Wien – Staatsanwältin Ursula Kropiunig hat völlig recht, wenn sie sagt, das Vorgefallene sei "außerhalb des Vorstellungsvermögens". Dass der Angeklagte nämlich mit seiner Großcousine Geschlechtsverkehr hatte, seit er elf und sie sieben Jahre alt war. Doch fast noch unvorstellbarer ist, dass das Jugendamt der Meinung ist, der heute 17-Jährige benötige keine Therapie, wie eine Betreuerin behauptet.

Unbestritten ist, dass es zwischen 2009 und 2011 regelmäßig zu sexuellen Kontakten gekommen ist. Die entscheidende Frage in diesem Schöffenverfahren unter Vorsitz von Beate Matschnig ist, ob auch nach dem 14. Geburtstag des Angeklagten im September 2011 – erst da wurde er strafmündig.

Die Vorsitzende will wissen, wie es dazu gekommen ist. "Es ist mit der Zeit so passiert", sagt der Teenager. "Ich war selbst ein Kind und wusste nicht, was ich tat."

Missbrauch in den Ferien

Meistens sei es in den Ferien bei den Großeltern im Burgenland dazu gekommen, aber auch, "wenn ich auf sie aufpassen musste". Körperliche Gewalt sei nie im Spiel gewesen. Aber die Mahnung: "Wenn du das wem sagst, bekommen wir lebenslang Hausarrest."

"Und wann haben Sie aufgehört?", fragt Matschnig. "Im Sommer, noch vor meinem Geburtstag. Ich habe selbst gesehen, dass ich einen Fehler gemacht habe", sagt der Angeklagte unter Tränen.

"Und warum sind Sie nicht in Therapie?", bohrt die Vorsitzende noch nach. "Ich würde gerne, aber so schnell geht das nicht", sagt er. Seine Mutter bestätigt später den Willen. "Aber die Krankenkassa zahlt nichts, und als Alleinerzieherin ist es schwierig, das zu bezahlen."

Im Winter nie im Burgenland

Die 54-Jährige kann als Zeugin auch etwas zur Wahrheitsfindung beitragen. Das Haus der Großeltern werde stets im Oktober winterfest gemacht, im Winter sei nie jemand dort, da es nicht einmal eine Heizung gebe.

Das ist wichtig, da das Opfer widersprüchliche Angaben zum Ende des Missbrauchs machte: Einmal sprach sie davon, es sei im Winter gewesen. Im Burgenland. In anderen Vernehmungen sprach sie allerdings auch vom Sommer.

Nach kurzer Beratung spricht der Senat den Angeklagten schließlich im Zweifel, aber rechtskräftig frei. Man wisse einfach nicht, wann es aufgehört habe, zu widersprüchlich seien die Aussagen.

"Aber ich lege Ihnen dringend eine Therapie ans Herz", appelliert Matschnig noch, "irgendwer muss das doch bezahlen können, das Jugendamt vielleicht?" Es tue ihr direkt leid, ihn nicht verurteilen zu können, da das Gericht ihm dann die Weisung dazu geben könnte.

"Jugendamt extrem unkooperativ"

Das löst eine Reaktion einer im Zuschauerraum sitzenden Mitarbeiterin der Jugendgerichtshilfe aus. "Wir haben mit dem Jugendamt gesprochen, aber das ist extrem unkooperativ und sagt, er braucht keine Therapie", behauptet sie. Welches Jugendamt betroffen ist, will sie aber nicht sagen, schmettert sie nach der Verhandlung das journalistische Auskunftsbegehren ab.

Eine Anfrage bei Herta Staffa, Pressesprecherin des Jugendamtes, ergibt, dass der Teenager nach Bekanntwerden der Vorwürfe nur einmal mit der Behörde in Kontakt war. "Er wurde von einem Psychologen untersucht, aus dessen Sicht hat es sich um eine jugendlich-pubertäre Experimentierphase gehandelt", sagt sie.

Da sich der Angeklagte auch "problembewusst" gezeigt hat, sah der Arzt keinen Grund für weitere Maßnahmen. "Es ist natürlich auch die Frage, was damals bekannt war", schränkt Staffa ein. Da das Jugendamt die Familie aber nicht betreut, sei man auch für etwaige Therapiekosten nicht zuständig. (Michael Möseneder, derStandard.at, 28.4.2015)