Innsbruck – Das Prostata-Karzinom ist mit jährlich 382.000 neu Erkrankten und 92.200 Todesfällen in Europa der häufigste, bösartige Tumor beim Mann. Der Biologe Frédéric Santer und der Molekularpathologe Zoran Culig von der Medizinischen Universität Innsbruck sind nun einem Schlüsselmechanismus auf der Spur, mit dem die Tumorzellen trotz Androgenentzugstherapie überleben.
"Diesen weiteren Trick der Prostatakrebszellen zu verstehen, gibt uns einen Baustein zur Verbesserung der Behandlung in die Hände", erklären die beiden Wissenschaftler. Denn männliche Sexualhormone (Androgene) spielen bei Prostatakrebs eine essenzielle Rolle: Entartete Zellen der Vorsteherdrüse benötigen Androgene zur Stimulation ihres ungebremsten Wachstums.
Seit den 1970er Jahren setzt die Medizin im Zuge der Hormonentzugstherapie daher Medikamente ein, die die Androgenproduktion in den Hoden verringern, auch bekannt unter dem Begriff "chemische Kastration". Diese führt zur Inaktivierung des Androgen-Rezeptors in den Tumorzellen und bremst das unkontrollierte Zellwachstum ein.
Tödliches Wachstum enträtseln
Wirksam ist diese Therapie allerdings maximal drei Jahre. In weiterer Folge entwickelt sich die "kastrationsresistente" Form von Prostatakrebs. Es kommt zu einem Wiederauftreten der Erkrankung. Die Forscher sind nun im Zellkulturmodell einem Trick auf der Spur, mit dem es Prostatakrebszellen gelingt, ihr tödliches Wachstum trotz Hormonentzugstherapie weiter zu entfalten.
Das Onkogen MCL1 (Myeloid Cell Leukemia 1) wird beim Androgenentzug vermehrt gebildet und sorgt dafür, dass die Krebszellen überleben. Hinter dieser scheinbar einfachen Erklärung stecken äußerst vielschichtige Wechselwirkungen, die das Forschungsteam Schritt für Schritt enträtseln will.
Raffinierte Krebszellen
"MCL1 – sehr vereinfachend als 'Überlebensprotein' bezeichnet – sorgt im Zuge komplexer molekularer Interaktionen dafür, dass die Prostatakrebszellen nicht absterben. Wird MCL1 im Zuge der Androgenentzugstherapie zusätzlich durch spezielle Hemmsubstanzen blockiert, kann das Krebswachstum im Zellkulturmodell ausgebremst werden," sagt Santer. Erste Ergebnisse zu diesem Mechanismus publizierte das Team in der Fachzeitschrift "Oncotarget" (Mechanistic rationale for MCL1inhibition during androgen deprivation therapy. Santer et al. 2015).
Neueste Resultate zeigen, dass MCL1 auch bei der Tumorinitiation – also der Entartung von gesunden Zellen – beteiligt sein könnte. Bisher ist bekannt, dass MCL1 im Prostatakarzinomgewebe überexprimiert wird. "Wer die Raffinesse von Krebszellen erforscht, muss jedoch stets mit Unerwartetem rechnen. Für uns ist es trotzdem überraschend, dass dieses Überlebensprotein bei der Gabe von Androgenen, welche ja auch das Wachstum und somit Überleben der Krebszellen stimulieren, vermindert exprimiert wird," erklärt der Biologe.
Sinn macht der Mechanismus für die Tumorzellen hingegen trotzdem – und zwar im Zuge der Androgenentzugstherapie, die zur vermehrten Expression von MCL1 führt und somit das Überleben der Zellen garantiert.
Primärtherapie verbessern
Die Grundlagenforschungen der Gruppe Culigs zielen darauf ab, die Hormonentzugstherapie bei fortgeschrittenem Prostatakrebs zu optimieren. "Diese Primärtherapie des Prostatakarzinoms beziehungsweise die Wirksamkeit der Behandlung wollen wir mit Hilfe von Kombinationen verlängern. Die Herausforderung ist es, grundlegend neue Anti-MCL1-Therapien in Kombination mit optimierten Hormon- und Radiotherapien zu entwickeln, die auf die vielfältigen Therapieresistenzen von Prostatakrebszellen Bedacht nehmen. Grundlagenforschungen in diesem Kontext haben daher ein großes klinisches Potenzial", sagt Molekularpathologe Culig.
Molekulare Kommunikation verstehen
Prostataskrebs gilt sie als eine der größten Herausforderungen in der internationalen Krebsforschung. Bisher sind bei dieser Tumorart jene Mechanismen nicht im Detail bekannt, die zu Entartung, unkontrolliertem Wachstum und Streuung der Zellen führen. Entarten Prostatazellen und bilden über die Organgrenze – also über die Vorsteherdrüse - hinaus Metastasen, gilt dieser Tumor in seiner molekularen Kommunikation als äußerst trickreich und ist bisher nur begrenzt behandelbar.
Alleine in Österreich sterben pro Jahr 1.200 Männer an Prostatakrebs. Bisher kann das fortgeschrittene Karzinom der Vorsteherdrüse durch Hormon- Radio- oder Chemotherapie nur vorübergehend abgebremst werden. (red, 30.4.2015)