Udo Kier in einem Anzug von Petar Petrov und einem Hemd von Anne Demeulemeester. Der Ring stammt von Werkstatt München.

Foto: Maria Ziegelböck

Udo Kier zahnstochernd - zur gepunkteten Anzughose von Petar Petrov trägt er ein Hemd von Ann Demeulemeester. Die Ringe stammen von Werkstatt München und aus seinem Privatbesitz.

Foto: Maria Ziegelböck

Kier als Rapper - unter der stellenweise transparenten Jacke von Ann Demeulemeester trägt er ein Netzshirt von Brynje und Ketten von Joachim Baur.

Foto: Maria Ziegelböck

Es sind immer die Augen. In seinen Filmen, auf Fotos. Udo Kier, das sind zwei Augen mit dieser Farbe, von der keiner weiß, wie man sie nennen soll. Was wohl in seinem Pass stehen mag, geht einem durch den Kopf, während man hinter dem Stephansdom auf ihn wartet. Er verspätet sich um drei Zigarettenlängen, trägt einen grünen Anzug, wirkt müde. "Der Jetlag", meint er. "New York geht ja noch, aber Los Angeles." Die beiden Augen sind echt. Das Sonnenlicht, das sie an diesem Vormittag reflektieren, hilft allerdings auch nicht beim Festlegen einer Farbe. Im Gegenteil.

Zwei Minuten später, in einer imposanten Altbauwohnung am Stephansplatz, wird er munter. Ritsch, ratsch schiebt er Kleiderbügel weiter, während seine Blicke über die Outfits fliegen, die für das Fotoshooting zusammengetragen wurden. Er möchte Kaffee, zieht die schwarzen Schuhe aus und fläzt im nächsten Augenblick auf einem weißen Sofa in einem geräumigen Salon. "Worüber wollen Sie sprechen?", fragt er. Gute Frage. Wo anfangen? Bessere Frage.

In London entdeckt

Die Antworten beginnen in Köln, bei seiner Geburt, als er mit seiner Mutter nach einem Bombenangriff verschüttet war, Kier spricht von Armut und Linsensuppe in einer Eineinhalb-Zimmer-Wohnung, von der Verblendung der Kirche und ihrem Prunk, die er als Messdiener und Chorsänger erlebte. In London war er entdeckt worden, sein erster Film hieß Straße nach St. Tropez. Das war 1966. Keine Ahnung hatte er vom Schauspielen. Durch sein Aussehen, nicht durch sein Können kam er zum Film. Daraus macht er keinen Hehl, "ich hatte einfach diese Augen und pechschwarzes Haar". Rudolf Nurejew und Luchino Visconti sprachen ihn in einem Londoner Nachtklub an, wollten ihm ein Glas Champagner spendieren. Kier hatte keine Ahnung, wer Visconti war, die Zeche für den Lokalbesuch hatte Kier zusammengespart. Später am Abend stieß Helmut Berger zu den dreien. Passt irgendwie. So wie vieles andere.

Kier erzählt von seinen Anfangszeiten, unter anderem vom Film Hexen bis aufs Blut gequält, der 1969 in Mauterndorf gedreht wurde. "Zur Kinokarte bekam man eine Kotztüte, weil in dem Film jemandem eine Zunge herausgerissen wird". Es ist, als hätte Kier ein dickes Buch aufgeschlagen und keine Lust, nur den Klappentext vorzulesen.

Rund 200 Filme drehte Kier, der vielen als Darling des schrägen Arthouse-Kinos gilt. "100 davon sind schlecht, 50 kann man sich anschauen, 50 sind sehr gut", erzählt er, während er sich tiefer und tiefer in die Polster drückt. Der Kaffee ist ihm zu kalt. Auch in der Wohnung ist es kühl.

Bösewicht

Die Namen der Menschen, mit denen Kier arbeitete, lauten Lars von Trier, Rainer Werner Fassbinder, Nicole Kidman, Isabella Rossellini, Michael J. Fox, Keanu Reeves, River Phoenix, Bruce Willis, John Malkovich, Christoph Schlingensief und gehen in dieser Tonart weiter. Die Filme tragen Titel wie Andy Warhols Frankenstein, Die Insel der blutigen Plantage, Das deutsche Kettensägenmassaker, auch Lili Marleen, Armageddon oder Nymphomaniac. James-Bond-Bösewicht war er nie, obwohl ihm das gefallen hätte, wie er zugibt. Kann ja noch kommen.

Schauspielausbildung gab es keine. "Ich hab mal bei der berühmten Lee-Strasberg-Schule vorbeigeschaut. Da sagten die, ich solle morgens eine Tasse Tee trinken und mir vorstellen, es wäre Kaffee. Warum sollte ich das denn tun? Das ist doch albern."

