Am Anfang steht das Ende. Am Beginn der Zweiten Republik steht der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Verbrechensregimes. Am Anfang steht der politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche, auch der soziale Scherbenhaufen, der aus der implodierten Monarchie, der pubertär in den Untergang mäandernden Demokratie in den faschistischen Ständestaat und in Folge die nationalsozialistische Diktatur mündete. Der Weltkrieg hatte 70 Millionen Menschenleben gefordert.

Eindrucksvoll beschreibt Johann Szegö Österreichs Weg in die Freiheit. Aus teils exzentrischen, stets hochinteressanten Blickwinkeln wird nachvollziehbar, wie es zur Katastrophe kam und wie das Land 1955 als selbständiger und unabhängiger Staat auferstehen konnte. Szegö, 1936 in Budapest geboren, seit 1956 in Wien verorteter Europäer, dekuvriert in seiner Chronologie Fakten: detailreich, garniert mit Schnurren, pikanten und amüsanten Anekdoten. So erinnert er an Tage, als es möglich war, die Bundeshymne zu adaptieren, ohne dass daraus genderpolitische Diskussionen die emotionale Großwetterlage vergiften konnten. Fritz und Otto Molden hatten nämlich, wie ersterer in seinen Memoiren Fepolinski & Waschlapski kundtat, anlässlich der "Erbsenkrise" die von ihrer Mutter, der Dichterin Paula von Preradovic verfasste Hymne auf "Land der Erbsen, Land der Bohnen, Land der vier alliierten Zonen" karikiert. Szegö spricht von politischem Sauwetter, das durch den 5. März 1953 zum Tauwetter mutierte, als Stalin starb. In der Melange aus historischen Fakten und Assoziationen werden Veränderungen sichtbar. Am Ende der Expedition stehen freudestrahlende Männer am Balkon des Belvedere.

Die Unterzeichnung des Staatsvertrags bildet auch den Hintergrund von Andreas Pittlers Zeitreise. In Form eines Kriminalromans reflektiert er das Wien der Nachkriegsjahre. Am Beginn von Goodbye liegt eine Leiche, die sich als hochrangiger Polizeioffizier mit Naheverhältnis zu den alliierten Besatzungsmächten entpuppt. Kurz vor Abschluss des Staatsvertrags wollen sich Justiz und Exekutive nicht die Finger verbrennen und untersagen jedwede Ermittlung. An dieser Stelle kommt der pensionierte Polizeioberst David Bronstein, ohnedies fadisiert, ins Spiel. Er begibt sich auf Mörderjagd und trifft auf Spione, Schmuggler, Grantler. Pittler gelingt charmant-ätzend eine Melange aus Lokalkolorit, Geschichtsschreibung und Milieustudie. Anspielungen an den Dritten Mann und Kottan sind natürlich rein zufällig. Wäre nicht schon der Plot lesenswert, die Dialektausdrücke des Jiddischen und Wienerischen erfreuen. Ein Aperçu stellt das Cover dar. Eigentlich war Sergius Pauser von der Republik mit einem Gemälde vom Staatsakt beauftragt worden. Das gelieferte impressionistische Gemälde aber gefiel, trotz dreier Fassungen, den Granden von Kanzler Raab abwärts nicht. So wurde Robert Fuchs mit der Anfertigung des gegenständlichen "Schinkens" beauftragt - zudem reklamierten sich etliche hohe Funktionäre und Beamte nachträglich als "anwesend" und wurden in das Bild integriert. "Oh du mein Österreich!"

Ebenfalls in Form eines Romans erzählt Historiker Robert Streibel ein düsteres Kapitel der Geschichte. April in Stein beschreibt die letzten Tage vor Kriegsende. Während der NS-Gewaltherrschaft war das Zuchthaus in Krems-Stein das größte der "Ostmark". Hier waren Regimegegner interniert, Kommunisten, Saboteure, Widerständler. Am 6. April 1945 öffnete der Gefängnisdirektor angesichts der nahenden Roten Armee die Tore der Haftanstalt. Offiziell, um ihnen in Form einer Amnestie Freiheit zu gewähren. In Wahrheit jagten und mordeten Mitglieder der SS, der SA und der lokalen Bevölkerung die Freigelassenen beim Verlassen der Anstalt. Menschenverachtend, brutal. Die Erinnerungen der Überlebenden bilden die Grundlage von Streibels als Roman abstrahierten Bericht vom (Über-)Leben, von Zwangsarbeit, Widerstand,vom Massenmord in Krems. Der Roman muss vielstimmig als Kaleidoskop der Abgründe definiert werden, als lebendiges, verdrängtes Stück Zeitgeschichte.

Mythen, Thesen, Realitäten

Mit dem "Untergang", konkret dem Kriegsende, beschäftigten sich Robert Bouchal und Johannes Sachslehner. Das Autorenduo beschreibt konkret den Angriff auf Wien, die letzten Tage im Inferno des "totalen Krieges". Von September 44 bis April 1945 lag Wien mehr oder minder ununterbrochen unter Beschuss der US-Air-Force und russischer Bodentruppen. Sachslehner/Bouchal recherchierten in internationalen Archiven, stöberten in heimischen Akten, sichteten Film- und Fotodokumente und begaben sich selbst unter Tag auf die Spur der Luftschutzbunker, Keller und Flaktürme. Basierend auf historischen Fakten, angereichert mit Oral History, Erzählungen von Zeitzeugen und Dokumenten versuchen sie, eine Analyse des Schreckens herauszukristallisieren: Propaganda, Kapitulation, Kommunikation mit "Genosse Exzellenz" Stalin, Hunger, Durchhalteparolen, Heile-Welt-Filme. Nur einer wollte das Ende nicht wahrnehmen. Adolf Hitler proklamierte noch am 15. April 1945 im Größenwahn: "Berlin bleibt deutsch, Wien wird wieder deutsch!" Das im Buch beschriebene Zeitfenster beginnt mit Jalta im Februar und endet mit verzweifelten, erschöpften Zivilisten, die sich vor dem brennenden Stephansdom versammeln.

Am Ende steht der Neuanfang. (Gregor Auenhammer/DER STANDARD, 25.4.2015)