
Was Studierende die Debatte über Ärztearbeitszeit und Ausbildungsqualität angeht.
Am 1. Jänner 2015 ist in Österreich mit kaum vorstellbaren zwölf Jahren Verspätung die EU-Arbeitszeitverordnung auch für Ärztinnen und Ärzte umgesetzt worden. Somit darf seit Jahresbeginn "nur" noch 48 Stunden pro Woche gearbeitet werden und Ruhezeiten dürfen nicht mehr angesammelt, sondern müssen direkt nach Nacht- beziehungsweise Wochenenddiensten genutzt werden.
Freilich hat die österreichische Bundesregierung die Verordnung nicht sofort und für alle gültig umgesetzt. Mittels "Opt-out" dürfen angestellte Ärztinnen und Ärzte für sich selbst entscheiden, ob sie bis maximal 2021 freiwillig auf diesen Arbeitnehmerschutz – dies war der Grundgedanke der Verordnung – verzichten. Diese Regelung wurde auf Drängen der Ärztekammern und Krankenhausträger implementiert. Auch das war ein harter Kampf, denn in den vergangenen zwölf Jahren wurde immer wieder versucht, die 48-Stunden-Regelung einzuführen. Jeder Ansatz wurde jedoch immer wieder von den zuständigen Landespolitikern im Ansatz abgewürgt.
Argumente gegen Arbeitszeitreduktion
Insgesamt ist das – wenn auch unglaublich verspätete – Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz natürlich sehr erfreulich aus Sicht der angestellten Ärztinnen und Ärzte. Jede Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist das, oder?
Es gibt allerdings immer wieder Ärztinnen und Ärzte, die gerne sehr viel arbeiten. Wie zum Beispiel Shahrokh F. Shariat, Leiter der Universitätsklinik für Urologie an der Medizinischen Universität Wien im Online-STANDARD darlegt. Er argumentiert – wie einige andere – unter anderem mit der Ausbildungsqualität der jungen Ärztinnen und Ärzte. Unter 60 Stunden Anwesenheit pro Woche lerne man nämlich nichts, zumindest nicht genug. Unter Chirurgen und Chirurginnen ist dies mit Abstand das häufigste Argument. Doch ich frage mich, warum dann skandinavische Länder, die ihre maximale Wochenarbeitszeit sehr streng umsetzen – etwa Norwegen mit einer 35-Stunden-Woche oder Schweden und Finnland mit einer 40-Stunden-Woche – keine höheren Komplikationsraten in der Chirurgie haben. Dies ist nämlich der Fall.
Menschen, nicht Maschinen
Die ärztliche Tätigkeit ist sehr erfüllend und kann unglaublich schön sein. Allerdings sind auch Ärztinnen und Ärzte Menschen und keine Maschinen. Selbst wenn die Frage nach der Sicherheit für Patientinnen und Patienten hintangestellt wird – also die Frage, wie physisch zuverlässig jemand sein kann, der beziehungsweise die 110 Stunden pro Woche arbeitet –, frage ich mich schlichtweg, warum es in anderen Berufsgruppen nicht üblich ist, freiwillig mehr zu arbeiten. Viel mehr als es der Gesetzgeber eigentlich zulässt. Denn seit 1975 gilt in Österreich die 40-Stunden-Woche als maximal zulässige Normarbeitszeit. Im ärztlichen Bereich sind wir mit dieser Debatte also 40 Jahre (sic!) hinter allen anderen Berufsgruppen hinten nach.
Um Ausbildung kämpfen
Was geht Studierende die Debatte über Arbeitszeit und Ausbildungsqualität eigentlich an? Extrem viel. Zuallererst sind wir direkt von den Reduktionen betroffen, da die angestellten Ärztinnen und Ärzte uns auch ausbilden. Wenn sie jetzt weniger arbeiten (dürfen), dann steht auch weniger Zeit für die Lehre zur Verfügung. Denn die Patientinnen und Patienten werden nicht weniger und forschen müssen sie auch weiterhin, denn nur das bringt in Österreich die Karriere in Schwung. Wir Studierende müssen in den nächsten Jahren wohl noch viel mehr um unsere Ausbildung kämpfen als bisher. Denn die Krankenhausträger werden noch längere Zeit brauchen, um die Auswirkungen des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes so zu verarbeiten, dass alle beteiligten Personen von der neuen Situation profitieren. Das wird ja irgendwann der Fall sein, denn ausgeruhte Lehrende sind besser als müde.
Nur wer viel arbeitet, gehört dazu?
Für mich, einen Studenten kurz vor Studienabschluss, zeigt diese Debatte jedoch eine Realität auf, die ich bereits im Rahmen vieler Praktika in unterschiedlichsten Situationen und Ambulanzen kennengelernt habe: Wer viel arbeitet – und viel bedeutet im ärztlichen Kontext jenseits der 70 Stunden pro Woche –, verdient Respekt und Anerkennung. Wer viel arbeitet, gehört dazu. Vielleicht ist diese Selbstaufopferung ein Zeichen der Zusammengehörigkeit oder schlicht ein inoffizielles Merkmal der ärztlichen Berufsgruppe?
Zeit für Familie
Ich weiß nicht, ob ich da dazugehören möchte. Ich bin seit meinem 16. Lebensjahr durchgehend berufstätig. Seit fünf Jahren mache ich nur Nacht- und Wochenenddienste im Gesundheitswesen. Ich mache das gerne. Aber ich habe auch eine Familie. Zwei kleine Kinder, die ich aufwachsen sehen möchte. Ich habe Hobbys und eine erfüllte Beziehung. Ich möchte Arzt sein und auch ein Leben außerhalb des Spitals führen. Ich möchte eine ausgezeichnete klinische Ausbildung erfahren und gleichzeitig die Selbstverständlichkeit leben, meinen Sohn aus dem Kindergarten abholen zu können – ohne von meinen Kolleginnen und Kollegen schief angesehen zu werden. Ich befürchte, so ein Leben ist derzeit in Österreich nur an den wenigsten Häusern möglich. (Matthias Schlechta, derStandard.at, 29.4.2015)