Fast möchte man den Mann am Ärmel zupfen, um ein kleines Stückchen von diesem prall gefüllten Bilderbuch abzukriegen. "Zupfen Sie ruhig", sagt Kier, der jetzt warmgelaufen ist. Seine Augen scheinen noch größer.

Patriarch in "Altes Geld"

"Eitel? Ich bin nicht eitel. Ich besitze nicht einmal einen Kamm. Ich habe das einer Journalistin bewiesen, in dem ich sie in mein Badezimmer ließ, um nachzusehen". Glaubt man Kier, hat er keinen einzigen seiner Filme zu Hause, in einer ehemaligen Bücherei in Kalifornien. Zu kritisch sei er seiner Arbeit gegenüber, zu sehr würde er sich fragen, was man alles hätte besser machen können. "Ich bin sogar schon aus Filmpremieren vorzeitig abgehauen, obwohl ich die Hauptrolle gespielt hatte", setzt er nach. Die Filme, in denen er mitwirkte, reichen von Trash über Kult bis hin zum Kassenschlager. Er spielte Killer und Modedesigner ebenso wie Magier oder einen schwulen Topterroristen. Auch in zwei Madonna-Videos taucht er auf, darunter der Clip zum Song Deeper and Deeper.

Der Schauspieler hingeflackt - dabei trägt er einen grünen Anzug, ein schwarzes Hemd und schwarze Schnürschuhe. Alles von Hugo Boss.
Foto: Maria Ziegelböck

Vor kurzem drehte er für den ORF und Superfilm unter der Regie von David Schalko den Intrigen-Achtteiler Altes Geld, in dem er einen alternden Patriarchen auf der Suche nach einer Spenderleber spielt. Mit von der Partie sind auch Robert Palfrader und Nicholas Ofczarek. Ursprünglich war der verstorbene Gert Voss für diese Rolle vorgesehen gewesen. "Ein großartiges Projekt mit einer tollen Crew", resümiert Kier. Schalko nannte in einem Interview mit dem Radiosender Ö1 die Serie "So etwas wie Dallas, aber Dallas für Geistesgestörte". Passt.

Keine Selfies

Inzwischen scheint die Sonne auch durch die Fenster, die auf die schmale Blutgasse hinausgehen in Kiers Gesicht, ein Gesicht, das jeder kennt. Mit seinem Namen verhält es sich nicht so. Eigentlich eigenartig. "Ich habe sehr viel Glück in meinem Leben gehabt. Ich möchte überhaupt kein Star sein. Ich streiche meine Wände selber, habe ein Plastikpferd, das Max von Sydow heißt, koche gerne und bin ein richtiger Heimwerker. Nur wenn was mit dem Strom ist, lass ich das bleiben. Ein Star zu sein, das ist doch viel zu anstrengend. Ich möchte immer noch ganz gern mit dem Bus fahren können. Klar ist es okay, wenn man mich erkennt, aber lasst mich bloß mit diesen Selfies in Ruhe, das hasse ich" , sagt Kier bei der zweiten Tasse Kaffee. Jetzt hat er die richtige Temperatur, doch nun kommt Kier kaum zum Trinken. Der Erzählfluss wird zum Strom.

Auf einem der Polster, zwischen denen Kier zu klemmen scheint, steht der Aufdruck "Regret". Ob er irgendwas in seinem Leben bereut? "Bereuen? Nö, das wäre ja dumm. Obwohl, eigentlich hätte ich gern zu Zeiten von Caligula gelebt". Apropos Caligula, Kier spielte Dracula, den Teufel, auch Hitler. Viele sehen in ihm den Paradebösen. Ist Herr Kier böse? "Die Leute kommen zu mir und sagen, 'your're so evil'. Das klingt doch wie ein Orgasmus. Ich stelle gern das Böse dar, weil der Fantasie diesbezüglich keine Grenzen gesetzt sind. Ich bin der Böse, weil ich nicht böse bin. Böse Rollen dürfen nicht von Bösen gespielt werden. Denken Sie nur an Christoph Waltz in Inglourious Basterds. Der ist auch nicht böse. Ich rette sogar Hunde aus dem Tierheim."

