Seit der ehemalige Jungliberale Viktor Orbán Ende der 1990er-Jahre die Kehrtwendung zum Rechtspopulisten vollzog, treibt ihn die Idee der Todesstrafe um. Der erste belegte Sager zu dem Thema stammt aus dem Jahr 1998: "Die EU verbietet die Todesstrafe, aber sie wäre eine Messe wert." Da war er gerade erstmals Premier geworden.

Als er jetzt die südungarische Universitätsstadt Pécs besuchte, griff er das Thema wieder einmal auf. Die Todesstrafe müsse "auf der Tagesordnung gehalten" werden, denn es brauche sie "zur Abschreckung", tönte er.

Die Kriminalität in Ungarn steigt seit vielen Jahren nicht mehr an. Die abschreckende Wirkung der Todesstrafe ist ein von der Fachwelt widerlegter Mythos. Trotzdem erfreut sich dieser in Ungarn - wie auch in manchen anderen europäischen Ländern - einer nicht geringen Beliebtheit.

Doch Orbáns Spiel ist klassischer Populismus. Es ist kein Zufall, dass ihm die Todesstrafe meist nach spektakulären Mordfällen in den Sinn kommt. In Pécs war kurz vor seinem Besuch eine junge Trafikangestellte ermordet worden.

Zuletzt waren Orbán wenig politische Erfolge beschieden. Nachwahlen in westungarischen Hochburgen seiner Fidesz-Partei gingen verloren. Korruptionsskandale rund um seine Oligarchen beschäftigen die Medien. Der Evergreen Todesstrafe ist immer eine sichere Bank. Viktor Orbáns Flirt mit dem H-Wort - für ungarisch "halálbüntetés" - bleibt eine Daueraffäre. (Gregor Mayer, DER STANDARD, 30.4.2015)