, dass die Verstaatlichung weite Teile der Wirtschaft erfasst, bei Rohstoffen und Grundindustrie in einigen Bereich an die 100 Prozent der österreichischen Produktion erfasst. 1947 folgt der zweite Streich, kommt die Elektrizitätswirtschaft in staatliche Obhut. Genauer gesagt setzt die ÖVP durch, dass die Länder die regionalen Stromgesellschaften erhalten, der Bund die Verbundgesellschaft. Die funktionale Trennung in Stromerzeugung durch den Verbund (bzw. Sondergesellschaften) und Verteilung durch die Landesversorger wird freilich nie gelebt.

Die Strukturen in der E-Wirtschaft sind nach wie vor von starker politischer Einflussnahme geprägt. Bei Banken und Industrie sorgen Globalisierung und Privatisierung dafür, dass die Strukturen aufbrechen. Nur bei Post, Telekom und OMV mischt der Staat über die Holding Öbib noch mit. Die Geschichte endet quasi mit ihrem Beginn. Die Verstaatlichungen erfolgen ebenso aus einer wirtschaftlichen Zwangslage wie die Privatisierungen. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, 25.4.2015)