Zwischen den Geschichten, die er auch während des Fotografiertwerdens ohne Unterlass von sich gibt, macht er Scherze über seine Brustwarzen, erklärt das Design der kopulierenden Schweine auf seinem Ring und spricht von seiner große Leidenschaft für moderne Kunst, von Beuys, Rauschenberg und vielen anderen. Zur Abwechslung ärgert er ein bisschen die Stylistin: "Nö, den Fetzen zieh ich sicher nicht an. Ihr Wiener macht mir vielleicht Spaß." Im nächsten Moment gibt er auf dem Boden hockend ein bisschen damit an, von Robert Mapplethorpe und Helmut Newton fotografiert worden zu sein. Warum auch nicht. Wie eine Flipperkugel spicken seine Geschichten hin und her. Ins Loch will die Kugel noch lange nicht.

Udo Kier relaxed im gerippten Shirt von Dries Van Noten und im Jeanshemd mit Leder-Tags von Raf Simons.
Foto: Maria Ziegelböck

Dass er in seiner Jugend als Model gearbeitet hätte, bezeichnet Kier als übertrieben. Auf der Herrenmodewoche in Köln sprang er als 17-Jähriger für ein erkranktes Model ein. Er fand es furchtbar. "Also es ist so: Ich interessiere mich durchaus für Mode, würde aber niemals 1000 Euro für einen Anzug ausgeben, da kauf ich lieber einen Stuhl. Ich bin allerdings Experte für Secondhandläden in den USA. Mit sicherem Griff zieh ich eine Jacke für neun Dollar von der Stange, und die ist dann von Jil Sander oder Valentino. So was kann man doch nicht hängen lassen. Da kostet ja die Reinigung mehr als das Kleidungsstück."

Bussi für die Taylor

Kier posiert, wechselt noch ein Outfit, räkelt sich wieder auf dem Boden, tanzt durch die Wohnung, macht einen auf Rapper, schneidet lausbubenhaft Vampirgrimassen und fährt fort: Pamela Anderson nennt er eine Freundin, Elizabeth Taylor gab er ein Bussi, und wer seine Kochkunst nicht schätzt, wird nie wieder eingeladen. Und noch etwas: Mit seiner Hündin Liza wird jeden Morgen um 7.00 Uhr im Park gegenüber Gassi gegangen. Ob sie nach der Minnelli benannt ist? "Of course!"

Vergangenes Jahr wurde Kier, der in Palm Springs wohnt und am liebsten auf seiner Ranch in der kalifornischen Wüste Palmen pflanzt, 70 Jahre alt. Wie verhält sich das mit dem Klischee vom alternden Schauspieler, dem einstmals so feschen Jüngling? Die Flipperkugel spickt wieder: "Ach, man bekommt so schöne Geschenke, wenn man 70 wird. Mein bester Freund, Benedikt Taschen, hat mir ein riesiges Buch über die Rolling Stones geschenkt, das von allen vier Musikern signiert wurde.

Wenn man 21 wird, kriegt man auch was, aber was wird einem schon zum 27. Geburtstag geschenkt?" Auch im pensionsreifen Alter denkt Kier nicht daran, nach Deutschland zurückkehren. Seine Begründung enthält Stoff für einen Kurzfilm. "Da stünde dann auf dem Grabstein: Geboren und gestorben in Köln. Wie klingt das denn?

Catarina Valente hören

Da dreh ich lieber mit meinem alten Mercedes eine Runde am Pazifik, höre Catarina Valentes Ganz Paris träumt von der Liebe und verschwinde hinter einer Klippe. Das ist eine Geschichte, die können Sie aufschreiben." Schon erledigt. Apropos Klippe: Dürfte Kier nur noch einen einzigen letzten Film, sozusagen einen "Henkersfilm" sehen, es wäre Singin' in the rain. "Noch lieber würde ich allerdings einmal in meinem Leben mein Gesicht sehen. Wir können uns alle selbst nicht sehen, höchstens die Nasenspitze, alles andere ist eine Reflexion über den Spiegel." Auch die Augen.

Nach dem letzten Foto landet der Schauspieler wieder auf dem Sofa. Hunger? "Nein!" Durst? "Später!" Die Geschichten plätschern noch immer, sein Körper scheint allerdings Ruhe zu verlangen.

Eine Kugel ist noch drinnen, im Flipperautomaten, die Frage nach seiner Augenfarbe. "Die gibt es eigentlich gar nicht. Es kommt darauf an, was ich trage. Wenn ich etwas Grünes trage, dann werden sie eher grün, ziehe ich ein blaues Hemd an, scheinen sie mehr bläulich. Das sah früher wirklich gut aus." Schade, selbst Kier kann das Rätsel nicht lösen. Irgendwie aber auch gut. "Wissen Sie, man sieht mit den Augen, man beobachtet mit den Augen. Aber glauben Sie mir, mit den Augen hört man auch zu." Bis die Kugel dann doch im Loch verschwindet. (Michael Hausenblas, Rondo, DER STANDARD, 30.4.2015)