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Staatsanwältin Marilyn Mosby verkündet die Einleitung eines Strafverfahrens vor Journalisten.

Foto: ap/brandon

Washington/Baltimore – Die Proteste nach dem Tod des 25-jährigen Afroamerikaners Freddie Gray im Polizeigewahrsam reißen nicht ab. Obwohl ein Strafverfahren gegen sechs Polizisten eingeleitet wurde, gingen am Freitagnachmittag wieder tausende Menschen in Baltimore auf die Straße, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu protestieren.

Nach heftigen Straßenschlachten am Montag hatte Baltimores Bürgermeisterin Stephanie Rawlings-Blake eine nächtliche Ausgangssperre verfügt, die vorerst weiter in Kraft blieb. In New York forderten mehrere hundert Demonstranten "Gerechtigkeit für Freddie Gray".

Gray hatte nach seiner Festnahme Mitte April so schwere Verletzungen erlitten, dass er eine Woche später starb. Laut Staatsanwältin Marilyn Mosby müssen sich sechs Beamte wegen des Vorfalls verantworten, die Vorwürfe reichen von Körperverletzung bis zu Mord mit bedingtem Vorsatz. Die US-Justiz klagt einen Polizisten wegen Mordes mit bedingtem Vorsatz ("Mord zweiten Grades") an. Drei weiteren Beamten wird Totschlag vorgeworfen, gab die Staatsanwaltschaft am Freitag bekannt. Alle sechs beteiligten Beamte müssen sich wegen Körperverletzung verantworten.

Baltimores Bürgermeisterin Rawlings-Blake sagte, dass sich fünf der sechs Beamten in Untersuchungshaft befänden. Alle sechs Polizisten waren zuvor bereits vom Dienst suspendiert worden.

Die Familie Grays reagierte positiv auf die Anklagen gegen die beteiligten Polizisten. "Wir sind zufrieden mit den heutigen Vorwürfen", sagte der Stiefvater des 25-Jährigen bei einer Pressekonferenz am Freitag. "Diese Anklagen sind ein wichtiger Schritt, um Gerechtigkeit für Freddie zu erreichen."

Auf scharfe Kritik stieß hingegen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft bei der Polizeigewerkschaft. Ein Anwalt der Gewerkschaft, Michael Davey, sprach von einer "ungeheuerlichen Vorverurteilung". Nie habe er eine Anklagebehörde "so in Eile" gesehen, um ein Strafverfahren einzuleiten.

Präsident Barack Obama forderte: "Es muss Gerechtigkeit walten." Die Menschen in Baltimore wollten vor allem eines: "Die Wahrheit."

Koma nach Rückenverletzung

Der 25-jährige Gray war am 12. April festgenommen worden und erlitt darauf in Polizeigewahrsam schwere Rückenverletzungen. Er fiel ins Koma und starb am 19. April. Die genauen Umstände sind bis heute ungeklärt. Der Tod löste schwere Unruhen aus - in Baltimore herrscht bis zum kommenden Dienstag ein nächtliches Ausgangsverbot.

Staatsanwältin Marilyn Mosby warf den Polizisten vor, Gray beim Transport in einem Polizeibus misshandelt und ihm medizinische Versorgung verweigert zu haben. Die Beamten hätten Gray ohne anzuschnallen auf den Bauch in das Auto gelegt. Alle sechs Polizisten wurden bereits vom Dienst suspendiert. Nun sei Haftbefehl erlassen worden, sagte Mosby.

Nach US-Recht ist Mord zweiten Grades eine Tötung, die anders als Mord erstes Grades nicht im Voraus geplant war, aber einen Tod billigend in Kauf nimmt oder eine extrem fahrlässige Missachtung menschlichen Lebens widerspiegelt.

Der Fall Gray ist der bisher letzte bekannt gewordene Fall von Polizeibrutalität gegenüber Schwarzen. Erstmals hatten die Todesschüsse eines weißen Polizisten auf den unbewaffneten schwarzen Teenager Michael Brown in Ferguson (Missouri) im vergangenen Sommer landesweite Empörung ausgelöst.

460 Tote

Vor diesem Hintergrund berichtete die "New York Times", dass US- Polizisten im Jahr 2013 über 460 Menschen töteten. Dabei handle es sich lediglich um Fälle, die von der Bundespolizei FBI erfasst worden seien und als juristisch gerechtfertigt gelten. Noch zwischen 2009 und 2012 habe die Zahl zwischen 397 und 426 gelegen.

Experten schätzten dagegen, dass die Zahl der von der Polizei Getöteten in Wirklichkeit weitaus höher liegt. Inoffizielle Statistiken, die von Freiwilligen geführt würden, gingen von etwa 1100 Toten im Jahr aus - das würde etwa drei Opfer am Tag bedeuten. Unklar ist, wie die Menschen ums Leben kamen - auch die ethnische Zugehörigkeit sei nicht berücksichtigt.

"Tödliche Gewalt durch die Polizei ist ein ständiges Problem", schreibt die "New York Times". Dies habe bereits dazu geführt, dass die Polizei im ganzen Land "darüber diskutiert, ob sie ihr Vorgehen und ihr Training ändern muss".

Die "New York Times" schreibt weiter, schlechtes Polizeitraining sowie eine gängige "Polizei-Kultur" führe dazu, dass sich Polizisten in den USA als permanent bedroht fühlten. "Weniger erfahrene Beamte könnten ihr Training als eine Lizenz zum Einsatz von Gewalt sehen". (APA, 1.5.2015)